Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigten zum Dreifaltigkeits-Sonntag im Lesejahr A 2020

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7. Juni 2020 - Heilig Kreuz Bonn-Bad Godesberg

1. Rassismus und Dreifaltigkeit

  • Rassismus und Dreifaltigkeit passen nicht zusammen. Das gilt nicht irgendwie und abstrakt, sondern konkret, in Mentalität, Struktur und Politik.
  • Rassismus bedeutet, dass ich Menschen nicht in ihrer individuellen Vielfalt sehe, sondern in einer irgendwie konstruierten Einheit, indem ich aufgrund körperlicher Merkmale eine Schublade bastle und sie alle hineinstecke. Ob ich auf eine rassistische Schublade dann drauf schreibe, dass das alles Diebe, Mörder, Betrüger oder aber Helden, Aufrechte, Wahre seien, das ist eigentlich egal. Im Kern ist Rassismus, dass ich Menschen auf einen angeblich festzustellendes äußerliches Merkmal reduziere und nicht mehr frage, ob sie alt oder jung, Mann oder Frau, verheiratet oder ledig, aus reichen Verhältnissen kommend oder aus armen, vom Krieg traumatisiert oder im Wohlstand groß geworden sind, und so weiter. Diese ganze Vielfalt interessiert nicht mehr. Aus Vielfalt wird im Rassismus nur noch Eins.
  • Dreifaltigkeit aber ist die Erfahrung, dass aus Eins Vielfalt wird. Der Eine ist Vielfalt. Dreifaltigkeit, erlebe ich nicht als eine abstrakte theologische Kategorie, sondern als gelebten Glauben. Und der ist das glatte Gegenteil von Rassismus. Dreifaltigkeit bedeutet, dass ich den einen Gott in der Vielfalt erkenne, und ihn in immer wieder neuer, überraschender Vielfalt am Werke sehe. Ich muss mich sozusagen ständig aufs Neue mit überraschender Vielfalt beschäftigen, um zu entdecken, auf wie vielfältige Weise Gottes Geist mir in meiner Welt begegnet. Gott hat in Jesus Christus eine überraschend andere Gegenwart gefunden, und dieser Christus ist durch die Zeiten hinweg in immer neuer Gestalt für uns gegenwärtig, in seinen Schwestern und Brüdern, wie er sagt.

2. Mentalität, Struktur, Politik

Rassismus und Dreifaltigkeit betreffen Mentalität, Struktur und haben eine politische Dimension.

  • Die Mentalität ist leicht zu erkennen. Rassismus ist eine Haltung, die sich in Vorurteilen erschöpft, um die Welt in Gut und Böse, wir und die anderen, unterteilen zu können. Das Gegenteil ist das christliche 'Gott Suchen in allen Dingen' und wird belohnt durch 'Gott finden in allen Dingen'.
  • Struktureller Rassismus ist schon schwerer zu begreifen. Der herrscht immer dann, wenn Menschen systematisch im Zusammenleben benachteiligt werden, weil sie so oder so aussehen oder zu dieser oder jener Gruppe zu gehören scheinen.
    Das ist ein echtes Problem. Wenn die Polizei aus Erfahrung weiß, dass eine bestimmte ethnische Gruppe in einem bestimmten Stadtteil für Drogenhandel statistisch überwiegend verantwortlich ist, dann ist es naheliegend und grundsätzlich nicht falsch, alle, die zu dieser Gruppe gehören, besonders im Auge zu behalten. Aber gerade in so einer Situation braucht es große innere Wachheit und Freiheit gegenüber den eigenen Vorurteilen, um im entscheidenden Augenblick dem Einzelnen gerecht zu werden. Polizeieinheiten, die 'ethnic profiling' anwenden, brauchen eine extrem anspruchsvolle innere Kultutr des Respekts vor dem Einzelnen.
    Eine strukturell aus dem Glauben an die Dreifaltigkeit geprägte Kirche wäre entsprechend strukturell offen für die Vielfalt der Sprachen und Kulturen, der Geschlechter und der Generationen. Da ließe sich leicht die kirchliche Realität mit dem theologischen Anspruch abgleichen.
  • Mit politischem Rassismus schließlich meine ich jeden Versuch, mit solchen Vorurteilen die eigene Macht und den eigenen Einfluss auszudehnen. Das ist nicht nur ein Instrument für einen dauernd zwitschernden US-Präsidenten, sondern kann in jeder Kirchengemeinde, Schulklasse oder Firma vorkommen. Überall dort, wo Macht zwar notwendig ist, um in einer Gemeinschaft zu handeln, besteht zugleich die Versuchung, die eigene Macht durch rassistische Vorurteile populär zu machen. Eine Kirche, die dieses Problem nicht erkennt und wachsam über die Mechanismen der Macht reflektiert, wird nicht verstehen, dass das innerste Geheimnis der Dreifaltigkeit ist, dass Gott in seiner Allmacht ohnmächtig wurde, dass Gott die Liebe ist, die sich ganz davon abhängig macht, dass sie empfangen wird.

3. Dreifaltige Liebe

  • Und das schließlich ist es, was vor allem verloren wird, wenn ich die Einheit Gottes nicht in ihrer Vielfalt sehe. In dem Nikodemus-Gespräch, aus dem das heutige Evangelium genommen ist, betont Jesus, dass ein jeder schon das Gericht empfangen hat, der nicht an ihn glaubt. Das bedeutet doch: Jeder, der sich nicht dafür öffnet, Gottes Liebe zu empfangen, kann diese nicht empfangen. Denn jede Liebe ist ohnmächtig, gegenüber dem der sich ihr verweigert.
  • Ohne Vorurteile kommen wir nicht durchs Leben. Wir sind darauf angewiesen, in einer komplizierten Welt zu vereinfachen. Deswegen ist es ein legitimes Morgengebet: "Lieber Gott, erhalte mir meine Vorurteile, damit der Tag nicht so anstrengend wird!". Dann sollte aber direkt danach das Gebet folgen: "Und bewahre mich vor meinen Vorurteilen, dass ich es nicht übersehe, wenn du mir heute auf überraschend neue Weise in einem Menschen begegnen willst!"
  • Der Sonntag Dreifaltigkeit schließt den Festkreis von Weihnachten, Ostern und Pfingsten ab. Am Ende des großen Kreises, von Gott der als Mensch geboren wird, Gott, der den Tod überwindet und das Leben neu erschafft, und Gott, dessen Geist über die Völker ausgegossen wird, feiern wir an diesem Sonntag die Vielfalt Gottes. Gott ist der eine und nur einer, Ursprung des Himmels und der Erden. Doch Gott ist auf so vielfältige Weise gegenwärtig, um uns, den Vielen, mit seiner Liebe zu begegnen. Amen.