Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 10. Sonntag im Lesejahr A 2023 (Römerbrief)

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11. Juni 2023 - St. Peter, Sinzig

1.  Vorfahren vs. Voraussetzungslos

  • "Abraham ist unser aller Vater". Der Satz steht vor dem Abschnitt, aus dem wir heute die Zweite Lesung aus dem Römerbrief des Apostels Paulus gehört haben.  Und noch etwas weiter vorn schreibt Paulus von "Abraham , unser leiblicher Stammvater".
  • Ich möchte darüber etwas nachdenken. Denn niemand von uns lebt, denkt, vertraut und glaubt einfach nur aus sich, als wären wir beziehungslose Individuen, irgendwie voraussetzungslos vom Himmel gefallen (oder aus der Erde heraufgestiegen). Diese Idee voraussetzungsloser Individualität bedient nur die Werbung, weil sie uns so besser Dinge verkaufen kann. Tatsächlich haben wir Vorfahren – leibliche und geistige. Wir sollten uns damit auseinandersetzen, um nicht Illusionen aufzusitzen und manipulierbar zu sein.
  • Paulus spricht erst von "Abraham , unser leiblicher Stammvater" (Röm 4,1) und dann von "Abraham ist unser aller Vater" (Röm 4,16). Der Grund ist, dass er an die Christen in Rom schreibt. Ein Teil von ihnen ist Judenchristen. Mit ihnen teilt Paulus den "Stammvater" Abraham. Der andere Teil aber sind Heidenchristen (also Christen aus "den Völkern"). Für sie ist – wie wohl für die meisten oder alle von uns – Abraham auf andere Weise "Vater" und zusammen mit Sara für uns "Eltern" oder "Vorfahren". Sie sind 'Typen' des Menschseins, an denen wir sehen und entscheiden wollen, ob das unser 'Typ' Mensch sein kann und soll. Für die Bibel ist das normal, Vorfahren als solche 'Typen' zu sehen, die Einfluss auf ihre Nachfahren haben. Die Bibel liegt dabei mehr richtig als moderne Illusionen des voraussetzungslosen Individuums.

2.  Vertrauen vs. Machen

  • "Ohne im Glauben schwach zu werden, bedachte Abraham, der fast Hundertjährige, dass sein Leib und auch Saras Mutterschoß schon erstorben waren. Er zweifelte aber nicht im Unglauben an der Verheißung Gottes, sondern wurde stark im Glauben, indem er Gott die Ehre erwies, fest davon überzeugt, dass Gott die Macht besitzt, auch zu tun, was er verheißen hat." – Dahinter steht die in älteste Zeiten zurückreichende Überlieferung, nach der die Stammeltern des Volkes Israels nicht aus eigener Kraft geboren haben, sondern aus der Kraft Gottes.
  • In dieser alten Zeit wird biologisch und geistlich noch ganz problemlos zusammengesehen: Hundertjährig waren Sara und Abraham eigentlich viel zu alt, um noch den ersehnten Nachwuchs zu bekommen. Es war Gottes Verheißung, dass nur er, Gott, der HERR, der "Lebendigmacher" ist. Diesem Gott haben Sara und Abraham vertraut – und es wurde ihnen Isaak, der Vater von Jakob-Israel geboren.
  • Die – wenn man in dem Zusammenhang das Wort gebrauchen will – 'Leistung' der Stammeltern besteht in dem Vertrauen. In biblischer Sprache: es wurde ihnen der vertrauende Glauben "als Gerechtigkeit angerechnet". Das ist die geistige Seite der Erfahrung Abrahams und Saras. Neues Leben entsteht immer nur dort, wo wir es nicht 'machen', sondern es geschehen lassen. Oder anders gesagt: Leben gibt es nur als Geschenk. (Und im Extrem ist es sogar diabolisch: wo Menschen Leben und Liebe 'machen', setzen sie sich an die Stelle Gottes und üben gefährliche Gewalt aus gegen ihre Mitmenschen.)
  • Darin besteht die göttliche Würde des Lebens. Die Haltung der Kirche zu Fragen der künstlichen Erzeugung von Embryonen hat in dieser biblischen Wahrheit und dieser grundlegenden geistlichen Erfahrung ihre Wurzeln.
    Und es ist auch eine Erfahrung aller, die ihre alltäglichen Beziehungen im Glauben gestalten. Leben gibt es nur als Geschenk. Liebe gibt es nur als Geschenk. Leben und Liebe sind nur möglich, wo es Vertrauen als Vorschuss gibt – im Glauben. Ich vermute, dass so manche von uns schon einmal in Beziehungen daran gescheitert sind, dass sie 'machen' wollten, weil sie Angst hatten zu vertrauen.

3.  Leben vs. Tod

  • Unmerklich geht Paulus an dieser Stelle im Römerbrief vom "wir" mit jenen, die wie er Judenchristen sind, zu dem wir über, das uns als Christen alle verbindet. Paulus will hier keine Gegensätze, sondern schafft Verbindungen. So baut er auch die Brücke von Abraham und Sara, die Gott glaubend vertraut haben, zu uns allen. Denn "um unseretwillen", so schreibt Paulus, ist es wichtig, an den Glauben der Vorfahren zu erinnern.
  • Und damit ist er bei Jesus Christus – der gestorben ist und auferweckt wurde – und uns, für die das geschehen ist. Wie bei den Stammeltern erweist sich Gott auch an Jesus als der "Lebendigmacher". Diesem Gott hat Jesus vertraut, als er sein Leben in die Hände der Menschen gab: In die Hände seiner leiblichen Eltern, denen er in Nazareth gehorchte, in die Hände seiner Jünger und Apostel, denen er das Evangelium ausgeliefert hat, in die Hände der Mächtigen, die ihn an der Seite von Sündern und Verbrechern gekreuzigt haben.  All das ist undenkbar, ohne das ständige Gebet Jesu, der Gott, seinem Vater, vertraut.
  • In einer letzten Bewegung führt Paulus im Römerbrief Sterben und Auferweckung Jesu mit uns Christen zusammen. Denn Gott erweist sich als der "Lebendigmacher" immer dort, wo Menschen am Tod bauen. Wo wir Beziehungen dadurch absterben lassen dass wir 'machen' und bestimmen wollen, dort ist der Weg des Vertrauens der Weg zum Leben. "Um unseretwillen"! – "Wegen unserer Verfehlungen wurde er hingegeben, wegen unserer Gerechtmachung wurde er auferweckt", schreibt Paulus.
  • Das Vertrauen  des Abraham ist der Ur-Typus des Glaubenden. In Jesus wird dieses Vertrauen vollendet. "Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken.". Die Arznei dieses geistlichen Arztes ist sein Vertrauen.