Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zu Weihnachten in der Nacht 2005

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24.12.2005 - Oberschwappach/Knetzgau

1. Heute in uns geboren

  • Wir feiern Weihnachten, grad so als würde just diese Nacht der Heiland geboren. "In dieser Nacht wurde uns der Retter geboren" heißt es im Vers der Liturgie. Es könnte heute, diese Nacht sein. Dennoch weiß jeder von uns, dass wir natürlich eine Nacht vor zweitausend Jahren meinen.
  • Und dennoch meinen wir auch die heutige Nacht. Denn nicht um des historischen Ereignisses willen feiern wir heute Abend, sozusagen um unsere Geschichtskenntnisse aufzufrischen. Dazu wäre ein gelehrter Vortrag geeigneter, als eine festliche Messe in nächtlicher Stunde. Wir feiern das Vergangene aber, damit es Gegenwart werde.
  • In uns will Christus geboren werden. Dazu allein ist er damals im Stall von Betlehem Mensch geworden. Würde Gott nicht in uns, seiner Kirche, Mensch, und würde Christus nicht im Herzen eines jeden von uns Mensch, so wäre das Ziel verfehlt, um dessentwillen Christus die Herrlichkeit aufgab, die er in Gott hatte, um uns ganz nahe zu kommen, als Menschenkind geboren zu werden im Stall zu Betlehem, als Mensch zu leben, der das Reich Gottes verkündet, als Mensch zu sterben, um unseren Tod zu überwinden.
    Um unseretwillen ist Gott Mensch geworden. Da er in uns noch nicht zur Gänze geboren wurde, feiern wir Weihnachten.

2. Harte Zeiten

  • Deswegen schauen wir auf unsere Welt. Geprägt ist sie vom globalen Wettbewerb, der noch im letzten Winkel unseres Landes spüren lässt, dass diese Welt eine ist und das bequeme System der letzten fünfzig Jahre nicht dauerhaft bleiben konnte. Wie aber die Völker anderer Kontinente ihren Anteil am Wohlstand der Welt bekommen, ohne dass hier wie dort die Armen die Zeche zahlen, das haben wir noch nicht gelernt.
  • Wir schauen auf unsere Welt. Der Kampf gilt dem Terrorismus, dieser Geisel der Zeit. In diesem Kampf gibt es aber nicht nur die Fanatiker des Nihilismus oder der missbrauchten Religion. Es sind zivilisierte Staaten, die sich entscheiden, diesem Gegner in Stärke entgegenzutreten und dabei Rechtsstaat und Völkerrecht verlassen. Nicht nur die USA verhängen Todesstrafe und betreiben Gefängnisse in denen Menschen rechtlos sind und Folter zum dehnbaren Begriff wird. Auch die Bundesrepublik Deutschland hat nicht etwa einen Rechtsbeistand aus der Botschaft, sondern Verhörexperten des Nachrichtendienstes nach Guantanamo geschickt.
  • Wir schauen auf unsere Welt. Sie ist für uns hier rauer geworden, als wir es uns erträumt und erhofft hatten. Auf den groben Klotz wird wieder ein grober Keil gesetzt. Stärke ist wieder gefragt, nicht nur in der großen Politik, sondern auch vielfach ganz im Privaten. Wenn die Zeiten härter werden, scheint wieder jeder für sich selbst sorgen zu müssen. Weihnachten ist nur eine Unterbrechung des harten Geschäfts.

3. Zur Größe Gottes berufen

  • Warum ist Gott Mensch geworden? Was ist die Botschaft dieser Nacht, was ist der Kern unseres Glaubens?
    Die Botschaft ist das Ereignis. Gott hat nicht etwas offenbart. Gott hat sich offenbart. Gott hat nicht etwas erzählt. Gott hat sich gezeigt, wie er ist: Der Allmächtige zeigt sich als wehrloses Kind in einem Futtertrog. Der Unendliche wird endlich, begrenzt in eine Krippe, versteckt in dem Dorf Betlehem, das nur noch schwach die Erinnerung wahrt, dass von hier einmal König David kam.
  • Die Stärke Gottes ist seine Liebe. Diese Liebe zeigt sich, da Gott nicht mit Blitz und Donner, nicht mit Macht und Gewalt, sondern wehrlos ist. Er überwindet die Gewalt, die in die Armut schickt und ans Kreuz schlägt. Er hält unbeirrt fest an seinem Weg und seiner Verheißung.
  • Damit Gott in uns Mensch werde, sollten wir uns daran erinnern. Die Demokratie, die beharrlich festhält am mühsamen Weg des Ausgleichs, der Rechtsstaat, der auch den schlimmsten Terroristen nicht foltert, sondern ihm einen Rechtsanwalt zur Seite stellt, der Nachbar, der nicht bei der nächsten Gelegenheit seinen Vorteil sucht, sondern riskiert, weiter an das Gute im Menschen zu glauben und zu vertrauen - all das ließe sich lesen als bemitleidenswerte Schwäche, wäre da nicht der Allmächtige Gott. Er ist bemitleidenswert schwach geworden, um uns zu seiner Größe zu führen. Das ist es, was wir an Weihnachten feiern: nicht die Stärke des Menschen, sondern die Schwachheit der Liebe, die Gott selber ist. Amen.