Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 23. Sonntag im Lesejahr B 2021 (Jesaja/Markus)

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4. September 2021 - Aloisiuskolleg Bonn-Bad Godesberg – Kollegsmesse

1. Hören, sehen, sprechen

  • Hören können, sehen können und dann auch sprechen. Das Markusevangelium bringt in einer Szene zusammen, wozu Jesus Menschen befähigt. Jesus heilt real, aber diese Heilungen sind zugleich Botschaft oder Statement. Das war dem Evangelisten Markus und seinen Zeitgenossen klar. Sie kannten jene Verheißungen des Propheten Jesaja, die auch wir heute als erste Lesung gehört haben. Und es kann für jeden Menschen erkennbar sein, was diese symbolischen Handlungen bedeuten.
  • Eine echte Begegnung mit Gott findet über alle Sinne statt. Begegnung ist nie nur „Gedankenaustausch“, gar „Datenübertragung“. Echte Begegnung führt vielmehr dazu, dass ich – wie es im Evangelium heißt – wieder richtig sprechen kann. Jesaja ergänzt, die Zeichenhandlung der Heilung des Gelähmten: Wo die Sinne wach sind, kann Lähmung überwunden werden.
  • Wissen allein, Theorien und Programme, werden nie etwas verändern, wenn sie nicht von Menschen ergriffen und gelebt werden: Mit allen Sinnen sehen und hören, aber auch innerlich die Dinge schmecken, spüren, erleben. Denn nur durch unseren lebendigen Leib, durch unseren Körper hindurch wird eine Bergpredigt, ein Glaubenstext oder ein Gebet lebendige Wirklichkeit.

2. Räume der Freiheit

  • Die Menschen, die Jesus geheilt hat, waren organisch erkrankt. Viel verbreiteter aber ist es, dass die Organe äußerlich alle gesund sind, aber die Menschen trotzdem hören und doch nicht hören, sehen und doch nicht sehen, schon gar nicht einen „Geschmack“ für die Dinge entwickeln und ein Gespür dafür, was mir und anderen schadet – und was uns guttut: In der Beziehung zu Gott, zu den anderen und uns selbst. Das hat, so meine Vermutung, nicht mit einfach einer Entscheidung von mir zu tun, sondern mit der Weise wie ich lebe und vor allem den Menschen, die mich prägen.
  • In dem Bericht im Markusevangelium wird als Detail betont, dass Jesus den Mann „beiseite nimmt, von der Menge weg“. Er schafft dadurch erst den Raum der Freiheit, in dem dieser Mensch hören und selbst sprechen kann. Ohne solche Rückzugsräume ist keine Freiheit möglich. Es ist eine Illusion, man müsse nur keine Macht ausüben, dann herrsche Freiheit. Wo die verantworte Macht – der Eltern, der Schule, des Staates – sich raushält, besteht immer die Gefahr der Macht des Stärkeren und der Masse. Aber es muss verantwortete Macht sein, die nicht an sich bindet, nicht sich an die Stelle Gottes setzt, sondern Freiheit ermöglichen will.
  • Dieses "Beiseite-nehmen" geschieht, wo ich mich frei mache und ganz einem Menschen zuwende. Auch der Gottesdienst ist ein solcher Augenblick, in dem Christus uns beiseite nimmt. Umso mehr muss aber die Liturgie mit ihren Vorgaben und Riten Freiheit schaffen: Freiheit durch einen Rahmen, in dem Gottes Ehre gedient wird, nicht der von Menschen.

3. Alles gut machen

  • Für Ignatianische Pädagogik in der Schule sind die wachen, lebendigen Sinne unverzichtbar. Ohne das wird nur formal ausgebildet, als würde ein Computer programmiert. Anschaulichkeit, Erleben, Ertasten, selbst Darstellen und Tun sind unverzichtbar für Schule als Ganzes und – auch wenn es nicht in jedem Fach gleich praktiziert werden kann – für die ganze Schule.
  • Es braucht die Sinne, wenn Biologie oder Physik, Deutsch oder Sozialkunde, und sowieso Kunst und Sport wirklich den Menschen prägen sollen, der sie lernt – und auch die, die diese Fächer lehren. Für das geistliche Leben ist das sogar zentral: Die Anwendung der Sinne ist daher in den Geistlichen Übungen (Exerzitien) des heiligen Ignatius von Loyola ein unverzichtbarer Bestandteil, wenn das Ziel ist, in der Begegnung mit Gott und der Bibel mein Leben neu zu verstehen und auszurichten.
  • So kommt zur Freiheit, selbst zu sprechen statt nur in der Menge mitzulaufen, die Freiheit hinzu, eins mit mir selbst zu sein.
    Die Weise, wie wir zusammenleben und miteinander sprechen ist dabei nicht gleichgültig. Sie prägt unsere Wahrnehmung: Entweder hilft sie uns, von innen her unser eignes Urteil zu fällen. Oder sie führt dazu, dass wir taub werden gegenüber dieser inneren Stimme. Die Alten nannten das das Gewissen. Es ist weit mehr als eine rationale, ethische Abwägung – das immer auch. Es ist diese Einheit des heilen Menschen, dessen Hören und Sehen, dessen Fühlen und Erleben eins ist. Das ist das Wunder, das Jesus wirkt. Davon sagen sie. „Er hat alles gut gemacht“. Amen.