Predigt zum 31. Sonntag im Lesejahr C 2022 (Lukas)
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30. Oktober 2022 - St. Peter, Sinzig
1. Kippbild Zachäus
- Kippbilder nennt man diese Zeichnungen, wo man eben noch das eine, dann das andere sieht. Eben noch ein Hase, dann eine Ente, oder in einem anderen Bild: Eben noch eine alte, dann eine junge Frau – und umgekehrt. Die Forschung zeigt, dass dabei das Vorwissen eine wichtige Rolle spielt, was eintritt: man sieht das eine oder das andere, kann aber nach einiger Zeit versuchen, zwischen den beiden hin und her zu schalten.
- Ein solches Kippbild scheint mir das heutige Evangelium zu sein. Man sieht immer das eine und, erst darauf aufmerksam gemacht, sieht man das komplett andere Bild.
- Wer irgendwie christlich aufgewachsen ist, kennt wohl Zachäus, den kleinwüchsigen Zöllner, der auf einen Baum klettern muss, um Jesus zu sehen, als dieser vorbeikommt. Als Geschichte vorgelesen, im Kindergarten gemalt, in der Kirche gehört ist die Erzählung eher zu viel als zu wenig präsent. Und immer sieht man den Zöllner, bei dem Jesus zu Gast sein will (ja, muss!) und der daraufhin verspricht, die Hälfte seines Vermögens den Armen zu geben und unrechtmäßig erhobene Zölle vierfach zurückzuzahlen. Es ist das Bild des Reichen Zöllners, der Jesus sehen will und sich zu einem gerechten Leben bekehrt, als Jesus bei ihm zu Gast ist.
2. Wie alle ihn sehen
- Die erste Hälfte des Evangeliums ist so, wie wir es kennen. Zachäus klein von Wuchs, groß an Reichtum und Einfluss, doch er will Jesus sehen. Für alle, die selbst klein an Reichtum und Einfluss sind, dürften sich die Sympathien für Zachäusse in Grenzen halten. Man kann vermuten, dass in der ersten Christengemeinschaft die wenigen Reichen, die sich ihnen angeschlossen hatten, eher misstrauisch beäugt wurden, auch wenn sie aufrichtig "Christus sehen" wollten, auch wenn sie – wie schon Zachäus – mit dem Herrn zu Tisch liegen und teilhaben an seinem Mahl.
- Doch dann kommen "alle, die das sahen". Sie sehen den reichen Zöllner und empören sich – über Jesus wie über Zachäus. Und das Evangelium zitiert Zachäus: "Siehe, Herr, die Hälfte meines Vermögens gebe ich den Armen, und wenn ich von jemandem zu viel gefordert habe, gebe ich ihm das Vierfache zurück."
Erst beim zweiten Lesen kippt das Bild. Hier steht (in der korrekten Übersetzung!) tatsächlich nicht: "Ich will die Hälfte den Armen geben", sondern: "Siehe, ich gebe die Hälfte den Armen!". Ein Faktum, das Jesus nicht in Frage stellt.
- Das Bild kippt. Jesus ist nicht bei einem Sünder zu Gast, der sich daraufhin bekehrt. Jesus ist bei einem zu Gast, der sich vorbildlich verhält, auch wenn er von den anderen ausgegrenzt und verstoßen wird. Sie wollten nicht sehen, dass dieser – Zöllner hin oder her – seinen Reichtum verwendet, um Gutes zu tun. 10% für die Armen waren biblisch gefordert, 50% gibt Zachäus.
3. Offenbarwerden des Gerechten
- "Heute", sagt Jesus bei Zachäus, "ist diesem Haus Heil geschenkt worden, weil auch dieser Mann ein Sohn Abrahams ist". Das Heil liegt darin, dass Jesus mit Zachäus die Tischgemeinschaft herstellt und seine Gerechtigkeit sichtbar macht. Man kann das Evangelium in gewohnter Weise lesen. Aber es kann eben kippen, wenn man genau hinschaut.
- Es gibt die gerechten Menschen unter uns, die wir dennoch misstrauisch beäugen und denen wir nichts Gutes zutrauen. Es gab sie zur Zeit Jesu, es gab sie zu allen Zeiten der Kirche und es gibt sie heute, auch weit über die Kirche hinaus. Gott, der sucht, was verloren ist, macht in seinem Licht eben auch sichtbar, was gut ist unter uns.
- Dann ist dies nicht nur das Evangelium für alle, die sich ob ihrer Ungerechtigkeit dringlich bekehren müssen. Es ist auch das Evangelium für alle, die sich nicht ohne Erfolg bemühen, Gerechtigkeit und Liebe zu leben, aber vor den Menschen nicht rauskommen aus dem Bild, das sich alle von ihnen gemacht haben. Es ist Jesus, der ein solches Bild zum Kippen bringen kann: "Auch dieses ist ein Kind Abrahams", gehört dazu, ist von Gott angenommen, geliebt und gesandt. Amen.