Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt am 5. Fastensonntag 2022 - Predigtreihe "verWANDLUNG"

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3. April 2022 - St. Peter, Sinzig (Predigtreihe "verWANDLUNG")

1. Wandlung in der Tiefe

  • Die kleine Antonia wusste nicht, dass diese Fahrt sie tausende Kilometer aus ihrer ukrainischen Heimat wegbringen würde. Erst unterwegs haben die Eltern versucht, es ihr zu erklären. Der Vater würde an der Grenze zurückbleiben müssen, die Mutter mit den beiden Kindern nach Deutschland fahren. Jetzt sind sie hier. Aber in der Tasche, die für die Kleine gepackt worden war, lag nicht ihr Lieblingsstofftier, sondern ein anderes, das sie gar nicht kannte. Es war ein kleiner Stofflöwe, der ihr daheim gar nichts bedeutet hatte. Doch jetzt hatte sie nichts Anderes.
    So ist heute dieser Stofflöwe für die kleine Antonia die wichtigste Erinnerung, die sie an ihre Heimat hat. Wenn sie ihn ganz festhält, dann ist sie mit ihrer Heimat verbunden. Dann erinnert sie sich an ihre Freunde und an ihren Vater, der zurückbleiben musste. Äußerlich hat sich das Stofftier nicht verändert. Doch es hat sein Wesen gewandelt.
  • Was mit diesem Stofftier passiert ist, nennt die katholische Tradition Transsubstantiation. Das einfachere deutsche Wort dafür ist Wandlung. Doch die Wandlung, die hier gemeint ist, verändert nur die Substanz, nicht das Äußere. Diese Unterscheidung zwischen Substanz und den äußerlich wahrnehmbaren Eigenschaften (den "Akzidenzien") ist entscheidend für den katholischen Versuch, zu erklären, in welcher Weise ein einfaches, gebrochenes Brot der Leib Christi sein kann.
    Eine Wandlung wurde vollzogen. Brot bleibt Brot und ist doch etwas zutiefst Anderes geworden. Die Substanz, das Darunterliegende, das, was das Ding eigentlich ist, und nicht sein äußeres Aussehen, hat sich verändert. Das ist die tiefe Wandlung, die sich mitten in unserer Welt vollzieht, auch wenn kein Auge es sehen kann. Denn die Substanz ändert sich, nicht das Aussehen und oftmals vielfach auch nicht das Ansehen
  • Zwischen dem Stofftier von Antonia und der Wandlung in der heiligen Messe gibt es natürlich gravierende Unterschiede. Dennoch scheint mir der Vergleich hilfreich, um zu verstehen was für uns Wandlung bedeutet. Denn als Christen sind wir davon überzeugt, dass die Wandlung in der Heiligen Messe nicht ein isoliertes Geschehen auf dem Altar ist. Die Wandlung in der Hl. Messe hat vielmehr die Kraft, die Kirche und sogar diese Welt zu wandeln.

2. Wandlung im Glauben

  • Es gibt Änderungsprozesse, die langsam verlaufen. Manchmal sind sie so langsam, wie das Wachsen eines Baumes, wo man schon sehr viel Geduld haben muss, um ihm dabei zuzusehen. Nicht immer geht es so langsam. Wo die Wandlung im Herzen geschieht, nennt das die Bibel Umkehr, Metanoia. Und, ja, diese Umkehr ist ein mühsamer Prozess, der Rückschläge und Enttäuschungen kennt. Solche Veränderung des Herzens und des Geistes Wandlung braucht einen langen Atem. Diese Wandlung braucht Freunde, die mich auf dem Weg bestärken. Diese Wandlung braucht eine Kultur, in der sie wachsen kann, eine Luft, die sie atmen kann. Deswegen ist die christliche Gemeinschaft unentbehrlich für das Wachsen im Glauben und eine nur oberflächlich glaubende Gemeinde so fruchtlos.
  • Leider ist durch die kirchliche Praxis vielfach der Eindruck entstanden, die Wandlung geschehe durch so etwas wie Zauberworte, die der Priester über Brot und Wein spricht. Auf Latein heißen die Worte: "Hoc est enim corpus meum". Das Volk, das kein Latein verstanden hat, hat nur "Hokuspokus" verstanden, wenn der Priester am Altar "hoc est enim corpus" gemurmelt hat. Die Wandlung aber ist kein Hokuspokus. Vielmehr gehört zur Wandlung das ganze große Hochgebet, das über die Gaben von Brot und Wein gesprochen wird auch die Bitte um den Heiligen Geist, der Dank an Gott den Vater, der uns das Brot und den Wein geschenkt und ermöglicht hat;. die Bitte um den Heiligen Geist, der allein eine Wandlung bewirken kann; die Erinnerung daran, das hier geschieht, was Jesus vollzogen hat; ein Opfer, das gegenwärtig setzt, was Jesus getan hat. Ist es nicht das, was wir für unser Leben erhoffen, dass das Leben und Beispiel von Jesus uns selbst wandelt?
  • Tatsächlich geschieht das, was zeichenhaft am Altar geschieht, auch im wirklichen Leben. Auch hier geschieht es nicht ohne den Heiligen Geist. Doch sind es äußere Ereignisse, durch die sich alles bis in die Substanz hinein schlagartig verändern kann. Meist ist es die Erfahrung der Gewalt und des Todes. Nicht zufällig setzt die Wandlung einen Bezug zu Jesu Tod am Kreuz her. Der Tod eines Menschen, eine Katastrophe oder ein Krieg kann alles von Grund auf verändern, zum Guten oder zum Schlechten, je nachdem, ob dem Geist Gottes dabei Raum gelassen wird. Zahllos sind die Beispiele, dass Menschen im Angesichts des Schreckens, etwa im KZ der Nazis, sich gewandelt haben. Die Gewalt ist und bleibt ein Verbrechen, aber in Gottes Geist kann sie Menschen zum Heil hin wandeln. Dies Wandlung kann auch dort geschehen, wo manipulative Gewalt, Missbrauch von Macht, Ansehen und Vertrauen aufgedeckt werden, weil Menschen beginnen zu sprechen. Wo das Schweigen durchbrochen wird, ist häufig die große Chance auf Wandlung. Wo das Verschweigen der unbequemen Wahrheit gebrochen wird, beginnt Wandlung.
  • Doch was ist das andere Gegenteil von Transsubstantiation? Was ist das Gegenteil dessen, dass die Substanz sich wandelt? Neben dem Schweigen ist das Gegenteil von Wandlung die Kosmetik. Die Kosmetik verändert nur die Oberfläche. Trotzdem greifen Menschen oft viel lieber zu Kosmetik, als dass sie bereit wären, an die Substanz zu gehen. Im Glauben ist das besonders fatal. Denn natürlich sind für den Glauben die äußeren Formen wichtig. Aber gerade deswegen kann eine Gemeinde oder Familie lange mit Kosmetik verdecken, wo die Substanz schon lange nicht mehr stimmt.
  • Deswegen auch scheitern so viele Bischöfe und Kirchenstrukturen aller Konfessionen im Angesicht der Gewalt gegen Kinder und Schutzbefohlene sowie bei geistlichem Missbrauch. Sie suchen danach, wie die Kirche (damit meint die Hierarchie regelmäßig nur sich selbst), Glaubwürdigkeit zurückgewinnen könne. Sie fragen damit nur nach der besten Kosmetik. Dabei ist gerade das Sprechen der Opfer der Gewalt ein Ort der Offenbarung, die die Substanz wandeln kann. Der Glaube könnte wieder vom Kreuz her erneuert werden, vom Blick auf das Opfer der Gewalt, nicht auf die Institutionen. Doch, wie gesagt, was ich hier über die Strukturen und Leitung der Kirche sage, gilt genauso für jeden einzelnen, der im Glauben Christus nachfolgen möchte. Kosmetik ist das Gegenteil von Transsubstantiation.

3. Wandlung vom Tod zum Leben

  • Was hat Jesus im Abendmahl-Saal bewogen, das Brot zu nehmen, es zu brechen, es seinen Jüngern zu geben und zu sagen: "Das ist mein Leib. Tut dies zu meinem Gedächtnis!"? – Jesus wusste, was auf ihn zukommt; daher wollte er durch dieses heilige Zeichen die Wirklichkeit des Kreuzes verändern. Äußerlich sichtbar war das Kreuz dieselbe abscheuliche Gewalthandlung der Römer an einem Menschen geblieben. Nichts daran war schön und erbaulich. Doch Jesus hat durch dieses letzte Mahl, dass er am Vorabend mit seinen Jüngern gefeiert hat, das Schicksal, das ihm bevorstand verwandelt. Er hat es in Beziehung gesetzt zu dem heiligen Opfer, das im Tempel zu Jerusalem dargebracht wurde: Er würde am Kreuz sein Leben hingeben. Es sollte das Ende des blutigen Opfers sein. Zu seinem Gedächtnis sollen fortan Brot und Wein genommen werden, die zu seinem Gedächtnis dargebracht und von Engeln auf den himmlischen Altar gebracht werden, im Tempel des himmlischen Jerusalems.
  • All das ist nur zu verstehen, wenn wir den Hintergrund des jüdischen Tempels in Jerusalem sehen. Doch auch ohne all dieses Wissen ist vielleicht verständlich, warum sich in diesem Verständnis ein einfaches Brot, das 2.000 Jahre später im Gebet vor Gott gebracht und gebrochen wird, so grundlegend wandeln kann. Es ist weiterhin das Brot, das wir sehen und berühren und essen. Und doch ist es vom Wesen her, von der Substanz her gewandelt zur lebendigen Gegenwart von Jesus Christus: Weil er dies wollte, weil Gott dies angenommen hat, weil der Heilige Geist uns zusammengeführt hat, weil all dies geschehen ist und sich nun in diesem Brot ereignet. Das ist Wandlung.
  • Insofern ist für uns Wandlung so häufig auch ein erfolgreicher Widerstand gegen ein gewaltsam aufgezwungenes Schicksal. Die Römer wollten Jesus nur umbringen. Jesus aber hat das Äußere Ereignis gewandelt. Zur Erinnerung: Die Wandlung des kleinen Stofftiers für Antonia ist auch eine Wandlung, die diese dem Krieg entgegensetzt, der sie aus ihrer Heimat vertrieben hat.
    Wenn wir also Gott bitten: "Sende deinen Heiligen Geist über die Gaben von Brot und Wein herab, damit sie uns werden zum Fleisch und Blut Christi", dann rufen wir um diesen Geist, der die Transsubstantiation des Kreuzes bewirkt hat. Die Substanz des Kreuzes sollte der Sieg der römischen Militärmacht über Israel sein. Es wurde zum Sieg der Ohnmacht über die Macht. Das Kreuz war der Sieg des Todes über das Leben; das Kreuz wurde zum Sieg des Lebens über den Tod. Das ist das Geheimnis unseres Glaubens: Wandlung.