Predigt zum 2. Fastensonntag Lesejahr C 2004 (Lukas)
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7. März 2004 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt
Die
Predigt stellt eine erste Auseinandersetzung mit dem Passionsfilm "Die
Passion Christi" von Mel Gibson (2004) dar und versucht, kritisch-theologisch
Stellung zu beziehen. Es wird im Unterschied zu anderen Filmpredigten ausdrücklich
auf den Film Bezug genommen, weil bei vielen Zuhörern zu erwarten ist, dass
sie den Film sehen wollen bzw. die Debatte in den Medien mit verfolgen. Der Film
wurde ab dem 18. März 2004 in deutschen Kinos gezeigt. Wir haben
uns in mehreren Veranstaltungen damit beschäftigt (Aus dem Programm 2004 der KHG Frankfurt) |
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1. Mose, Elija und Jesus in strahlendem Licht
- Die Gestalt dreier Menschen erscheint im göttlichen Licht. Jesus zusammen mit Mose und dem Propheten Elija erscheint "in strahlendem Licht", in
Herrlichkeit (griechisch: en doxä). Alle drei umstrahlt zusammen das göttliche Licht: Mose, der Gottes Gebote überbracht hat, Elija, den ersten der
Propheten, und Jesus, den Sohn aus dem Volk der Juden.
Jesus hatte Petrus, Jakobus und Johannes, drei aus dem Kreis seiner
Apostel, mit sich auf den Berg genommen. Kurz zuvor hatte er ihnen zum
ersten Mal
Hinweise auf das bevorstehende Ende gegeben: auf Tod und Auferstehung,
die ihn erwarten. Hier nun, auf dem Berg der Verklärung lässt Jesus die
Jünger,
bevor sie den Anblick des Kreuzes ertragen müssen, die Herrlichkeit
Gottes sehen. Die Passion trifft die Jünger nicht unvorbereitet. Jesus
kündigt das Leiden
als Konsequenz seiner Auseinandersetzung mit den Machthabern seines
Volkes an. Die Jünger sehen, dass Jesus mit Mose und Elija ganz
eingebettet ist in die
Tradition des Judentums und der Bibel. So werden die Jünger von Jesus
selbst langsam vorbereitet.
- So gut hat es der Kinobesucher beim Film "Die Passion Christi" nicht,
der am 18. März in die deutschen Kinos kommt. Der Film startet
unvermittelt im
Garten Getsemani: Jesus ringt mit Gott angesichts des drohnenden
Kreuzes, derweil die Jünger schlafen. Auch hier sind es Petrus, Jakobus
und Johannes, die
Jesus mit sich genommen hat. Bald schon sieht man im Kino die
erschütternden Szenen vom Leiden Jesu und fragt sich: Was ist der Sinn
dieses Weges? Was
ist der Sinn dieses Leidens?
- Im Gespräch der drei auf dem Berg der Verklärung scheint der Sinn des Geschehens auf. Es heißt im Lukasevangelium: "Mose, Elija und Jesus
sprachen von seinem Ende, das sich in Jerusalem erfüllen sollte." Wörtlich heißt es hier: "Sie sprachen von seinem Auszug, seinem Exodos". Das Ende Jesu,
das sich in Jerusalem erfüllt, hat einen Sinn. Es ist kein sinnloses Sterben.
Der Auszug des Volkes Israel aus der Sklaverei in Ägypten führte durch das Rote Meer. In diesem Exodos
hat Gott sich gezeigt als der Befreier seines
Volkes. Die Fluten des Roten Meeres sind über der Tyrannei des Pharao
zusammengeschlagen. Durch den Tod des Tyrannen wird Gottes Volk frei.
Der "Auszug" Jesu führt ihn in den Tod. Dort, in Jerusalem,
wird die Flut aus Machtkalkül, Ignoranz und Gewalt über dem Einen
aus Gottes Volk zusammenschlagen. Aber diesmal findet nicht der ägyptische
Tyrann den Tod, sondern der Auserwählte aus dem Volk der Juden. Der Film
"The Passion" lässt Maria von Magdala und Maria, die Mutter Jesu, zu
Beginn die Eröffnungs-Frage aus der Pessah-Liturgie zitieren. In der
Feier, in der das Volk Israel seiner Befreiung aus Ägypten gedenkt, fragt
der Jüngste aus der Familie den Vater: Was ist das Besondere dieser
Nacht?
Die Jünger Jesu werden erkennen und sie lernen zu glauben: In dieser Nacht stiftet Jesus die Erinnerung an sein Ende, an seinen Exodos,
seinen Auszug aus
diesem Leben, seinen Tod. Diesmal ist es nicht das ganze Volk, sondern
ist es der menschgewordene Gott selbst, der die Tiefe des Todes, den
Abgrund der
roten Fluten, durchschreitet. So wird aus dem Befreiungszug für das
eine Volk die Befreiung für alle Völker. So erfüllt sich die Verheißung
der Propheten, so
wird Israel zum Heil für die Völker.
2. Bibel im Film
- Der Film von Mel Gibson ist eine künstlerische Ausmalung der Ereignisse, die die Evangelien schildern.
In vielen Details wie im dramaturgischen
Grundansatz folgt der Regisseur den Schilderungen von Anna Katharina
Emmerich. Hier liegt die ganze Stärke und das zentrale Problem des
Films. -
Anna Katharina Emmerich lebte vor zweihundert Jahren in schrecklicher
Zeit. Die Revolution und die napoleonischen Kriege haben vielen
Menschen
schreckliches Leid gebracht. Anna Katharina, die Frau aus armen
Verhältnissen, hat wie wenige ihrer Zeitgenossen, das Leid der Menschen
an sich
herangelassen und es geradezu physisch erlebt, obwohl sie immer nur in
dem kleinen Städtchen Dülmen gelebt hat. Anna ist eine ungewöhnliche
Mystikerin.
Sie hat das getan, was der Hl. Ignatius von Loyola in den Exerzitien
empfiehlt: Die Berichte der Heiligen Schrift so innerlich mitzuerleben,
als sei man dabei -
und aus diesem inneren Erleben heraus die Kraft finden, das eigene
Leben zu ändern.
- Anna Katharina Emmerich hatte das Glück,
in Clemens von Brentano einen wortgewaltigen Dichter zu finden, der
lange Monate an ihrem Krankenbett
saß und ihre Exerzitienbetrachtungen, die sie als Visionen erlebte, in
kraftvoller Sprache zu Papier brachte. Wie Brentano die Sprache
beherrscht Mel Gibson
das Medium Film. Bei Gibson wie schon damals bei der glücklichen Fügung
des begabtenn Protokollanten Brentano ist damit ein Unglück verbunden:
Denn
Clemens von Brentano sah - wie viele Romantiker und Reaktionäre der
Zeit - in den Visionen der Anna Katharina Emmerich nicht nur die innere
Kraft der
Mystik, sondern benutzte diese Frau zu seinem Kampf gegen Rationalität
und Aufklärung. Er wollte aus den Visionen Beweise für das "wahre", das
"reale"
Geschehen machen.
- Dies wiederholt sich heute im Kino. Ich
habe den Film "The Passion" in einer Vorab-Vorführung gesehen. Es ist
für mich eine berührende und
erschütternde Betrachtung des Kreuzwegs Jesu gewesen. Für das, was ich
oftmals schon in der Betrachtung der Evangelien und im Gebet des
Kreuzweges
meditiert habe, hat mir der Film Bilder geschenkt, die in ihrer
Unverhülltheit mir helfen, das Kreuz Jesu besser zu verstehen. Da aber
ist es mehr als ärgerlich,
dass der Regisseur und viele mit ihm wie weiland Clemens von Brentano
aus den Bildern einen Beweis machen wollen: So, genau so sei es
historisch "real"
gewesen! Wie ganz anders hat Anna Katharina bei ihren Visionen immer
wieder den Blick in die Gegenwart gewandt. Sie hat ihre Visionen "real"
erlebt - und
kraftvoll in der Gegenwart verarbeitet.
3. Sehen und Hören
- Was genau ist denn "real" gewesen? Real
ist zunächst die Gegenwart. Real ist das Leiden der Menschen heute. Das
stille, unauffällige Leiden, aber auch
heute das grausame, zerfetzende, blutige Leiden in den Kriegen und
Bürgerkriegen, den Folterkammern und Terroranschlägen. Das ist real.
Diese Realität
aber ist es auch, die die christliche Tradition immer in dem Leiden
Jesu, seinem Kreuzweg und seinem Tod widergespiegelt sah. Für Christen
wird in der
Beziehung zu Jesus Christus, dem Menschensohn, deutlich, dass jedes
Menschen Leid uns betrifft. In ihm schauen wir unsere Welt. Deswegen
ist die
Kreuzesbetrachtung nicht Masochismus sondern Realismus.
- Jesus bereitet seine Apostel auf den Kreuzweg vor, indem er sie mitnimmt auf den Berg der Verklärung.
Sie sehen die Herrlichkeit. Zugleich aber
macht das Evangelium deutlich, wie brüchig dieses Schauen ist. Zuerst
verschlafen die Apostel die Begegnung Jesu mit den Zeugen des Alten
Testamentes.
Dann ist es Petrus, der - ohne nachzudenken - meint, diese Herrlichkeit
ließe sich festhalten und in drei Hütten konservieren.
Bilder sind vergänglich, will uns das sagen, nur manche meinen wie
Petrus sie festhalten zu können. Der Evangelist drückt dies mit dem
Bild der Wolke aus,
die die Apostel überschattet und in Angst versetzt. Die Erfahrung lässt
sich nicht festhalten. Sie verfliegt, wenn es dunkel wird. Mitten in
dieses Dunkel der
Augen aber spricht Gott sein Wort. Der Evangelist schreibt: "Da rief eine Stimme aus der Wolke: Das ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören.
Als aber die Stimme erklang, war Jesus wieder allein." Aus dem Schauen zum Hören gekommen, können die Jünger den Weg mit Jesus gehen.
- Uns aber, bleibt uns nur das Hören?
Zunächst will es so scheinen. Wir sind nicht dabei gewesen. Auch der
genialste Hollywood-Film wird das nicht ändern.
Im Gegenteil, es kann eine ziemliche Überforderung sein, sich den
Bildern des Unheils auszusetzen und kein Bild des Heiles zu haben. Wer
aber das
Evangelium des Lukas und seine Apostelgeschichte liest, der weiß, dass
auch uns, die wir nicht zusammen mit Jesus gelebt haben, ein Schauen
möglich ist:
Das Schauen auf die Gegenwart Jesu Christi in unserer Mitte. Das
Schauen auf die Gemeinschaft, die hier zum Gottesdienst versammelt ist.
Das Schauen auf
das Brot und den Wein, in dem Christus sich mit Leib und Blut schenkt.
Das Schauen auf die Gestalt und den Anblick der Kranken und der Armen,
in denen
Christus gegenwärtig ist. Wer dieses Schauen des Glaubens geübt hat,
dem kann ich guten Gewissens sagen, er könne den Kinofilm sehen als
eine intensive
Betrachtung des Kreuzweges Jesu. Denn dann können durch diese Bilder
unsere Augen geöffnet werden für die gegenwärtige Realität der Liebe
Gottes, die
den Tod gekostet hat, um zum Leben zu führen. Amen.