Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 31. Sonntag im Lesejahr C 2007 (Lukas)

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4. November 2007 - Hochschulgottesdienst, Kaiserdom Frankfurt

1. Von Mitmenschen

  • Mitmenschen sind nicht immer hilfreich. Trotzdem mag man sie nicht missen. Würden Sie morgen aufwachen und die Stadt verlassen vorfinden, wäre das nur mäßig lustig. Auch wenn Ihnen alle Straßen und Kaufhäuser offen stünden und die Lebensmittelvorräte einige Zeit reichen, so wäre es doch unterhaltsamer mit anderen, auch wenn sie nicht immer hilfreich sind, so oder so.
  • Manche haben immer Menschen um sich. Sie genießen Anerkennung und Bewunderung. Ob das immer hilfreich ist, ist damit nicht gesagt. Für manche ist diese Anerkennung nur Futter für ihren unbändigen Narzissmus. Sie lernen nie, beziehungsfähig zu sein. Sie gieren nach Freundschaft und Anerkennung. Sie vollbringen dafür Höchstleistungen. Sie landen in Spitzenpositonen, genießen höchste Bewunderung und bleiben doch einsam.
  • Andere werden von den anderen ausgegrenzt. Das dürfte in der Regel gute Gründe haben. Es gibt unangenehme Zeitgenossen, Leute, die keine Manieren haben, Leute, die andere übers Ohr hauen oder schlicht asozial sind. Auch hier sind die Mitmenschen oft nicht hilfreich. Statt zu konfrontieren wird gemieden, statt zu integrieren wird ausgegrenzt. Selten finden solche Menschen andere, die ihnen eine Chance geben, aus der selbstverschuldeten Isolation auszubrechen. Sie sind und bleiben Mistkerle.

2. Von Zachäus

  • Ein solcher Mistkerl ist Zachäus. Man muss sich mit ihm gutstellen, denn er hat Einfluss. Der römische Staat hatte damals das Zollrecht meistbietend versteigert. Wer da das Höchstgebot abgegeben hat, wird sich mit allen Mitteln das Geld von den Leuten zurückholen. Zachäus war dadurch reich geworden. Freunde hat er sich dadurch nicht gemacht. Ich sehe die hämische Freude der Leute von Jericho, die den kleinwüchsigen Oberzöllner die Sicht versperren und den Typ geflissentlich ignorieren, der da hinten auf und abspringt, um was zu sehen.
  • Ob Zachäus eine Ausstiegsoption hat? Hinter seinem Wunsch, zu sehen, wer Jesus sei, muss irgend etwas stecken, was ihn umtreibt. Zollgebür will er von Jesus wohl kaum kassieren. Also ist da etwas anderes. Die Bibel hält es für möglich, dass Menschen sich ändern. Zum christlichen Menschenbild gehört das Vertrauen, dass jeder von uns auf der Suche ist.
  • Zachäus ist auf der Suche. Ob er so genau weiß, was er sucht kann bezweifelt werden. Da ist eine Leerstelle und eine Frage. Wofür die steht, lässt sich in Worten nicht sagen. Er riskiert aber für seine Frage für lächerlich gehalten zu werden, wenn er auf die weit ausladenden Äste des Maulbeerfeigenbaums steigt, um durch das dichte Laubwerk Ausschau zu halten, wer Jesus sei.

3. Von Jesus, dem Herrn und Menschensohn

  • "Er wollte gern sehen, wer dieser Jesus sei", heißt es im Evangelium. Der, für den er sich interessiert, ist zunächst ein Mensch, Jesus mit Namen. Von ihm hat Zachäus gehört, dass er keinen aus dem Volk Israel ausschließt, denn alle sind Kinder Abrahams. Deswegen springt er flink vom Baum herunter, als Jesus ihn überraschend dringlich zuruft: "Heute ich muss in deinem Haus zu Gast sein." Dass einer bei ihm zu Gast sein will, ja "muss", berührt ihn unmittelbar. Und Zachäus spürt den Klang des Wortes "heute". Da ist eine unaufschiebbare Chance, nicht etwas das für irgendwann auf den Terminkalender kommt.
  • Das Gastmahl ist das erste. Es ist eine menschliche Geste. Jesus verteidigt sich gegenüber den Beschimpfungen der Leute, die entsetzt darüber sind, dass er ausgerechnet bei "diesem da" einkehrt. Dass einer von ihnen selbst Jesus hätte einladen können, scheint nebenbei bemerkt keinem eingefallen zu sein. Zachäus aber nimmt einen bei sich auf, der zu ihm steht. Und irgendwann in dieser Begegnung muss er gespürt haben, dass hier mehr stattfindet als nur ein Gastbesuch. Mit einem Mal erscheint ihm Jesus als "der Herr". Die Unaussprechlichkeit des Gottesnamens wird zur Anrede Jesu. Und wie die Begegnung mit Gott den Menschen verändern kann, so legt auch Zachäus gegenüber "dem Herrn" ein Gelübde ab: "Herr, die Hälfte meines Vermögens will ich den Armen geben, und wenn ich von jemand zu viel gefordert habe, gebe ich ihm das Vierfache zurück." Das dürfte das Ende des Reichtums für ihn gewesen sein, denn als ehrlicher Zollpächter wird man nicht reich. Es ist aber der Beginn eines neuen Zachäus.
  • Das Ereignis ist eine zufällige Begegnung in Jericho. Jesus selbst aber macht deutlich, dass es um mehr geht, "denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist." Vom sich als dem Menschensohn redet Jesus im Evangelium immer dann, wenn deutlich werden soll, dass er von Gott her gekommen ist, wie es die Visionen des Propheten Daniel (7,13) vom Menschensohn geschaut hatten. In der Gestalt eines Menschen ist Gott selbst bei Zachäus zu Gast. Die Begebenheit wird damit zum Urbild des Glaubens: dass Gott bei uns zu Gast sein will. Der "Freund des Lebens" ist Gott selbst. Er ist nicht gekommen, um zu richten und zu verderben, sondern um uns Menschen aus der Zerstreuung zusammen zu führen. Dadurch, dass er bei uns zu Gast ist, wird aus dem Mitmenschen die Schwester und der Bruder. Dadurch, dass er unter uns ist, sind wir in aller Verschiedenheit doch eins. Dadurch dass er heute Abend bei uns zu Gast ist mit seinem Leib, will er uns auf den Weg des Zachäus bringen: dass aus der Suche und Frage ein Weg wird, der uns befähigt, einander Mitmenschen zu sein, hoffentlich auch hilfreiche. Amen.