Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 3. Fastensonntag Lesejahr B 2012 (Johannes)

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11. März 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Den Tempel einreißen

  • "Reißt diesen Tempel nieder, in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten." Dieses Wort Jesu hat wahrscheinlich maßgeblich zur Verurteilung und Kreuzigung Jesu beigetragen. Er hat es in den letzten Tagen in Jerusalem gesprochen, am Höhepunkt seiner Konfrontation mit den Autoritäten, die sich als Hüter der Tradition verstanden haben. Den Tempel niederzureißen bedeutet, das einzureißen, was der grundlegende Garant der Verbindung Gottes mit dem Menschen in seinem Volk ist.
  • Jeder von uns müsst für sich versuchen zu formulieren, was für mich "dieser Tempel" ist, um zu ahnen, was Jesus auslöst. Jeder von uns dürfte so einen Tempel haben, der dem Leben Sicherheit, Halt, Perspektive und Verlässlichkeit gibt und den ich mir mühsam (vieleicht schon "sechsundvierzig Jahre") erbaut habe. - 'Schmeiß aus deinem Zimmer, deiner Wohnung und deinem Leben alles raus, was für dich Symbole dafür sind, dass dein Leben nicht sinnlos ist.' Aber warum würde Jesus so etwas wollen?
  • Was Jesus wollte, sehen wir an dem, was er tut: "Er machte eine Geißel aus Stricken und trieb alle Verkäufer und Geldwechsler aus dem Tempel hinaus". Diese haben für ihn im Tempel nichts verloren. Hier geht es um die Begegnung mit Gott. Die Krämerseelen aber versuchen mit Gott ein Geschäft zu machen. Das aber funktioniert nicht, weil echte Liebe nicht käuflich ist. Liebe geht nur als Hingabe, nicht als Wechselgeschäft. Einen Geschäftsfreund liebe ich nicht; ich mache mit ihm Geschäfte. Eine Seele, die sich Gott erkaufen will, wird Gott nicht finden, auch nicht, wenn die Währung Gebete oder Opfergaben sind, mit denen sich Menschen Wunder erkaufen wollen.

2. Den Tempel wahren

  • Die Jünger erinnert das Geschehene an Psalm 69. "Der Eifer für dein Haus verzehrt mich." Da betet ein Mensch, der unschuldig verfolgt wird - und sich ganz auf Gott wirft. Er ist in einer dieser Lebenssituationen, die auch heute Menschen dazu bringen, zu Gott zu rufen. Im Angesicht von Krankheit oder Tod, in der Erfahrung der Untreue und Feindschaft von Menschen, dort wo mir das brüchig wird, was mir sonst doch immer Halt gibt, dort kann mir bewusst werden, dass etwas anderes der letzte Grund des Lebens ist. An diesem Punkt beginnen Menschen immer wieder zu Gott zu beten. Dies sind die Orte des Tempels in unserem Leben.
  • Am Text des heutigen Evangeliums fällt auf, dass Johannes das Zitat Jesu leicht verändert hat. Bei Markus oder Matthäus wird Jesus zitiert: "Ich werde diesen Tempel niederreißen ..."; bei Johannes sagt Jesus zu den Leuten: "Reißt ihr diesen Tempel nieder...". Johannes wie seine Leser haben - davon können wir ausgehen - das Originalzitat gekannt. Durch die Veränderung macht Johannes jedoch deutlich: Wir selbst sind es, die den Tempel Gottes, "das Haus meines Vaters", niederreißen; durch Jesus kommt dies nur an's Licht.
    Wenn wir Gott zum Handelsobjekt machen, wenn wir Gott nur einen Bedürfniserfüllerplatz einräumen, dann fällt jeder Tempel in sich zusammen. Wir handeln zwar nicht mit "Rindern, Schafen und Tauben": Aber statt Gott aus Ehrfurcht und Liebe in den Mittelpunkt zu stellen, geht es auch uns um unsere eigenen Bedürfnisse: In Notlagen beten wir auf einmal; in Stresssituationen suchen wir Seelenwellness. Dafür ist Gott gut genug.
  • Diesen Tempel reißt Jesus dadurch ein, dass er uns in seinem Evangelium Gott vor Augen stellt, wie er sich offenbart: Als Gott, der gegenwärtig ist, aber als der Heilige, der Unverfügbare, den ich nicht instrumentalisieren, dem ich mich nur glaubend anvertrauen kann. Diesen Tempel reißen wir Menschen selber nieder, wo wir mit Krämerseelen Gott benutzen wollen.

3. Den Tempel auferbauen

  • Jesus belässt es nicht beim Niederreißen. Er sagt, "in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten." Indem Johannes dieses Zitat, das Jesus am Ende seines Wirkens gesprochen hat, an den Anfang seines Evangeliums setzt, macht er deutlich, dass diese drei Tage das ganze Leben und Wirken Jesu zusammenfassen: Es sind die Tage von Kreuz, Grabesruhe und Auferstehung. Diese drei Tage lassen den Tempel, in dem wir Gott wirklich begegnen, neu auferstehen.
  • Das Heilmittel gegen die Krämerseele ist das Kreuz. Für geschäftstüchtige Menschen ist es nur "Torheit". Es zeigt, dass Jesus sein eigenes Leben nicht festgehalten hat, sondern es "hingibt für seine Freunde" (Joh 15,13). Diese Haltung reinigt den Tempel meines Herzens davon, andere für meine Interessen benutzen und instrumentalisieren zu wollen: andere Menschen oder den ganz Anderen, Gott. Wir müssen uns dafür nicht ans Kreuz schlagen lassen; wir müssen und nur in die Richtung mitnehmen lassen, in die Christus uns voran gegangen ist: Liebe nicht als Handelsobjekt für mein Wohlbefinden, sondern als Hingabe, Opfer.
  • Ob wir gegen alle ökonomische Logik uns darauf einlassen können, hängt davon ab, ob wir glauben - oder uns wenigstens danach sehnen zu glauben - dass im Kreuz nicht alles zu Ende ist, sondern dass Gott das Leben bewahrt, auferweckt, neu aufbaut, wo wir großzügig loslassen. Ohne dieses Grundvertrauen in die Macht Gottes, werden wir alles, was heilig ist, niederreißen, sobald wir Angst haben, nicht mehr unseren Schnitt zu machen. Aber selbst wenn dies geschieht, selbst wenn der brüchige Tempel in sich zusammenfällt (und das muss vielleicht jeder Mensch auf die eine oder andere Weise durchmachen), selbst und gerade dann wird sich die Verheißung Jesu erfüllen: "in drei Tagen", den Tagen meiner Hingabe und Auferstehung, "werde ich ihn wieder aufrichten". Gott, der Heilige Israels, wird es vollbringen. Amen.