Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zu Weihnachten in der Nacht 2015

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24.12.2015 - Kleiner Michel Hamburg

1. Unglaublich

  • Unglaublich. Was in dieser Nacht vor gut zweitausend Jahren passiert ist, ist vor allem dies, unglaublich. Es kann nicht stimmen und, worum es bei Glauben vor allem geht, man kann doch unmöglich darauf sein Vertrauen setzen. Dass dennoch Menschen ihr ganzes Leben vertrauensvoll auf dieses Ereignis bauen, und das in all den Jahrhunderten seit dem und bis heute, mag für einen Augenblick irritieren. Aber macht es das schon weniger unglaublich?
  • An der Oberfläche sind die Ereignisse wenig spektakulär. Eine Familie ist unter ärmlichen Bedingungen unterwegs, weil politische Machthaber neue Steuergesetze durchsetzen. Eine hochschwangere Frau bringt in einem Vieh-Unterstand ein Kind zur Welt. Außer ein paar Landarbeitern nimmt das zunächst niemand zur Kenntnis. Was an der Oberfläche der Ereignisse, akzidentiell sozusagen, geschieht, ist zunächst keineswegs unglaublich, es ist vielmehr alltägliche, belanglose Realität, damals wir heute.
  • Nur der Kern des Ereignisses, seine Substanz, das was dort in der Tiefe der Wirklichkeit geschieht - wie es die Christen nicht müde werden zu behaupten - ist so völlig unglaublich. In dem Kind im Stalle, so sagen sie, ist Gott gegenwärtig, einzigartig, "Gottes Sohn", sagen sie, "wahrer Gott vom wahren Gott" - und doch sieht das Auge nicht mehr als ein wehrloses Kind. "Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt." Unglaublich - "der Retter, der Messias, der Herr"!

2. Absichten

  • Was uns jeweils glaublich und unglaublich erscheint, hat wohl immer auch mit der Zeit zu tun, mit dem was wir individuell erleben, und dem, was sich in unserer Umgebung, in der Kultur und in der Gesellschaft tut. Und da sind wir zweifellos in einer Zeit großer Umwälzungen.
    Eine scheinbar zweitrangige davon möchte ich näher anschauen: Das Referendum, mit dem die Hamburger sich mehrheitlich gegen die Vorlage der Bürgerschaft für Olympische Spiele entschieden haben. Man kann und konnte zu dem Thema diese Meinung haben oder jene, ich war dafür, mein Mitbruder in unserem Jesuitenhaus im Nebenzimmer war dagegen. Aber es ist schon auffällig: Nahezu geschlossen haben alle Institutionen dafür Werbung gemacht, der organisierte Sport (außer St. Pauli), die weitaus meisten einflussreichen politischen, kulturellen oder Medien-Institution bis hin zu den Wirtschaftsverbänden. Es hätte also genug Instanzen gegeben, bei denen die Leute hätten sagen können: Wir vertrauen Euch, wir stimmen dafür. Aber ganz viele haben - vielleicht auch deswegen - dagegen gestimmt.
  • Ich habe eine Vermutung: Könnte die Skepsis vor allem daher rühren, dass viele Menschen vielfach den Absichten nicht mehr trauen, die diejenigen an den Schaltern der Macht haben, in Wirtschaft, Politik, Medien und Kultur und wohl auch bei den Kirchen? Ich meine nicht den dumpfen Vorwurf der Denkfaulheit derer, die von Lügenpresse schwadronieren, um sich mit wahrhaft unglaublichen Verschwörungstheorien aus dem Internet ihre Vorurteilswelt zusammen zu zimmern. Im Gegenteil: Mir fällt auf, dass die Skepsis gegenüber den Absichten pro Olympia vor allen auch bei denen war, die gleichzeitig ganz vorne dran waren, wenn es darum ging, Hilfe für Flüchtlinge zu organisieren - vor und neben den Institutionen und in der Situation dieser Monate sogar viel effektiver als diese.
  • Es ist also keine irgendwie allgemeine Skepsis, die alles für unglaublich und unmöglich hält. Vielmehr gibt es doch sehr viele Menschen, die vor dem Unglaublichen nicht zurück schrecken, die daran glauben, dass vieles möglich und sinnvoll ist. Gerade die junge Generation des Jahres 2015 hat sich in großer Mehrheit und mit erstaunlicher Kraft als eine Generation gezeigt, die bereit ist an etwas zu glauben und sich auf etwas einzulassen - wenn und solange es nicht in das Mühlrad der Interessen anderer gerät und nur Macht und Einkommen einer oberen Schicht mehrt.

3. Glauben

  • Vielleicht liegt darin die erstaunliche Kraft von Weihnachten. Was hier geschieht, ist so unglaublich, dass es sich erfolgreich immer wieder dagegen wehren kann, vereinnahmt zu werden. Weil der schäbige Stall, in dem Gottes Sohn geboren wird, so wenig verwertbar ist, gab es den Versuch, einen harmlos-pausbäckigen Weihnachtsmann zu erfinden. Aber selbst der größte Umsatzerfolg dieser rotbewandeten Werbeträger schafft es nicht, uns das Weihnachtsfest zu nehmen.
  • Es gibt einen Augenblick in diesem nächtlichen Gottesdienst, in dem uns das ganz klar werden kann. Nicht beim stimmungsvollen "Stille Nacht" am Schluss; Weihnachtslieder können auch als Werbejingles missbraucht werden. Vielmehr dort, wo auf einmal alles schweigt, nur ein paar Glöckchen- und Glockenschläge ertönen und dann alles in Stille die Knie beugt vor einem simplen Stück zerbrechlichen Brotes. Nichts ist in dieser Nacht dem Ereignis von Betlehem so nahe, wie dieser Augenblick.
    So unglaublich das eine ist: In einem wehrlosen Kind im Futtertrog wird irgendwo im Orient Gottes Sohn geboren; dies Menschenkind wird verachtet und geschmäht am Kreuz sterben. Und doch, gerade dieser sterbliche Leib ist göttliche Gegenwart, wahrer Mensch und wahrer Gott! So unglaublich ist das andere: Ein Stück Brot, über das wir inmitten der Gemeinde Gottes Geist herab rufen und das Dankgebet sprechen, soll leibhafte Gegenwart eben dieses Gottessohnes sein. In seinem Auftrag nehmen wir das Brot und hören: "Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird".
  • Sicher, viele, wenn nicht die meisten selbst der Katholiken tun sich schwer bis sehr schwer damit, zu erklären, wie das Brot tatsächlich Leib Christi ist. Es ist und bleibt so unglaublich, wie die Menschwerdung Gottes in Betlehem. Aber wenn wir dennoch an dem Glauben festhalten wollen, dann vielleicht deswegen, weil wir der guten Absicht Gottes trauen. Gottes Größe tritt zurück hinter einem Kind in Windeln und hinter einem Stück gebrochenen Brotes. Gott ist der Herr des Universums, er braucht sich nicht an uns zu bereichern. Gottes Liebe tritt dadurch um so reiner hervor. Noch nicht einmal zweitausend Jahre Kirchengeschichte haben es vermocht, das zu verdunkeln. Zu hell ist das Licht, das in dieser Nacht erstrahlt. Amen.