Predigt zum 12. Sonntag im Lesejahr B 2003 (Markus)
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21. Juni 2003 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt
1. Das Wasser bis zum Hals
- Wenn nicht nur das Wasser bis zum Hals steht, sondern zudem die Wogen über
den Kopf schlagen, dann ist die Situation ernst. Dann kommt alles zusammen.
Wenn der Job gekündigt wird und bei der Gelegenheit zutage tritt, dass
außer dem Job eigentlich nichts gestimmt hat, dann ist das so eine Situation.
Oder wenn der Lebensstil schon lange nicht mehr durch das Einkommen gedeckt
ist und die Rechnungen nur mehr auf Pump bezahlt werden können, dann
ebenso. Wenn die Beziehung eigentlich als Liebe für das Leben gemeint
war und auf ein Mal jemand in dieses Leben tritt, der alle Gefühle auf
den Kopf stellt, dann ist es Schluss mit innerer Ruhe und Sicherheit. Dann
ist Sturm auf dem Meer.
- Was vom Evangelium als Begebenheit erzählt wird, entpuppt sich schnell
als ein viel tiefer gehendes Symbol. Äußerlich ließe es sich
einfach erklären, denn solche Situationen sind häufig auf dem See
Genezareth, wenn Fallwinde die eben noch ruhig daliegenden Wasser in ein schäumendes
Meer verwandeln. Die Jünger waren Fischer und kannten das. Sie konnten
realistisch einschätzen, was die Situation bedeutet.
- Deswegen ist ihre Angst verständlich - und erscheint der Vorwurf Jesu
unverständlich. Wörtlich übersetzt sagt er ihnen: "Warum
seid ihr so feige!" Ein heftiges Wort, dessen Berechtigung oder zumindest
dessen Sinn erst offen gelegt werden muss.
2. Nur drei Sätze
- Nach einem langen Tag der Predigt fordert Jesus die Jünger auf, in
ein Boot zu steigen und den See zu überqueren. Sie sind nicht allein
auf diesem See, aber
sie fühlen sich so. Fast schon gewohnheitsmäßig haben sie sich auf das
Wort Jesu hin aufgemacht. Dann aber finden sie sich allein. Jesus
schläft. Der Sturm
wird heftig. Das Wasser schwappt ins Boot hinein. Gott scheint sie
vergessen zu haben. Jesus schläft hinten im Boot. "Kümmert es dich nicht, dass wir
zugrunde gehen?"
- Die Jünger wecken Jesus auf, wohl in der Erwartung, dass er Wasser
aus dem Boot schaufelt oder sich mit ans Ruder setzt. Von Jesus aber
gibt es nur drei
Sätze.
- Zum tosenden Meer ein herrisches: "Schweig, sei still!",
- an die Adresse der Jünger aber der Vorwurf: "Warum habt ihr solche Angst?, warum seid ihr so feige!"
- Und schließlich an die selben die Frage: "Habt ihr noch keinen Glauben?"
- Keinen Glauben! Was für einen Glauben hätten die Jünger haben
sollen, die Bedrohung durch den Sturm nicht zu sehen? Es ist doch eine
höchst reale
Bedrohung. Und immerhin: sie wenden sich doch an Jesus, als die Lage
kritisch wird. Sie schreien zu ihm, wie der Beter in den Psalmen, der in
seiner Angst
zu Gott ruft. Wer will ihm vorwerfen, keinen Glauben zu haben?
3. Zeit genauer hinzusehen
- Wenn nicht nur das Wasser bis zum Hals steht, sondern zudem die
Wogen über den Kopf schlagen, dann ist die Situation ernst. Gerade in
dieser Situation ist
Panik aber nicht die Lösung. Es ist vielmehr die Zeit genauer
hinzusehen.
- Denn das tosende Meer ist ein Symbol. Das Meer ist in der Sprache
der Bibel das Chaos, die Unordnung, die ungeordneten Kräfte, die den
Menschen
verschlingen. "Meer", das lässt nicht an den Strandkorb und Sommerferien
denken, sondern an Gewalt, die das Leben bedroht. Gerade Fischer, die
vom Meer
leben, wissen das ganz genau. Menschen setzen sich unweigerlich
Situationen aus, die unberechenbar sind.
Keine noch so hohen Klostermauern können vor den Orkanen schützen, die
im Inneren toben, und wer sich auf ein Leben in dieser Welt einlässt,
wer sich auf
ein Wirtschaftssystem einlässt, dessen Merkmal die Unberechenbarkeit
ist, wer sich auf das Abenteuer einer Beziehung zu einem anderen
Menschen einlässt,
der sollte wissen, dass die Dämonen der Tiefe sehr schnell das Meer in
ein tobendes Ungeheuer verwandeln können.
- Das Entscheidende am Evangelium steht daher am Anfang. Die Jünger
fahren nicht irgendwie raus auf das Meer, sondern als Gemeinschaft die
sich zusammen
mit Jesus auf diese Fahrt einlässt. Sie haben sich auf sein Wort hin
aufgemacht. Deswegen, präzis und genau, kommt es auf den Glauben an.
Deswegen ist es
eine Frage des Glaubens, ob wir vor den Wogen feige in die Knie gehen
oder uns genau in dem Augenblick der Gemeinschaft besinnen, die zusammen
auf
dem Weg ist, und ob wir auf die Zusage trauen, aufgrund derer wir uns
auf den Weg gemacht haben. Das wunderhafte "Schweig, sei still!",
das Jesus dem
Sturm entgegen hält, bringt die Dinge in das rechte Verhältnis.
Gegenüber dem Brüllen des Sturmes, der über die Jünger hinein bricht,
vermag das Wort Jesu
und der Glaube an sein Wort ein urplötzliches Schweigen zu bewirken.
Stille, die den Raum öffnet, um zu sehen, was in Wirklichkeit das Leben
bedroht - und
was es in Wirklichkeit trägt. Amen.