Predigt zu Aschermittwoch 2005 (Johannes)
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06.02.2005 - Fachb. Kath. Theologie Uni Frankfurt
1. Lesung: Joel 02,12-18
Evangelium: Joh 10,1-10 (Der gute Hirt als Gegenbild zu Dieben und Räubern)
1. Nähe und Distanz
- Das Gleichgewicht von Nähe und Distanz ist die hohe Kunst der gelungenen Beziehung. Menschen, die sich
unterschiedslos allen anderen öffnen oder gleichermaßen gegenüber allen anderen verschließen, werden es nicht
schaffen, gute Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. Die Kunst ist, zu spüren, wann und wem gegenüber ich
mich öffnen darf, wem ich einen Blick in mein Herz gestatte - und wo es angebrachter ist, höflich aber formal zu
bleiben.
- Dieser Kunst bedarf es auch gegenüber der Lebenswelt, die uns umgibt. Wer meint, sich allen Einflüssen von Mode,
Trend und öffentlicher Meinung entziehen zu können, ist ihnen schon erlegen. Wir sind ein Teil unserer Kultur und
Lebenswelt und werden von dieser weit mehr bestimmt, als wir darauf Einfluss nehmen könnten. Die Kunst ist, zu
spüren und zu wissen, wo ich mich getrost dem Trend anvertrauen kann und wo ich ihm widerstehen muss. Wer immer
nur Individualist ist bleibt allein. Wer immer nur mit dem Strom schwimmt, wird uninteressant und bleibt einsam in der
Masse.
- Beide Ebenen haben zentral mit unserem Glauben als Christ zu tun. Denn Christ zu sein bedeutet, glaubend darauf zu
vertrauen, dass Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist. Gott wird Mensch in menschlichen Beziehungen und in
menschliche Kultur hinein. Ich kann also nicht Christ sein, ohne Gott dort zu begegnen: im Nächsten und in der
Lebenswelt, die mich mit ihr oder ihm verbindet. Daher ist es unausweichlich, die Frage nach dem Gelingen meiner
menschlichen Beziehungen aus dem Glauben heraus anzugehen.
2. Hirtenbilder
- Im zehnten Kapitel des Johannesevangeliums variiert Jesus die Bilder vom Hirten, der Herde, dem Pferch und der Tür.
In seiner Bildrede spielt Jesus mit diesen Elementen, um uns als seinen Jüngern eine Vorstellung davon zu geben, wie
wir unsere Beziehung zu ihm gestalten können.
- Das erste Bild beginnt am Morgen. Die Schafe aus dem Dorf waren über Nacht gemeinsam im Pferch untergestellt. Ein
Wächter steht an der Tür, um nur die befugten Hirten zuzulassen. Ein solcher kommt durch die Tür in den Pferch. Er
muss nicht verstohlen über den Zaun klettern, sondern kommt offen durch die Tür. Er ruft die Schafe, die zu ihm
gehören. Er kennt sie und sie kennen ihn. Seiner Stimme folgen sie auf die Weide. Sie müssen nicht gezerrt und nicht
gezogen werden. Sie folgen ihm, weil sie ihn kennen und ihm vertrauen. Etwas später in diesem Abschnitt wird Jesus
sich den guten Hirten nennen. Er gibt sein Leben für seine Herde.
- Das zweite Bild variiert das erste. Jetzt vergleicht sich Jesus mit der Tür. Er selbst ist die Tür zu dem Hof, durch die die
Schafe ein- und ausgehen: hineingehen um Geborgenheit zu finden, wenn es Dunkel wird, hinausgehen, um Weide zu
finden. Jesus, die Tür: das gibt den Maßstab und das Kriterium, um zwischen denen unterscheiden zu können, die uns
unter die Wölfe führen, und denen, denen wir vertrauen können. Jesus, die Tür, das gibt den Maßstab und das Kriterium
dafür, ob dies ein Weg und Zugang ist, den wir wählen können oder einer, den wir tunlichst meiden.
3. Maßstab
- Heute beginnt die Fastenzeit. Der kirchliche Name für die 40 Tage bis Ostern ist "österliche Bußzeit". Beides, Fasten
und Buße, haben ihr Ziel in Ostern. Das Ziel ist, im jährlichen Rhythmus der Zeiten uns einzuüben in die Verwandlung,
die uns fähig macht, das zu erfahren, was Ostern meint: Überwinden jedes Todes, Teilhaben an der Auferstehung, Leben
in Fülle. Wenn Jesus "die Tür" ist, dann sollten wir seine Biographie sorgfältig studieren, um unsere Biographie zu
gestalten.
- Jesus kommt aus dem Fasten. Nach dem Zeugnis der Evangelien hat sich Jesus von der Behaglichkeit seiner Familie
abgesetzt, um sich Johannes dem Täufer anzuschließen. Das bedeutete: Raus aus der Stadt, Fasten und Einsamkeit der
Wüste. Diese Zeit ist grundlegend für Jesus. Hier finden die entscheidenden inneren Auseinandersetzungen statt. Er
entzieht sich in der Wüste allen äußerer Einflüssen, er fastet radikal. Dieses Fasten hat aber ein Ziel. Als die vierzig
Tage vorbei sind, trennt sich Jesus von der Täufergemeinde und geht wieder in die Stadt und unter die Menschen. Im
Unterschied zum Täufer Johannes wird er wieder Wein trinken und Feste feiern. Ja, der Wein wird zum zentralen
Symbol des Neuen Bundes werden. Dafür nimmt Jesus sogar in Kauf, zum "Fresser und Säufer" (Mt 11,19)
abgestempelt zu werden. Dass er nicht einfach in der Gesellschaft untergeht, in die hinein er sich begibt, verdankt Jesus
dem vorherigen Fasten in der Wüste.
- Die Fastenzeit ist also keine abstrakte Bußzeit. Nicht Buße um der Buße, nicht Fasten um des Fasten willens. Vielmehr
sind all dies nur äußere, aber hilfreiche Übungen, um mit dem vertraut zu werden, der für uns Maßstab ist, weil in ihm
Gott selbst uns begegnet.
- Ihm und seiner Stimme können wir vertrauen wie einem guten Hirten. Dieses Vertrauen dem Einen gegenüber macht
uns frei, uns anderen vertrauensvoll zu öffnen - ohne uns davon so abhängig zu machen, dass wir keine Distanz mehr
wahren können.
- Dieser ist die Tür: das Kriterium, an dem wir uns und alles messen sollten, ob es uns mehr zu der Liebe hinführt, in der
wir Gott selbst begegnen, oder ob wir nur Trends und Meinungen folgen, ohne darin näher dem zu kommen, was
erfülltes Leben ist.
Die Fastenzeit ist Zeit, uns neu mit Jesus Christus vertraut zu machen, um einen Begleiter und einen Maßstab zu haben
für unser Leben. Wir können mit ihm in die Wüste gehen, in Distanz zu allem, was auf uns einströmt - um mit ihm auch
wieder zurück zu gehen mitten in die Stadt. Mit diesem Hirten, durch diese Tür, können wir unsere Freiheit und Würde
bewahren. Amen.