Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Fest der hl. Familie (Lesejahr C) 2015

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27. Dezember 2015 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Fest

  • "Heilige Familie". Das ist der Name des katholischen Weihnachtsfestes, das um den ersten Weltkrieg herum, also vor rund einhundert Jahren, in der westlichen Kirche eingeführt wurde. Ich ahne die Bandbreite der Assoziationen bei uns Heutigen, wenn dieses Wort fällt: "Heilige Familie"
  • Die ursprünglich gemeinte Bedeutung dieses Festes geht aus dem Tagesgebet hervor, das auch wir im Eingangsteil heute gebetet haben. Das Gebet atmet ganz den Atem des bürgerlichen Familienideals des neunzehnten Jahrhunderts. Der stark moralische Unterton ist eigentlich für die katholische Tradition ganz untypisch und ist eher der protestantischen Aufklärung geschuldet. Zugleich lässt das Gebet die Bedrohung spüren, die die Kriege und Umwälzungen des neuen Jahrhunderts für die Familien mit sich brachten. Im Gebet heißt es "In der Heiligen Familie hast du uns ein leuchtendes Vorbild geschenkt. Gib unseren Familien die Gnade, dass auch sie in Frömmigkeit und Eintracht leben und einander in der Liebe verbunden bleiben."
  • Was genau eine Familie ist, war nie so ganz klar. In der Antike wie in der altgermanischen und slawischen Tradition mag es die Zusammenfassung dessen gewesen sein, was Besitz eines freien Mannes war: Hof, Pferde, Frauen, Sklaven, Kinder, Vieh. Zwar hat das Christentum in all diesen Kulturen immer wieder die Gotteskindschaft aller Menschen betont und damit die Würde eines jeden einzelnen Menschen. Aber gerade an dem Thema kann man sehen, wie viel oder wenig diese Kulturen vom Christentum durchdrungen waren. Da gab es zwar große Fortschritte, aber die waren zäh errungen.
    Erst wenn durch die Industrialisierung all das zerfällt, kommt das Ideal der heiligen Familie " in Frömmigkeit und Eintracht" so recht auf und hat uns bis heute nicht verlassen. Im Gegenteil, je mehr draußen Konkurrenz herrscht, desto verzweifelter hoffen die Menschen auf die Harmonie in Partnerschaft und Familie.

2. Sehnsucht

  • Ich halte es für eine Stärke des christlichen Glaubens, dass er die Sehnsucht einer Zeit aufnehmen kann. Nicht jede Sehnsucht, vor allem dort nicht, wo sie der Grundsucht nach Macht über andere entspringt. Hier nimmt der Glaube die Sehnsucht nicht auf, sondern widerspricht ihr auf das Schärfste - oder sollte dies zumindest tun.
  • Dort, wo historisch oder gegenwärtig die Familie als Herrschafts- und Ausbeutungssystem funktioniert, dort findet sich der klare Widerspruch im Evangelium. Wenn Jesus seine Jünger "Vater Unser, der du bist im Himmel" beten lehrt, wenn er sagt: "Ihr sollt niemand auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel" (Mt 23,9), dann geht es darum, dass er uns auffordert, solchen Machtansprüchen der Vater-Familie zu widerstehen.
  • Dort hingegen, wo Menschen - tastend und suchend und scheiternd und doch immer wieder neu beginnend - versuchen im Miteinander einer Lebensgemeinschaft sozusagen im Experiment im Kleinen das zu verwirklichen, wozu wir als Kirche und Menschheit berufen sind - dort können wir Gott auf unserer Seite wissen. "Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen" (Mt 18,20). Solch ein Lebensmodell, Kirche im Kleinen, kann und sollte eine christliche Familie an erster Stelle sein.
    Wenn jedoch diese Ausrichtung auf das Evangelium nur nach innen gilt, dann wäre Familie schon gescheitert: Christliche Familie weist von ihrem Wesen her über sich hinaus, in Gastfreundschaft, Offenheit und der Bereitschaft auch die mit zu tragen, die aus dem gängigen Raster herausfallen. Wenn in den letzten Monaten vielfach Freundeskreise und Kirchengemeinden ganz vorne dabei waren, wenn es galt Flüchtlingen zu helfen, dann zeigt das für mich, dass das christliche Familienideal sich in vielfältiger Weise realisiert. Da ist ganz erkennbar Gnade Gottes am Werk, in Familien und anderen Beziehungen und Gemeinschaften.

3. Heilig

  • Was macht dann die Heilige Familien heilig? Wenn ich auf das Evangelium schaue, das die Kirche für das Fest heute vorsieht, dann finde ich keine moralische Engführung. Im Gegenteil. Die Weise, wie sich der zwölfjährige Jesus von seinen Eltern und Verwandten absetzt, um im Tempel, dem Haus seines himmlischen Vaters zu sein, widerspricht diametral jedem biedermeierlichen Familienideal von Harmonie und Gehorsam. Ich bin mir sicher, dass der Evangelist bewusst die Erzählung so aufgebaut hat, dass man die Eltern Jesu versteht, die mit zunehmender Panik ihr Kind suchen - und dann kein Wort der Entschuldigung hören, sondern nur das schroffe und für die Eltern damals unverständliche: "Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?"
  • Was macht dann die Heilige Familien heilig? Ich würde nicht so sehr auf das achten, was sie vorbildlich tun. Vielmehr ist den Evangelien wichtig, was ihnen exemplarisch widerfährt. Diese werdende Familie ist Spielball der politischen Ereignisse, die Geburt des Erstgeborenen erfolgt ohne Obdach in einem Futtertrog, aus dem eigenen Volk droht nur Verfolgung und Tod, nur die Armen und die Fremden, die Hirten und die Weisen aus dem Morgenland erkennen in dem Kind die Gegenwart Gottes. Aber auch die fremden Magier können nicht verhindern, dass die junge Familie nach Ägypten fliehen muss - mitten in der Nacht, wie von einem Abschiebekommando ereilt. Die Heilige Familie ist die Gegenwart Gottes inmitten dieser Realität der Welt. Gott stellt sich selbst mitten unter diese Menschen.
  • Ein Weiteres macht diese Familie als Familie heilig. Sie lernt. Von Maria und Josef heißt es hier noch ausdrücklich "Sie verstanden nicht, was er damit sagen wollte", als er sie darauf verwies, dass die Gegenwart Gottes im Tempel der Ort ist, an dem er sein muss. Ganz ähnlich lässt der erwachsene Jesu später seiner Mutter samt Familie etwas ausrichten. Als diese ihn nach Hause in den Schoß der Familie holen wollen, mutet er Maria die Antwort zu: "Meine Mutter und meine Brüder sind die, die das Wort Gottes hören und danach handeln" (Lk 8,20 und mehrere Parallelen).
    Dass auch die Mutter Jesu lernen muss, macht diese Familie heilig, denn sie geht den Weg des Lernens - ausdrücklich auch dort wo es schmerzlich ist, in der Grundhaltung des Hörens auf Gott.Auch Maria muss lernen, dass alle natürlichen Beziehungen, Vater, Mutter, Bruder Schwester, ambivalent bleiben. Erst wo wir uns auf Gott ausrichten - "das Wort Gottes hören und danach handeln" - erst dort beginnt das Reich Gottes. Am Fest der Heiligen Familie steht die Botschaft, dass es auch in der Familie, in der Gott Mensch werden wollte, einen Weg brauchte, die Ebene reiner Blutsverwandtschaft zu verlassen, um gemeinsam fern Vater im Himmel zu entdecken. Amen.