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19. November 2023 - Sinzig-Franken
1. Gleichnis
Vier Grundannahmen scheinen mir wichtig, wenn man die Gleichnisse Jesu verstehen will.
So ist das auch mit Gleichnis von "einem Mann, der auf Reisen ging". Erst klingt es so, als sei dies ein Bild für Gott – abwesend, aber sein Reich hat er uns anvertraut, dass wir uns mit unseren Talenten, kleinen und großen, engagieren. Und irgendwann werde uns Gott am Ende der Zeit zur Rechenschaft ziehen. Wer etwas aus sich gemacht hat, wird belohnt. Wer ängstlich meinte, zu kurz gekommen zu sein, dem gibt dann Gott den Rest, wirft ihn "hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein."
Ich erinnere an Grundannahme drei: Jesus, nicht ohne Humor, will dass wir anfangen zu denken. Ist Gott so, wie dieser im römischen Reich typische Großgrundbesitzer, der seine Sklaven arbeiten lässt? Sind sie erfolgreich, kassiert er ab, belohnt aber auch die Sklaven. Sind unnütze Sklaven für ihn nur eine Fehlinvestition, die er abschreibt. Ist Gott so? Und wie ist es dann wirklich mit dem Himmelreich, dem Kommen der Gegenwart Gottes in unser Leben und unsere Welt? - Jesus hatte sich entschieden, es seinen Jüngern nicht einfach zu machen.
2. Ungerechtigkeit
Ich kann mir vorstellen, dass Jesus mit dem Gleichnis seine Jünger ärgern will. Und Jesus hält unseren Ärger aus. Der Ärger über den Reichen, der andere für sich arbeiten lässt. Der Ärger, dass er so lange nicht kommt und keine Nachricht gibt. Der Ärger, dass die einen mehr, die anderen weniger anvertraut bekommen. Der Ärger, dass auch noch gelobt wird, durch Zins-Nehmen Geld zu verdienen (was die Bibel verbietet). Der Ärger, dass das Gericht am Ende so endgültig und hart ist. Jesus jagt nicht nur heute seine Leute auf die Palme!
Vielleicht summiert sich das im dritten Knecht. Bei manchen alten Menschen erlebe ich das, wie sich die ganze Bitterkeit des Lebens zusammenballt in dem einen großen Vorwurf, zu kurz gekommen zu sein. Andere haben es im Leben einfacher gehabt. Manchen sind mit goldenen Löffeln im Mund geboren. Vielleicht waren die anderen einfach skrupelloser. Die Zeche zahlen immer die Kleinen.
Das Schlimme ist: Vielleicht stimmt das alles sogar! Es gibt schreiende Ungerechtigkeit im Leben. Manchen ist das Leben schon zur Last gemacht worden, bevor es richtig angefangen hatte. Das ist bittere Realität!
Doch was folgt für mich daraus? Davon, denke ich, handelt das Gleichnis. Es ist eingebettet in das Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen letzten Sonntag, in dem die Einladung zur Hochzeit mit der Frage verbunden wird, ob ich dazu bereit bin. Und es ist eingebettet in das Gleichnis vom Weltgericht, wenn es inhaltlich zur Sache geht: In den Armen, Kranken und Gefangenen begegnet uns der Herr des Gerichts und entscheidet sich mein Leben.
3. Gottesgegenwart
Spätestens im nächsten Gleichnis beantwortet Jesus also die Frage, ob Gott – oder der Christus, dem er das Gericht überträgt – so ist, wie der abwesende Reiche, der seine Sklaven für sich schuften lässt und aussortiert, wer keine Leistung bringt. (In Taylor Hackfords "The Devil's Advocat"FN1 diffamiert der Leibhaftige nicht zufällig Gott als den "absent Landlord" aus dem Gleichnis Mt 21,33, hier an die Schriftgelehrten gerichtet).
Ja, das Leben ist ungerecht. Ich vermute, dass nicht wenige Gott dazu befragen wollen, warum das so ist. Doch dieses irritierende Gleichnis kann eben dies erreichen, dass es uns irritiert. Der dritte der Knechte ist es doch, den Jesus offensichtlich ansprechen will. Diesem Menschen, der nicht nur das anvertraute Talent – Silbergeld im Wert von vielleicht 10 T€ – sondern sich selbst vergraben hat. Diesem Menschen zuerst, dann auch allen sagt Jesus: Am Ende bist Du entscheidend! Lässt du die Ungerechtigkeit anderer über dein Leben entscheiden? Oder wählst du statt der "äußersten Finsternis" das Licht.
Dass dies Jesu Richtung ist, wird für mich vor allem aus dem darauffolgenden Gleichnis deutlich. "Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, empfangt das Reich als Erbe, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist! Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen." Damit kippt das heutige Gleichnis und es wird deutlich, wie anders Gott ist. Gott ist nicht der abwesende Landbesitzer, sondern mitten unter uns. Christus ist unter uns, hungrig, durstig, fremd, gefangen. Und doch ist er uns hier so nahe, nicht abwesend, nährt uns mit seinem Heiligen Leib und ist nicht fremd, sondern nennt uns Freunde, Freunde in Gott. Amen.
FN1Bei Elias L. Khalil ("The Fellow-Feeling Paradox: Hume, Smith and the Moral Order," Philosophy 90, no. 4, Oktober 2015, S. 661) findet sich der Hinweis, dass die Frage in der Schottischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts diskutiert worden sei: “What is the cement of human society if God is an absent landlord? That is, if we remove the church and the state from engineering the social order, and trust such order to the passions, would it be possible for economic prosperity and moral order to arise spontaneously?”
Der Ausdruck, letztlich eine Deismus definierend, findet sich breit in der englischsprachigen Agnostizismus-Diskussion.
Ob damit auf Mt 21,33 angespielt wird, konnte ich nicht finden.