Predigt zum 26. Sonntag im Lesejahr B 2006 (Markus)
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1. Oktober 2006 - Universitätsgottesdienst St. Ignatius Frankfurt
09,38-43.45.47-48
Hinweis: Die
sehr kritischeAuseinandersetzung mit dem Editorial meines Mitbruders P. Martin
Maier SJ in der Septemberausgabe von "Stimmen der Zeit"
über das Bischofswort zur Mitarbeit im Verein 'Donum Vitae' (pdf)
wird in der vorgetragenen Predigt so nicht vorkommen; ich werde auf die
schriftliche Fassung im Internet verweisen.
1. Ein Evangelium
- Die Jünger hatten darüber diskutiert, wer unter ihnen der Größte
sei. Während Jesus sie darauf vorbereiten wollte, dass er, der Messias,
den Weg des Kreuzes gehen würde, hatten die Herren Apostel kein besseres
Thema als ihre Karriere. In diesem Kontext steht das heutige Evangelium. In
diesen Zusammenhang gehört auch der Satz des Apostels Johannes, der offensichtlich
meint, von Jesus dafür gelobt zu werden: "Meister, wir haben
gesehen, wie jemand in deinem Namen Dämonen austrieb; und wir versuchten,
ihn daran zu hindern, weil er uns nicht nachfolgt."
- Johannes wird enttäuscht. Jesus nimmt den fremden Wundertäter
in Schutz. Das "Dämonen austreiben" bezeichnet nach
damaliger Vorstellung die Befreiung eines Menschen von der Knechtschaft einer
Krankheit. Wenn einer dafür den Namen Jesu in Anspruch nimmt, kann er
nicht so schlecht sein und wird nicht gleichzeitig sich als Gegner Jesu gebärden.
Jesus hat also gar nichts dagegen, dass Leute in seinem Namen Gutes tun, auch
wenn sie nicht zur Schar seiner Jünger gehören. Der Apostel Johannes
hätte für die Kirche gerne so eine Art Patentschutz auf den Namen
Jesu. Damit denkt er definitiv zu eng.
Gleich im nächsten Satz jedoch macht Jesus deutlich, dass für ihn
natürlich die Nachfolge der Jünger wichtig ist. Deswegen hat er
die Apostel doch berufen. Er will zur Kirche sammeln. Deswegen verheißt
er auch jedem den himmlischen Lohn, der denen Gutes tut, die zu Christus gehören
- und sei es nur ein Schluck Wasser, den jemand den Jüngern gibt. Aber
umgekehrt kann der Name Jesu halt auch kraftvoll und befreiend wirken außerhalb
der Kirche.
- Auch der zweite Teil des heutigen Evangeliums ist eine Antwort auf das Gesprächsthema
der Apostel "wer von ihnen der Größte sei".
Größe besteht nicht in der makellosen Unversehrtheit, sondern im
aufrechten Gang. skandalon ist als Fremdwort auch im Deutschen bekannt: das,
was zu Fall bringt. Es heißt: "Wenn dich deine Hand zum Bösen
verführt, dann hau sie ab; es ist besser für dich, verstümmelt
in das Leben zu gelangen, als mit zwei Händen in die Hölle zu kommen."
Das klingt hart. Aber was hier - nicht ganz falsch - mit "zum Bösen
verführen" übersetzt ist, heißt wörtlich "zu
Fall bringen" - skandalizein. Jesu Mahnung klingt hart. Aber der
Prozess des Zu-Fall-Kommens ist schleichend. Jeder von uns weiß, was
einen selbst schleichend "zu Fall bringt", abbringt von
dem aufrechten Gang, auf der Linie, die meinem Leben Richtung und Sinn gibt.
Jesus fordert zum Schnitt auf. In drastischen Bildern, zugegebenermaßen,
aber doch nicht um zu schaden, sondern um zu retten. "Was nützt
es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt?"
(Mk 8,36)
2. Ein Thema
- Themenwechsel, in die Gegenwart. In diesem September erschien in der Jesuitenzeitschrift
'Stimmen der Zeit' ein Artikel, der die Bischöfe schroff dafür zurechtweist,
dass sie kirchliche Mitarbeiter darauf verpflichtet, nicht an der staatlich
organisierten Schwangerschaftskonfliktberatung mitzuwirken. Da diese Zeitschrift
als Stimme der Jesuiten wahrgenommen wird, fühle ich mich als Jesuit
berechtigt, dazu Stellung zu nehmen.
Hintergrund ist die Gründung des Vereins 'Donum Vitae', in dem sich Katholiken
unter Berufung auf ihr Katholik-Sein zusammengeschlossen haben. Zuvor hatte
die zuständige deutsche Bischofskonferenz nach langen, heftigen Diskussionen
und einer Intervention des Papstes beschlossen, nicht weiter an der Legalisierung
von Schwangerschaftsabbrüchen mitzuwirken. 'Die Kirche' ist ausgestiegen,
weil es problematisch ist, an einem System mitzuwirken, das zur Tötung
ungeborenen Lebens berechtigt, genauer gesagt, diese Tötung straffrei
stellt. Die Gründer von Donum Vitae sind Katholiken, die zum größten
Teil in führenden Positionen des deutschen Laienkatholizismus sind und
waren. Sie haben ausdrücklich betont, dass dieser Verein "keine
Vereinigung außerhalb der katholischen Kirche" (1)
sei.
- Die Diskussion um Mitwirkung oder Ausstieg bei der Schwangerschaftskonfliktberatung
ist gerade in diesem Bistum (Limburg) aufrichtig und intensiv gerungen worden.
Beide Positionen haben ein hohes moralisches Recht für sich. Ein Mitwirken
kann erwiesener Maßen mehr Menschen erreichen, um sie zu überzeugen,
dass es Alternativen zur Abtreibung gibt. Aber Mitwirken bedeutet auch, dass
man mit wirkt an einem gesetzlichen System, dass die Tötung ungeborenen
menschlichen Lebens erleichtert, indem es dies straffrei stellt. In der deutschen
Bischofskonferenz gab es beide Positionen. Durchgesetzt hat sich 1999 auch
auf Wunsch des Papstes die Position: Wenn wir als Kirche bei einem Rechtssystem
mitwirken, das die straffreie Tötung ermöglicht, dann wird mit den
Christen das selbe passieren, was mit dem deutschen Grundgesetz passiert ist.
Denn auch dieses verbietet Abtreibungen. Aber die überwältigende
Mehrheit der Bürger nimmt das nicht mehr zur Kenntnis. Abtreibung ist
zur gesetzlich sanktionierten und geregelten Normalität geworden, als
gäbe es das Tötungsverbot des Grundgesetzes nicht.
- Was mir an dem Artikel meines Mitbruders im Jesuitenorden besonders untragbar
erscheint, ist ein Vergleich, der nach meiner Meinung auf eine Unterstellung
hinausläuft. Er schreibt: "Keine kirchliche Autorität wird
Christen in Deutschland daran hindern können, aus ihrem Gewissen heraus
Donum vitae zu unterstützen und zu fördern, um so ungeborenes Leben
zu retten. Niemand wäre auch nur auf die Idee gekommen, Katholiken in
der Zeit des Naziterrors zu verbieten, alles in ihren Kräften Stehende
zu tun, um mit dem Tod bedrohte Juden zu retten."(2)
Der Vorwurf an die Bischöfe ist deplaziert. Dabei wäre sachlich
- wenn man überhaupt mit solchen Vergleichen arbeiten wollte - eher ein
andere Frage angebracht: Hätten Katholiken damals als Gruppe 'Deutscher
Katholiken' in die Partei eintreten sollen, um von innen, innerhalb des Systems
wirken zu können? Vielleicht hätte man auch dadurch Leben retten
können. Aber die Idee ist ebenso abwegig wie der Vergleich mit Donum
Vitae unpassend.
3. Eine Interpretation
- Kein Bibeltext eignet zum schlüssigen Beweis in einer komplizierten Diskussion.
Wenn jemand behauptet, diese oder jene Schriftstelle könne mit der Autorität
der Bibel in einer solchen Diskussion das letzte Wort haben, missbraucht er
die Bibel und missbraucht Gott. Denn die Sache ist komplizierter. Es kann immer
nur darum gehen, bei den Themen, die uns bewegen, im Dialog mit der Heiligen
Schrift zu sein. Aktuelle Themen lassen uns die Schrift neu verstehen. Die Auseinandersetzung
mit der Heiligen Schrift kann uns helfen, Themen neu zu durchdenken und Blindflecken
aufzudecken. Dies vorweg.
- Handeln nun die deutschen Bischöfe wie weiland der Apostel Johannes?
Der wollte jemanden, "der uns nicht nachfolgt", daran hindern
im Namen Jesu zu heilen. Darin hat Jesus den Apostel zurechtgewiesen. Es ist
also jedem unbenommen, im Namen Jesu Gutes zu tun. Wer eine Hilfesuchende
berät und ihr Alternativen zur Abtreibung aufzeigt, tut Gutes, auch wenn
er sich in der Grauzone des staatlichen Abtreibungssystems bewegt.
Aber dadurch ist die Frage nicht berührt, welche Verantwortung und Aufgabe
die Apostel in der Leitung derer, die Jesus nachfolgen, haben. Die 'Hirtenverantwortung',
so ist das biblische Bild, ist damit nicht aufgehoben. Denn die Kirche ist
berufen, Licht zu sein in der Welt. Den Bischöfen mit dem Papst ist dabei
die Leitung anvertraut. Sie hätten im komplizierten Für und Wider
anders entscheiden können, aber sie haben sich mit guten Argumenten entschieden:
Der größere Dienst an den Menschen besteht im klaren Zeugnis, an
dem staatlichen System nicht mitzuwirken, sondern nur außerhalb desselben
Schwangere zu beraten und ihnen Hilfen anzubieten, die sie motivieren können,
keine Abtreibung vorzunehmen. Die Bischöfe haben das nicht als 'Funktionäre
der Amtskirche' getan, sondern als verantwortliche Leiter der Katholiken in
Deutschland.
- Es waren Christen, die 1995 beim "Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz"
in der Union und in der SPD darauf hingewirkt haben, dass in Deutschland im
Unterschied zu den meisten anderen Staaten Abtreibung nicht einfach nach Fristen
erlaubt wurde. Zumindest konnte die Beratungspflicht erreicht werden. Das ist
ein großes Verdienst dieser Politiker.
Aber sie haben keinen Verein führender Katholiken dafür gegründet.
Sie haben nicht - wie Donum Vitae "an die katholischen Christen in
Deutschland appellier(t), die Arbeit" eines solchen Vereins "nach
Kräften zu unterstützen"(3).
Diese Strategie läuft auf eine Spaltung der Kirche hinaus; ich empfinde
die darin erkennbare Moral als verlogen: 'Die Amtskirche' tut das eine, 'die
engagierten Katholiken' das Gegenteil. Dieses Kirchenbild hat mit der Kirche
Jesu Christi, der Gemeinschaft der Getauften im Neuen Bund, weit weniger zu
tun, als mit einer beliebigen politischen Partei.
4. Eine Schlussüberlegung
- Das heutige Evangelium nimmt uns die Entscheidung nicht ab. Es ist in eine
andere Situation hinein gesprochen. Aber ich habe für meinen Teil in
dieser einen Frage mehr Klarheit gefunden.
Unter den Bedingungen einer modernen Gesellschaft, macht es einen Unterschied.
Wenn einzelne unter der Berufung auf den Namen Jesu in Organisationen mitwirken,
die in Manchem moralisch auch fragwürdig sind, dann dürfen wir als
Kirche und die Bischöfe als Verantwortliche das ihnen nicht wehren, wenn
sie sich dort für das Gute einsetzen.
Jeder Getaufte gehört zu denen "die Jesus nachfolgen".
Damit gehören sie zur Kirche. Ich halte es dennoch für richtig,
wenn solche Christen sich in ihrem Gewissen für die Mitwirkung in einer
politischen Partei oder einem Verein entscheiden, um dort Gutes zu tun, auch
wenn anderes in diesem Verein mit dem Evangelium nicht vereinbar ist. Das
ist die Grundlage der verantwortlichen Mitwirkung der Kirche in der modernen
Gesellschaft.
Ein anderes aber ist, was Christen, Katholiken gar, tun, wenn sie sich ausdrücklich
als Christen, Katholiken gar, zusammen schließen. Eine solche Vereinigung
ist Teil der Kirche und untersteht damit den Regeln der Kirche. Ich weiß,
dass die bei Donum Vitae engagierten Christen das mit großem moralischen
Ernst tun. Wo dieses Engagement sich aber ausdrücklich zu einem Verein
von Christen uns Katholiken zusammenschließt, der aber gleichzeitig
mit 'der Amtskirche' nichts zu tun habe, sehe ich den Abschied von der Kirche,
die im Neuen Bund der Getauften berufen ist, Zeugnis zu geben in dieser Welt
von Gottes menschgewordener Liebe.
Die Balance zwischen der Freiheit des prophetischen Geistes, die schon im
Buch Numeri festgehalten ist, und dem prophetischen Auftrag der Kirche als
Ganzer wird nie ganz einfach sein. Vielleicht hätte die Kirche in der
Frage der Abtreibung anders entscheiden sollen. Sicher kann man anderer Meinung
sein. Abr die Nachfolge Jesu ist uns immer auch gemeinsam aufgetragen. Amen.
Quellen:
Martin Maier SJ: "Subsidiarität
und Donum vitae" , Stimmen der Zeit, Heft 9 September 2006, S.
577-578 (pdf)
"Über donum vitae. Hintergründe –
Ziele - Selbstverständnis. Argumente für donum vitae zur Förderung
des Schutzes des menschlichen Lebens" Aktualisiert am: 29.10.2003,
bei : http://www.donumvitae.org
"Außerhalb der
katholischen Kirche? Ein Zwischenruf zur Erklärung der deutschen Bischöfe
zu Donum Vitae e.V. "
unterzeichnet von:
Prof. Dr. Bernhard Vogel, Ministerpräsident a. D., Präsident des ZdK
1972 – 1976
Prof. Dr. Hans Maier, Staatsminister a. D., Präsident des ZdK 1976 –
1988
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin, Vizepräsidentin des ZdK 1994 –
2005
Dr. Walter Bayerlein, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht a. D., Vizepräsident
des ZdK 1976 – 2005
Dr. Hanna-Renate Laurien, Präsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses a.
D., Vizepräsidentin der Würz-
burger Synode 1971 – 1975
Prof. Dr. Hanspeter Heinz, Professor i. R. für Pastoraltheologie, Geistlicher
Rektor im ZdK 1975 – 1980
Dr. Friedrich Kronenberg, ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags, Generalsekretär
des ZdK 1966 – 1999
http://www.donumvitae.de/download/pdf/Zwischenruf.pdf
Siehe auch den Artikel dazu von 2012 in der Herder Korrespondenz