Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 17. Sonntag im Lesejahr C 2022 (Genesis)

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24. Juli 2022 - St. Peter, Sinzig

1. Gotttesbild

  • Ein rachsüchtiges Gottesbild im Alten Testament. Der Gott der Liebe im Neuen Testament. – Immer noch spukt in vielen Köpfen dieser absurde Gegensatz herum. Seit Beginn der Aufklärung wurde das Neue Testament ausgehöhlt und gleichzeitig das Alte Testament diffamiert. Dabei konnte man sich durchaus auch auf judenfeindliche Traditionen unter den Christen aus der Antike berufen.
  • Doch dieser Gegensatz war und ist falsch. Er ist schon allein deswegen falsch, weil das ganze Alte Testament, entstanden in mündlicher und schriftlicher Tradition im Verlauf von über 2000 Jahren, kein einheitliches, abgeschlossenes Gottesbild hat, sondern im Gegenteil, Zeugnis dafür gibt, wie dieses Gottesbild gewachsen ist und einem immer tieferen Verständnis zugänglich wurde.
  • Aus der Gotteserfahrung Israel ist zudem eine Ethik erwachsen, die schon in der Antike attraktiv war für Menschen aus vielen Kulturen und Sprachen. Doch in Israel wurde immer die ganze Tradition bewahrt. Nur so besteht die Möglichkeit für jede Generation, diesen Weg auch im eigenen Glauben mitzugehen und Gott selbst zu entdecken. Jesus steht daher nicht im Gegensatz zum Alten Testament, sondern in gerade Linie dazu, wie an vielen Stellen gezeigt werden kann.

2. Ringen mit Gott

  • Die fast schon vergnüglich zu lesende Stelle aus dem Buch Genesis, die wir heute gehört haben, vereinigt in sich zwei ganz wichtige Erfahrungen, die sich im Gottesbild des Alten Testamentes niedergeschlagen haben.
  • Da ist zum einen der barmherzige Gott der sich erreichen und mit sich handeln lässt. Ich bin mir sicher, schon damals, als diese Geschichten abends am Feuer erzählt wurden, haben die Leute sich amüsiert über den gerissenen Händler Abraham, der um die Rettung der Gerechten aus der Stadt Sodom feilscht.
    In dieser Passage wird Gebet als leidenschaftliches Verhandeln mit Gott spürbar. Es gibt viele andere Erfahrungen in der Bibel, aber auch bei glaubenden Menschen zu allen Zeiten, dass Beten einen Ringen mit Gott ist. Dieses Gebet nimmt immer wieder Ausgang bei der Erfahrung, dass Gott Barmherzigkeit und Liebe ist. In der Schilderung in unserer Lesung erinnert Abraham sein Gott daher daran dass er ein barmherziger ist, reich an Hund und Güte, und deswegen doch nicht zulassen könne, dass mit dem Frevler auch der Gerechte untergeht.
    (Dieses Thema, das sei nebenbei bemerkt, durchzieht das ganze Alte Testament. Wie kann es sein, dass der Gerechte leidet? Kein Buch ist dabei dem Neuen Testament so nahe wie das Buch Hiob, und natürlich die Erfahrung des Propheten Jesaja.)
  • Hier ist er ganz klar in einem Kernstück des Alten Testaments: Der Gott der Barmherzigkeit und Liebe. – Doch ist nicht die Ausgangssituation, dass Gott die Stadt zerstören will? Auf jeden Fall dürfte in dieser alten Erzählung eine Erinnerung aus der Bronzezeit verarbeitet worden sein. Wir wissen aus der Archäologie, dass ganze Städte vernichtet wurden, sei es durch Erdbeben und Feuer, sei es durch einen Meteoriten.
    Eine Erzählung wie die unsere ist die typische Weise, wie in diesen alten Zeiten solche Erinnerungen zugleich bewahrt und interpretiert wurden. Deswegen ist die Frage nach dem Wo und Wann und ob es die Städte Sodom und Gomorrha wirklich so gegeben habe wahrscheinlich wenig sinnvoll. Die Erzählung verarbeitet vielmehr eine Erinnerung, indem sie über Gott spricht. Und Gottes überragende Eigenschaft nach der Überzeugung des Alten Testamentes ist seine Gerechtigkeit. Damit hebt Gott sich von den Herrschern die die Menschen so vielfach erlitten haben, ab.

3. Barmherzigkeit Gottes

  • Deswegen war es für die Glaubenden Israels klar, wenn wie die alten Erinnerungen sagen, eine ganze Stadt sei zerstört worden, dann war das Ausdruck von Gottes Gerechtigkeit. Dafür lohnt es sich, den Anfang der heutigen Erzählung genau zu sehen: Der Anlass, warum Gott sich mit Sodom und Gomorra beschäftigt, ist eine Klage, die zu ihm gedrungen ist. Gott wird also dargestellt als ein Herrscher, der die Armen und Unterdrückten hört. Er schiebt die Klage nicht weg. Stattdessen ist er, wie es hier heißt, herabgekommen, um sich die Sache näher anzusehen, ob die Vorwürfe, die zu ihm gedrungen sind, auch zutreffen.
  • Dieser unmittelbare Glaube, wie er uns hier entgegentritt, ist mir heute nicht mehr in dieser Weise möglich. Ich kann nicht hinter allem, was weltgeschichtlich geschieht, unmittelbar Gottes Handeln identifizieren. Vielmehr muss ich das, was ich erlebe und was mir geschieht, aus meiner Beziehung zu Gott heraus interpretieren. In der Diskussion um die Auferstehung der Toten, die für Jesus zentral war, geht es ja doch genau um diese Gerechtigkeit Gottes: Dass Gerechtigkeit, die in der Welt verworfen wird, bei Gott nicht vergessen ist.
  • Und da ist für mich das Gottesbild, wie es in der Episode von Sodom und Gomorra geschildert wird, eben doch ein ganz wichtiger Teil meines Glaubens. Gott ist nicht gleichgültig gegenüber der Klage derer, die Opfer von Gewalt und Ungerechtigkeit werden. Gott steigt herab, ist gegenwärtig in unserer Welt. Das ist doch der Kern des christlichen Glaubens. Und mit Abraham verbindet mich die Hoffnung, dass Gottes Gerechtigkeit am Ende stärker ist.