Predigt zum 4. Fastensonntag Lesejahr A 1990
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24./25. März 1990 - St. Evergislus, Plittersdorf
Der
Glaubensweg des Blindgeborenen ist beispielhaft ein Glaubensweg für uns.
Jedem,
der auch nur mäßig mit den Evangelien vertraut ist, fällt auf,
dass das Johannes-Evangelium gegenüber den drei anderen - Matthäus,
Markus und Lukas - einen völlig anderen Stil pflegt. Das hat viele Gründe,
die uns hier nicht zu interessieren brauchen.
Eine der Eigenarten des Johannes
ist aber, dass er - bis auf den Passionsbericht - nur wenige Ereignisse aus dem
Leben Jesu herausgreift; die Schilderung dieser Ereignisse wird dann jedoch kunstvoll
ausgestaltet und meist mit einer langen Lehr-Rede Jesu ergänzt.
Das heutige
lange Evangelium bringt das gesamte neunte Kapitel bei Johannes und stellt eine
solche Komposition dar. Ich kann das Kapitel nur jedem als private Lektüre
oder Meditationsstoff empfehlen. Nehmen Sie sich eine Bibel vor und lesen Sie
dieses neunte Kapitel Satz für Satz. Machen Sie nach jedem Satz eine Pause
und lassen Sie das Gelesene auf sich wirken. Sie werden erstaunt sein, was der
Herr Ihnen dabei alles zu Ihrem eigenen Leben zu sagen hat!
Denn dieses
neunte Kapitel stellt eine Glaubensgeschichte dar. Und statt einer Predigt möchte
ich Ihnen diese Glaubensgeschichte nacherzählen.
1. Heilung
des blind Geborenen
- Für Johannes ist der Mensch mit
manchen Tieren zu vergleichen: Er wird blind geboren. Als reife Persönlichkeit
zum Licht zu finden, das ist nicht selbstverständlich, sondern der Weg, den
wir gehen müssen. Es ist eigentlich die Beschreibung des ganzen Lebensweges.
Denn niemand von uns, ob alt ob jung, wird von sich behaupten können, in
ihm oder in ihr sei alle Finsternis in Licht gewandelt. Das wird erst jenseits
dieses Lebens Gott selbst tun, wenn er uns bereitet für sein Hochzeitsmahl.
Der Mensch ist blind geboren und sitzt am Rande. Als Bettler.
- Was Jesus
an diesem blinden Bettler tut, mag ungewöhnlich erscheinen. Er vermischt
Speichel aus seinem Mund mit Staub von der Erde und streicht diesen dem Blinden
auf die Augen. Wenn ich Sie auf den Symbolgehalt dieser Handlung aufmerksam mache,
wird diese Geste vielleicht leichter verständlich (abgesehen davon, dass
in der Antike der Speichel als Heilmittel galt).
Unsere Herkunft - Geschöpf
zu sein - und unsere Bestimmung -in Christus neu geboren zu werden - haben beide
ihren gemeinsamen Grund in Gott. In der Bildsprache der Bibel wird der Mensch
aus dem Staub der Erde geformt und Gott haucht ihm mit dem Mund seinen Atem, den
Lebensodem ein. Und was uns hervorgebracht hat, kann uns auch am Leben halten:
Die Erde und der Mund Gottes.
- Aber was Gott an uns tut,kommt nicht von
außen über uns, sondern will unsere Mithilfe. Und so heilt Jesus nicht
wie ein Magier den Blinden, sondern schickt ihn, sich am Teich zu waschen. Auch
dies wieder ein Symbol: Die Taufe ist der Beginn unseres Neuen Lebens in Gott.
Der Mann geht fort und wäscht sich. Und als er zurückkommt, kann er
sehen.
2. Taufe
- Aber jeder weiß,
dass die Taufe noch nicht der Garant für ein gelungenes Leben ist. Ich bleibe
in der Umgebung und in dem Leben, aus dem ich komme. Ich entschwebe nicht in irgendwelche
imaginären Himmel. Deswegen sind im Evangelium die ersten, die dem Geheilten
begegnen seine Nachbarn, die erstaunt fragen: "Ist das nicht der Mann, der
dasaß und bettelte?" Wobei sich die Nachbarn nicht einig sind: Ist
er es oder ist er es nicht? Und hier zeigt sich der zweite Schritt auf dem Weg
zum Glauben: Der Mann sagt von sich selbst: "Ich bin es."
Das heißt
doch: Der Glaube ist kein Weg, auf dem ich meine Persönlichkeit oder meine
eigene Meinung an der Garderobe abgeben müßte. Der Glaube ist ein Weg,
auf dem ich als der gehen kann, der ich bin.
Aber wie es kam, dass er wieder
sehen kann, weiß der Mann nicht zu sagen. Wohl weiß er, dass es etwas
mit Jesus zu tun hat. Aber auf die Frage wer dieser Jesus ist, sagt er kurz und
bündig: "Ich weiß es nicht." Das ist die erste Antwort des
Blindgeborenen auf die Frage nach seinem Glauben.
- Was der Geheilte als
nächstes lernen muss, ist, dass seine neue Situation nicht eitle Freude bedeutet,
sondern Konflikte heraufbeschwört. Denn das, was für ihn den Weg zum
Glauben bedeutet, ist für andere ein Ärgernis, gegen das sie sich sperren.
Der Punkt, an dem sich die Pharisäer - wieder einmal - stoßen
ist die Sabbat-Frage: Wo Gesetz und praktische Nächstenliebe aufeinandertreffen.
Am Ende dieses Verhörs wird der Mann zum zweiten Mal nach Jesus gefragt.
Und diesmal ist seine Antwort: "Er ist ein Prophet." Im Konflikt mit
den Pharisäern stellt der Mann fest: Dieser Jesus hat eine Kraft, die von
Gott kommen muss. Er ist ein Prophet. Das ist die zweite Antwort des Blindgeborenen
auf die Frage nach seinem Glauben.
- Die Pharisäer aber wollen es
ihm nicht glauben und rufen deshalb seine Eltern. Die aber können nur bestätigen:
"Ja, das ist unser Sohn", können aber über seinen Glauben nichts
sagen (oder wollen aus Angst lieber den Mund halten). Die Antwort, die sie den
Pharisäern geben, hat aber eine weitergehende Bedeutung für den Glaubensweg
des Blindgeborenen. Sie sagen: "Fragt doch ihn selbst, er ist alt genug und
kann selbst für sich sprechen."
So sehr wir unseren Glauben ererbt
haben. Jeder muss an den Punkt kommen, wo er mit seinem Glauben für sich
steht. Denn der Glaube ist nie ein abstraktes Lehrgebäude sondern immer die
Konfrontation meines konkreten Lebens mit dem lebendigen Gott.
3.
Jesus begegnen
- Als es den Pharisäer nicht gelingt, das
Verhör durch die Eltern in ihrem Sinn zu entscheiden, rufen sie den Geheilten
ein zweites Mal. Und was jetzt passiert ist vielleicht eine der kritischsten Stellen
unterwegs zum Glauben:
Die Konfrontation meiner eigenen Glaubenserfahrung
mit der Lehre der Glaubensgemeinschaft. Das kapiert der Mann.
Als die Pharisäer
den Mann zum zweiten Mal nach Jesus fragen, durchschaut er das und antwortet ihnen:
"Darin liegt ja das Erstaunliche, dass ihr nicht wisst, woher er kommt; dabei
hat er doch meine Augen geöffnet."
Die Kirche ist heute ebensosehr
in der Gefahr, persönliche Glaubenserlebnisse zu ersticken wie das offizielle
Judentum damals. Deswegen ist die oberste Aufgabe, so meine ich, jedes Pfarrers
und jedes Theologen, die Erfahrung eines jeden Menschen ernst zu nehmen. Denn
darin nehme ich ernst, dass Gott jeden Menschen führt.
Beten wir zu Gott,
dass wir davor bewahrt werden, andere aus unserer Glaubensgemeinschaft auszustoßen.
- Jetzt
kommt der letzte Schritt auf dem Glaubensweg, den wir gemeinsam nachzeichnen.
Als der Mann aus der Synagoge herausgeworfen wird begegnet er aufs Neue Jesus.
Seine Erfahrungen mit Jesus hatten zum Bruch mit seinem alten Leben geführt.
Damit ist er in neuer Weise offen geworden für Gott.
Ich darf Ihnen
diese Schlussverse noch einmal vorlesen: (Vers 35-38) "Jesus hörte,
dass sie ihn hinausgestoßen hatten, und als er ihn traf, sagte er zu ihm:
Glaubst du an den Menschensohn? Der Mann antwortete: Wer ist das, Herr? Sag es
mir, damit ich an ihn glaube. Jesus sagte zu ihm: Du siehst ihn vor dir; er, der
mit dir redet, ist es. Er aber sagte: Ich glaube, Herr!" Das ist die dritte
Antwort des Blindgeborenen auf die Frage nach seinem Glauben.
- Am Ende
dieses Weges steht die Offenheit für den Messias, für den, der von Gott
kommen wird. Der Geheilte erahnt, dass Gott in seinem Leben Licht schenkt. Er
hat erfahren, dass ihn dies in die Auseinandersetzung stellt. Das ist die Situation,
in der der Mensch offen ist für das Wort, das Gott spricht.
Der Mann
fragt "Wer ist das Herr? Sag es mir, damit ich an ihn glaube." Dies ist
die Offenheit, zu der Gott ihn geführt hat. Und diese Offenheit des Menschen
ermöglicht es Gott, sich zu offenbaren. "Du siehst ihn vor dir. Er, der
mit dir redet, ist es."
Dies ist die letzte in der Reihe der Erfahrungen
des Blindgeborenen. Sehend geworden, findet er die Rettung Gottes direkt vor sich.
Im Menschen, der ihn anspricht. Amen.