Predigt zum 4. Fastensonntag Lesejahr B 2003 (Joh)
Zurück zur Übersicht von: 4. Fastensonntag (B)
30. März 2003 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt
Zur Illustration der Predigt sehe man das Musical "Chicago"
(2002), das in den 20er Jahren spielt und dort die Anfänge einer
Öffentlichkeitskultur schildert, die einen Star macht - und fallen
lässt. Vor allem ist es dort das Verruchte, das aus dem Dunkel kommt,
durch das sich die künstlerisch belanglose Heldin zum Star machen lässt. |
|
1. Erhöht werden
- "Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der
Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, in ihm das
ewige Leben
hat." Das vergleichende Bild, das Jesus gebraucht, ist für uns
wenig erhellend, mangels Kenntnisse des Alten Testamentes, des Kapitels
21 aus dem Buch
Numeri im Besonderen. Vielleicht gelingt es uns aber auch ohne den
innerbiblischen Vergleich zu verstehen, was gemeint ist.
- Denn "erhöht werden" und "aufschauen zu dem was erhöht ist" sind
unserer Kultur gar nicht so fremde Vorgänge. Denn das Gegenteil davon
wäre die
Bedeutungslosigkeit, das Versinken in der grauen Masse. Wenn Tag um Tag
nichts geschieht, was sich abhebt vom Trott und mich heraushebt aus dem
Gewöhnlichen, wenn mein Name nicht genannt wird, dann ist das, als hätte
ich nicht gelebt.
- Als Ferienjob habe ich für eine Regionalzeitung Korrektur gelesen
(ein gut bezahlter Ferienjob, nebenbei gesagt). Erinnerlich ist mir die
besondere
Sorgfalt, die wir aufbringen mussten, wenn im regionalen Sportteil die
unendlichen Tabellen der Fuß- und Handballmannschaften drankamen. Dort
durfte
kein Fehler unterlaufen, denn dieser Teil wurde zumindest von einem
Leser sorgfältigst gelesen - dem, dessen Name genannt war. Ein
Schreibfehler dort
führt unweigerlich zu einem empörten Anruf in der Redaktion. Einmal in
der Zeitung genannt - und dann falsch geschrieben, das will keiner.
2. Superstar
- Natürlich ist keine(r) der Anwesenden betroffen. Dennoch hatte
Deutschland für Wochen das Superstar-Fieber befallen. Die Namen habe ich
schon wieder
vergessen, aber eine grandiose Regie hat für ein Frühjahr die
RTL-Senderfamilie, die Bildzeitung und Bravo zusammen gespannt, um einen
aus dem Volke
zu erhöhen. Jeder - so wurde suggeriert - hatte die Chance Superstar zu
werden. Gerade das hat den Erfolg dieses Formats in nahezu allen
Kulturkreisen
der Welt ausgemacht.
- Dabei wusste jeder, und eine Begleitflotte von Feuilleton-Artikeln
hat es ausgebreitet, dass der Star, der hier geboren wurde, noch in
derselben Nacht
wieder untergehen würde. Das Talent zählt nicht, sondern die Show. Die
Person zählt nicht, sondern der Skandal. Nach einem Schema, das bereits
die
Zeitungen der ach so goldenen 20er Jahre erfunden haben, wird ein
Aschenputtel aus der grauen Masse herausgenommen und die Masse betet den
Star an,
denn sie erblickt in ihm die eigene Möglichkeit, der Belanglosigkeit zu
entfliehen. Jeder, der an den Superstar glaubt, hat etwas von dem Leben,
das dieser
ausströmt.
- Natürlich ist das alles knallhartes Geschäft. Jeder nur denkbare
Aspekt des Ganzen wird erbarmungslos ausgewertet, nicht nur in der
Zeitung und am
Bildschirm, im Internet und auf CD. Mit knisternder Erotik aufgeladen
verkauft sich der Star noch besser: Lange zurück gehaltene Aufnahmen vom
Table-Dance, Gerüchte über sexuelle Vielseitigkeit, Geraune über dunkle
(verführerische!) Vergangenheit - und schon gibt es eine ganze Palette
von
Artikeln, die sich besser verkaufen, weil jeder bewusst oder unbewusst
so sein möchte, wie dieser Star. Wir werden von kulturellen Leitbildern
überschwemmt, die nur eines gemeinsam haben: Irgend jemand verdient
daran eine Menge Geld.
3. Nicht zu richten, sondern zu retten
- Es liegt ein vernichtender Zug in der Erhöhung des einen. So sehr
ich mich an ihm aufrichten kann, zumal wenn immer und immer wieder
gesagt wird,
dass ich doch auch dieser eine sein könnte (und, ach wie schade,
zusammen mit Millionen anderen es halt zufällig nicht bin!), so sehr
kann die Erhöhung
des einen mich auch zu Boden drücken. Es ist wie die Werbung, die seit
Jahrzehnten den Frauen und seit einem guten Jahrzehnt auch den Männern
Tag
für Tag unbarmherzig vor Augen führt, wie ein Körper auszusehen hat,
damit man liebenswert (genauer: begehrenswert) sei. Doch alle
aufgewandte Zeit
und alle erbrachte Mühe und vor allem alles investierte Geld wird
vergeblich sein. Das Ideal, das der Star erreicht hat, bleibt
unerreichbar. Schlimmer
noch: Es richtet mich in meiner Mittelmäßigkeit. Er vernichtet mich
endgültig.
- Und nun der Satz: "Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er
seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht
zugrunde geht, sondern
das ewige Leben hat." Gott setzt bei dem eben beschriebenen Mechanismus von Erhöhung und Vernichtung ein - und durchbricht ihn.
Er durchbricht ihn, weil er nicht andere drangibt. Gott führt sich nicht
auf, wie das erbarmungslose Richterkollegium von Herrn Bohlen und
Kollegen,
sondern Gott gibt sich selbst dran. Und Gott durchbricht den
Mechanismus, weil sein Superstar nicht reich, nicht schön anzusehen,
nicht sexy ist, sondern
erhöht wird - geschunden und geschlagen - am Kreuz.
- Kompliment an die Profis in den Redaktionen von Bild und Bravo, in
der Programmredaktion von RTL und Pro 7. Sie haben ein Grundgesetz des
Menschen erkannt, die Erhöhung des Einen. Nur leider nützen sie es für
sich selber aus. Sie werden keinen retten.
Rettung aber ist bitter von Nöten, denn um als Mensch anerkannt zu
werden, dass ihr Namen genannt und sie als Mensch angenommen sind, tun
Menschen das schlimmste Unrecht. Die Bibel würde nicht zögern, hier die
Wurzel von Gewalt zu sehen. Deswegen ist es nicht belanglos, wenn Jesus
uns
einlädt zu dem aufzuschauen, der am Kreuz erhöht wurde. Deswegen ist es
nicht nebensächlich, an diesen allein zu glauben und auf den
Gekreuzigten das
Vertrauen zu setzen. Denn im Kreuz ist das Geheimnis, dass ich ganz zu
Gott erhoben werde, wenn ich auf ihn schaue, ihm gleichförmig werde und
ihm
mein Leben anvertraue. Keinem sonst. Amen.