Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 2. Sonntag der Osterzeit Lesejahr A 2005 (zum Tod von Papst Johannes Paul II)

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3. April 2005 - Universitätsgottesdienst St. Ignatius, Frankfurt/Main

Was seit Freitag in Rom, Krakau und rund um den Globus geschieht, ist kein Personenkult. In seinem Sterben macht Johannes Paul II. als Papst das, was er so unzählige Male auch auf seinen Reisen und in Rom getan hat: Er führt Menschen zum Gebet zusammen. "Stärke deine Brüder" ist der Auftrag des Herrn an Petrus. Gerade in dem er uns teilhaben lässt an seiner Krankheit und seinem Sterben hat mich der Hl. Vater in meinem Glauben gestärkt. Gott nehme ihn auf in seiner Gnade.

1. Der Papst

  • Die meisten von uns haben in ihrem Leben nie bewusst einen anderen Papst erlebt. Wer heute unter 35 ist, hat keine Erinnerung an eine Zeit vor Johannes Paul II. Ob sie ihn bewundert oder belächelt haben, ob sie begeistert waren oder kritisch. Diese Person und "der Papst", das war identisch. Bis heute.
  • Die Kirche versteht das Papstamt als das Petrusamt. Die Aufgabe, die Jesus dem Simon Petrus gegeben hat, ist die Aufgabe des Papstes. Allerdings haben sich die Bedingungen, unter denen die Nachfolger Petri dieses Amt erfüllen mussten, erheblich verändert. Eines ist aber geblieben. Wer Papst ist, der steht im Dienst der Kirche. Johannes Paul II. hat durch die Weise, wie er seinen Dienst ausgeführt hat, wie kaum einer vor ihm mit der sichtbaren, erlebbaren eigenen Person versucht, Jesus Christus zu verkünden, die Kirche zu stärken, Fels zu sein und Hirte.
  • Die heutige erste Lesung schließt direkt an an die erste Predigt des Petrus nach dem Pfingstfest. Das Stück aus der Apostelgeschichte gibt damit eine Vision davon, wie diese Kirche sein könnte, die auf die Predigt des Petrus hin um viele Menschen angewachsen ist.

2. Christen

  • Die Christen waren eine gar nicht so kleine Minderheit im jüdischen Jerusalem. Die Gruppe der Christen, die in jenen Jahren nach dem Pfingstfest als Teil des Judentums lebte, war größer, als man lange Zeit dachte. Archäologische Funde lassen darauf schließen, dass die Zahlenangaben der Apostelgeschichte nicht unrealistisch sein müssen. Das macht die Frage nach ihrer Lebensweise für uns interessant, denn die Christen lebten in einer der wichtigeren Zentren des Römischen Reiches und standen im Austausch mit der ganzen Welt der römisch-griechischen Kultur.
  • Lukas notiert Merkmale der jungen Kirche. Mag sein, dass es idealtypisch überhöht ist, mag sein, dass er das Selbstverständnis der jungen Kirche unter Jakobus und Petrus eingefangen hat. Von den Christen sagte er: "Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft". Die Weise dieser Menschen jüdisch zu glauben, war also geprägt durch die Lehre der "Gesandten Jesu", der Apostel und durch das Bewusstsein, eine Gemeinschaft zu sein.
    Auch wenn die Christen noch ganz in das Judentum integriert waren und am Tempelgottesdienst teilnahmen, gibt es doch den Beginn eines eigenen Kultes, wenn es heißt, dass sie festhielten "am Brechen des Brotes und an den Gebeten." Das heißt, sie haben in den Häusern der einzelnen Christen die Eucharistie gefeiert und besondere Gebete gehabt, die auf die besondere Weise Jesu zu Gott als seinem Vater zu beten anknüpfen. "Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel, brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude und Einfalt des Herzens." Die ersten Christen waren also nicht nur zum "Brotbrechen", der frühen Hl. Messe, zusammen, sondern hielten in ihren Häusern auch so miteinander Mahl.
  • Lukas ist der Ansicht, dass Gütergemeinschaft charakteristisch war für diese Gemeinde: "Alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jedem so viel, wie er nötig hatte." Wenn man das im Zusammenhang der ersten Kapitel liest, wird deutlich, dass nicht unbedingt alle alles verkauften, wohl aber einige, und dass die junge Christengemeinde sehr schnell Strukturen geschaffen hatte, um dafür zu sorgen, dass die Armen in ihrer Mitte integriert und unterstützt wurden.

3. Heute

  • Muss das eine schöne Utopie bleiben? Schon bald im Anfang war das Ideal mehr Leitidee denn unverkürzte Realität. Wenn Lukas zwanzig bis dreißig Jahre später (1) die Situation der Urgemeinde so schildert, wird deutlich, dass er damit bereits seine Zeit zu einer erneuerten Praxis motivieren wollte. Daher sollten auch wir in gänzlich anderer Zeit und Situation sehen, zu welcher Praxis Lukas uns damit ermuntert. Drei Punkte will ich nennen:
    • Ich halte das gesellschaftliche und soziale Engagement der katholischen Kirche in Deutschland für eine großartige Sache. Wir sollten die Arbeit der Caritas und vieler anderer Institutionen im Dienst der Armen in unserem Land nach Kräften fortführen. Die Bedeutung der Kirche nimmt ab, die Kräfte werden weniger. Das ist kein Drama, wenn wir weiter "nach Kräften" das uns mögliche tun und weiter gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Die Minderheitenkirche in Jerusalem aber konnte nicht "gesellschaftliche Verantwortung" übernehmen. Dafür hat sie aber durch die Solidarität der Christen unter einander gezeigt, dass Gott ein anderes Zusammenleben ermöglicht, als es Markt und Macht außerhalb diktieren. Dieses "Füreinander als Kirche einstehen" müssen wir erst neu lernen. Nicht um kirchliche Binnenorientierung und Selbstliebe geht es dabei, sondern um ein gelebtes Zeichen als Dienst an dieser Welt.
    • Zweitens fällt mir auf, wie wichtig die Privathäuser für das Leben dieser Christen damals waren. Gastfreundschaft unter einander ist für mich ein Lackmustest unseres Glaubens. Wir erleben dabei und verkünden, dass letztlich Gott es ist, bei dem wir alle zu Gast sind. Ich kann daher nur uns alle ermutigen, uns umzuschauen, und uns untereinander auch und gerade zum Essen einzuladen. Dass dazu auch gemeinsames Gebet gehört, war in apostolischer Zeit selbstverständlich.
    • Drittens. Das erste, was Lukas von der jungen Gemeinde berichtet ist: "Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft". Beide Punkte gehören zusammen. Beide Punkte berühren die Aufgabe des Petrus. Johannes Paul II. wurde in Deutschland von vielen als konservativ und dogmatisch erlebt. Der Streit darüber, was die "Lehre der Apostel" ist, wird auch nach dem Tod dieses Papstes weiter gehen. Was er uns aber in jedem Fall deutlich vorgelebt hat, ist welche Kraft er geschöpft hat aus der Treue zum überlieferten Glauben und aus der ständigen Verbundenheit mit Christus im Gebet. Sein Engagement gegen die Diktaturen, sein vehementer Einspruch gegen den Krieg am Golf, aber auch sein Einsatz für die Würde des behinderten, des alten und des ungeborenen Menschen hat ein Fundament in seinem Glauben.
  • Die Basis unseres Glaubens ist, was Gott an uns tut. Darin besteht der Kern der Lehre der Apostel. Gott ermuntert und stärkt uns zur Umkehr. Er führt uns zusammen zu einer Gemeinde. Und er hat uns ein lebendiges Beispiel gegeben für die Weise, wie wir als Gemeinschaft leben können: in seiner Gegenwart in Jesus, dem Nazoräer. Amen.

 


Anmerkung

(1) Ich gehe davon aus, dass die Apostelgeschichte vor dem Martyrium des Hl. Paulus (ca 67 n.Chr.) geschrieben wurde! Es wäre m.E. unverständlich, warum Lukas dieses nicht berichtet, wenn er nach Pauli Tod dessen Geschichte verfasst hätte. Die dazu vorgebrachten Begründungen haben mich nicht überzeugt. Eine spätere Datierung hängt doch letztlich allein an dem dünnen Faden, ob man die Ankündigung der Zerstörung Jerusalems im Lukasevangelium zwingend als nach der Zerstörung verfasst ansieht - und dies allein deswegen, weil dort Belagerungstechniken geschilderten werden, die 70 n.Chr. tatsächlich zum Einsatz kamen. Diese Techniken waren aber in der Antike durchaus üblich.