Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 4. Sonntag der Osterzeit Lesejahr C 2016 (Offenbarung)

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17. April 2016 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Die Schar der Völker

  • "Ich und der Vater sind eins", sagt Jesus auf Erden von sich und Gott, seinem Vater im Himmel. Die strikte Trennung von Himmel und Erde ist nur in den Köpfen. Die Menschen vergessen ihre Herkunft aus Gott. Sie vergessen, dass sie Gottes Kinder, Kinder des Himmels sind. Die Trennung von Himmel und Erde besteht nicht in dem, was die Grenzen unserer Sprache und Vorstellungskraft meint. Sie besteht eher schon in der Begrenztheit, die wir uns selbst auferlegen und auferlegen lassen.
  • In der Osterzeit hören wir immer wieder Ausschnitte aus dem Buch der Offenbarung. Dem Seher Johannes wurde auf der Insel Patmos in Bildern offenbart: In Jesus Christus hat Gott Himmel und Erde verbunden. Alle, die auf Erden zu Jesus gehören, sind Kinder Gottes im Himmel.
  • Der Seher Johannes schaut die Himmel der Himmel und sieht die für Menschenaugen unzählbaren Völker vor Gott, der sie einzeln kennt und ruft, weil sie zu ihm gehören: "Eine große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen; niemand konnte sie zählen".

2. Teil meiner selbst

  • Man spricht im Deutschen gerne von Diesseits und Jenseits. Auch andere Sprachen kennen die Rede von dieser Welt und der Welt, die danach kommt (the afterworld, hereafter, wiat pozagrobowy, au-delà). Das suggeriert, dass das Jenseits so etwas wie das Diesseits sei, nur eben auf der anderen Seite der Grenze. Strikt getrennt, aber irgendwie dasselbe, suggeriert das Bild vom Diesseits und vom Jenseits. -
    Wenn Sie aber die Berichte lesen, die von den österlichen Begegnungen mit dem Auferstandenen Jesus zeugen, dann wird Ihnen auffallen, dass diese immer wieder darauf verweisen, wie sinnlich gegenwärtig das Ganz-Andere des Auferstandenen ist, kein Teil der Welt und doch in ihr gegenwärtig.
  • Vielleicht hilft folgende Überlegung: Die einfache Form der Unterscheidung von dem was Ich und was Nicht-Ich ist, wäre die Grenze der Haut. Bis dahin bin ich, leib-seelisch doch begrenzt in Raum und Zeit. Das ist eine sinnvolle Grenzziehung. Damit kommt man im Leben gut zurecht.
    Aber wenn ich mir - etwas darüber hinaus - die Frage stellt, ob es nur an meiner Haut ist, wo ich verletzlich bin oder zärtlich berührt werden kann, dann stimmt das schon nicht mehr so eindeutig.
  • Allein schon wenn ich darauf achte, wie viel oder wenig mich berührt, was einem mir nahe stehenden Menschen Gutes oder Leids getan wird, dann ist die Grenze nicht so eindeutig. Wenn ich darauf achte, wie die enge Zugehörigkeit zu einer Gruppe dazu führt, dass mir gut tut, was anderen gut tut, und mich verletzt, was eigentlich nur andere verletzt, dann merke ich, dass mein Leib weiter geht, als nur bis an die Grenze der Haut. Wozu ich in liebender Beziehung stehe, und wer zu mir in liebender Beziehung steht, kann mehr Teil meiner selbst sein, als wir oberflächlich meinen.

3. Der Himmel auf Erden

  • Wir können das Buch der Offenbarung so lesen, dass darin die Grenze durchlässig gezeigt wird, von der wir meinen, dass sie die Erde zum Himmel hin abgrenzt, wie ein vorschnelles Urteil das Ich vom Du abgrenzt. Was der Seher im Himmel schaut ist nicht zeitlich nach dem Hier und Heute. Vielmehr ist es die Tiefensicht des Hier und Heute. Für den, dem mehr zu sehen gegeben ist, als nur die Oberfläche, der macht die Erfahrung, dass diese Wirklichkeit eine Beziehung in die Wirklichkeit Gottes hinein hat, die man den Himmel nennt. Was die Offenbarung im Himmel sieht, ist die gegenwärtige Wirklichkeit - und übersteigt sie zugleich unendlich.
  • Diese Welt wird dort durchlässig auf die andere Welt, wo sie aus der Hingabe lebt. Das Kreuz Jesu ist daher so etwas wie ein Schlüssel zum Himmel, weil darin die völlige Hingabe Gottes offenbar geworden ist. Wenn Jesus sagt, "Ich und der Vater sind eins", dann sagt er damit, dass in seiner Liebe und Hingabe Gott, der Vater gegenwärtig ist. Aber weil dies in dem Menschen Jesus geschieht, ist es zugleich der Weg, auf dem Menschen aus "allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen" Zugang zum Himmel erfahren. Die Johannesoffenbarung formuliert: "Sie haben ihre Gewänder gewaschen und im Blut des Lammes weiß gemacht". Das ist in der Sprache des jüdischen Tempelkultes ganz eindeutig: Die Hingabe auf dem Opferaltar im Tempel ist Reinigung, die fähig macht, vor Gott hinzutreten. Deswegen bilden wir in unserer christlichen Liturgie diese Liturgie nach, weil das von alters her die Weise ist, wie angemessen das dargestellt und mystisch erfahren werden kann, was das Evangelium bedeutet.
  • Himmel und Erde sind nicht dasselbe. Niemand weiß das besser, als die Offenbarung des Johannes, der mitten "aus der großen Bedrängnis" und der Verfolgung kommt, und der den Himmel schaut. Dennoch ist das, was er sieht, auch eine Gegenwartserfahrung mitten im Leid. Es ist die Erfahrung aller Menschen, die ihr Leben nicht krampfhaft festhalten, sondern sich öffnen für die hingebende Liebe. Für die Liebe, die den Tod nicht scheut, ist eben immer auch himmlische Gegenwart: "Das Lamm in der Mitte des Thrones wird sie weiden und zu den Quellen führen, aus denen das Wasser des Lebens strömt, und Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen."