Predigt zum 25. Sonntag im Lesejahr A 2002 (Matthäus)
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22. September 2002 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt
1. Arbeiter im Weinberg
- Es gibt Leute , die denken, sie seien zu kurz gekommen. Und es gibt Leute ,die sind zu kurz gekommen. Und dies sind
keineswegs immer die selben Leute.
- Das Gleichnis, das Jesus erzählt, ist
zunächst einmal angesiedelt in der Welt der Leute, die alle zusammen
zu kurz gekommen sind. Das sind keine freien Bauern, die voll Freude zur Erntezeit
herausziehen, um in ihrem Weinberg die Trauben zu lesen. Es sind arme Schlucker,
die 12 Stunden arbeiten müssen, um den Mindestlohn zu bekommen: Einen
Denar. Nicht anders als die Arbeitslosen, die Morgens in der Oskar v.Miller-Straße
stehen, in der Hoffnung, für den Tag angeworben zu werden für fünf
oder sechs Euro die Stunde, oder jene, die an der Hanauer Landstraße
stehen, dem Frankfurter "Arbeiterstrich",wo man für drei bis vier
Euro Schwarzarbeiter bekommt. Die Menschen, die um solchen Lohn Tag für
Tag ein Auskommen suchen, gehören wahrlich zu den zu kurz Gekommenen.
- Da nun spielt das Gleichnis, mit dem Jesus vom Himmelreich kündet. Die einen waren gerade mal eine Stunde auf der
Arbeit, von fünf bis sechs, als die schlimme Mittagshitze schon vorbei ist, - und bekommen satte 50 Euro für die Stunde.
Die einen aber haben zwölf Stunden, von sechs Uhr früh bis sechs Uhr abends, geschuftet. Sie werden keine 50 Euro die
Stunde erwarten, aber doch mehr als die vier oder fünf, die sie erhalten. Das ist zwar der Tagessatz, der am Morgen mit
ihnen abgesprochen war, aber sind sie deswegen zu verurteilen, wenn sie die ungleiche Bezahlung als ungerecht
empfinden?
2. Konkurrenzgesellschaft
- Wir dürften das Gleichnis verschieden hören, je nachdem, welche Erfahrung wir haben mit Stundenlohn und
Einkommensgrenze. Aber eines dürfte doch immer nachvollziehbar sein: Die geschilderte Situation spricht von einer
Lebenswelt, in der jeder sehen muss, dass er seinen Platz erkämpft und behauptet.
- Wenn es darum geht, ein bezahlbares Zimmer zu finden: Welcher Student würde erzählen, dass er von einer Gelegenheit
weiß? Woran liegt es, dass knappe Bücher und wichtige Artikel aus dem juristischen Seminar verschwinden: Da wird sich
jemand für seine Hausarbeit einen Wissensvorsprung gesichert haben. Überhaupt: je näher das Examen kommt, desto
mehr werden viele Studierende vorsichtig, wem sie was über ihre Zukunftspläne erzählen. Informationen sind wertvoll, je
knapper das Stellenangebot wird.
- Viele spüren es in ihrem eigenen Leben, dass die Maßstäbe und Denkmuster, die vom Konkurrenzkampf im und der
Arbeit bestimmt werden, ihre Krakenarme auch in andere Bereich des eigenen Denkens und Fühlens ausstrecken.
3. Himmelreich
- In diese Welt hinein, auf dem Hintergrund dieser Erfahrung sagt Jesus den Seinen das Gleichnis von den Arbeitern vom
Weinberg: Der Weinbergbesitzer, der auch denen den vollen Lohn zahlt, die den Tag über zu kurz gekommen waren.
Jesus sagt nicht, dass dieses Gleichnis uns bereits ein Bild des ganzen himmlischen Paradieses sei. Wohl aber ist es ein
Gleichnis dafür, wie das Himmelreich-Denken einbricht in eine Welt, die von ganz anderem Denken dominiert ist.
- Das ist etwas Entscheidendes: Himmelreich, also die Herrschaft Gottes, ist eine Wirklichkeit, die sich aus der Jetzt-Zeit
hinein erstreckt in die Fülle der Wirklichkeit, die uns verheißen ist. Nie hat Jesus aus der Realität weg vertrösten wollen in
eine imaginäre jenseitige Wirklichkeit. "Jetzt" ist vielmehr die Zeitbestimmung, mit der Jesus sich und seine Person
verbindet mit dem Beginn der Herrschaft Gottes. Deswegen ist es mir wichtig und wertvoll, dass jedes Tagesgebet in der
Hl. Messe endet mit der Formel: "Darum bitten wir durch Jesus Christus, unseren Herrn und Gott, der in der Einheit
des Heiligen Geistes mit dir lebt und herrscht in alle Ewigkeit." Dieses "lebt und herrscht" sollte durch keine gefälligere
Formel ersetzt werden.
- An uns ist es, diese Herrschaft anzunehmen und damit einen Riss zu wagen in das durchstrukturierte Denken von Erfolg
und Konkurrenz. Wir haben es damit nicht leicht. Zu wenig ist die Erfahrung für unser Leben bestimmend, dass wir hier,
als Gemeinschaft der Getauften und Christi Herrschaft unterstellten, einen Freiraum haben, der in unser Leben ausstrahlt.
Klein und gering ist die Erfahrung. Aber der gemeinsame Sonntag, hineingebrochen in die Abfolge der Werktage könnte
ein Anfang sein. Wenige sind die Christen, aber wo wir leben, kann in der Weise, wie wir einander begegnen, für uns und
andere erfahrbar sei, dass wir uns nach einer Wirklichkeit ausrichten, die jedem gibt, was er oder sie um Leben braucht.
Hier vielleicht nur den einen Denar, um über den Tag zu kommen. Dies aber für alle, als Verheißung der Fülle - für alle,
auch die zu kurz Gekommenen. Amen.