Predigt zu Weihnachten am Tag 2015
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25.12.2015 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg
1. Leeres Wort
- "Im Anfang war das Wort. Alles ist durch das Wort geworden. Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt." Diese Sätze haben etwas Großes, Erhabenes.
In der vergangenen Nacht wurde statt dessen eine Erzählung gelesen. Diese schilderte das Ereignis von der Geburt des Messias ganz anschaulich. Heute, im Licht des Tages nun, stehen statt dessen die gewaltigen Sätze aus dem Prolog des Johannesevangeliums. Beide Formen das Ereignis von damals in Worte zu fassen, die geradezu märchenhafte Erzählung genau so wie das gestochen klare Wort des Johannesprologes, haben ihre Wirkung - zusammen und bis heute.
- Worte können leer sein, sie können vermüllen oder gar vergiftet sein. Weihnachten ist so ein Wort. Es bewahrt sich den Klang von Sehnsucht. Doch wofür steht diese Sehnsucht? Worauf richtet sie sich aus? Es könnte sein, dass da oft nichts ist, noch nicht einmal das Wissen, dass das Wort 'Weihnachten' ursprünglich auf das Ereignis vor 2.000 Jahren verweist. Statt von Betlehem her gefüllt zu sein, wird Weihnachten zum Instrument eines riesigen Betriebes, der das Wort mit unbeschreiblich viel Müll auflädt, weil es offenbar immer noch prima funktioniert, damit Geschäfte zu machen. Aber auch deswegen ist das Wort Weihnachten für manche vergiftet: Sie ertragen es nicht, dass auf allen Kanälen behauptet wird, alles sei heil, wenn es so offenbar gelogen ist - wenn die Behauptung einer weihnachtlichen Idylle dazu dient, schwere Verwerfungen unter Freunden oder in Familien zu kaschieren. Dann ist die Idylle hohl und das Wort von der Weihnacht leer.
- Jedoch, in einer bestimmten Weise ist es gut, dass das Wort leer ist, nicht restlos gefüllt mit Bedeutung. Das hat das Wort Weihnachten mit den biblischen Worten gemeinsam, die das Ereignis beschreiben. Der Johannesprolog ist zu sperrig, um für die Weihnachtsindustrie auch nur ansatzweise interessant zu sein. "Und das Wort ist Fleisch geworden." Das ist kein Satz, mit dem irgend jemand fertig wäre. Wir lesen und hören es Jahr für Jahr und immer wieder, aber es bleibt ein Mysterion, es ist und bleibt größer, als unsere Versuche es zu verstehen - und ist deswegen ein gutes Wort, um über das Kind im Stall von Betlehem zu sprechen.
2. Gebetetes Wort
- "Im Anfang war das Wort. Alles ist durch das Wort geworden." Vom logos spricht dieses Evangelium, von der liebenden Weisheit, durch die alles geworden ist. Gott ist Beziehung und teilt sich mit. Von da her stammt alles. Von da her stamme auch ich. In dem Maße, in dem ich mich auf die liebende Beziehung einlasse, die mein Ursprung ist, in dem Maße werde ich finden, woher und wozu ich selbst auf Erden bin.
- Man versteht, warum es gut ist, wenn wir mit einem solchen Satz nicht schon fertig sind und Raum, ja Leere bleibt. So vieles in unserem Leben ist angeblich alternativlos und festgelegt. Doch ich bin es nicht, du bist nicht schon festgelegt, auch wenn es Momente im Leben gibt, wenn wir uns wünschen, es wäre so.
Es ist nicht alles klar, auch wenn gerade an Weihnachten die Sehnsucht nach einer angeblich früher geordneten Welt groß ist und uns mit Schrecken bewusst wird, wie vieles in unserem Leben und in unseren Land in Bewegung geraten ist und sich alles um uns verändert - oftmals bedrohlich verändert.
- Das Evangelium von Weihnachten erinnert daran, dass die Welt trotz allem Augenschein nicht Chaos ist. Vielmehr ist im Anfang von Allem das göttliche "Wort". "Alles ist durch das Wort geworden."
Es ist an uns, dieses Evangelium und unser Leben in Verbindung zu bringen. Wir müssen es hinhalten und aushalten, damit es sich mit dem füllt, was zu tragen vermag. Ohne Gebet geht das nicht. Wer gewohnt ist, dass auf jede Mail, SMS oder sonstige Nachricht sofort eine Antwort kommt und der Thread nicht unterbrochen wird - der muss Beten ganz neu lernen. Denn im Beten geschieht zunächst dies, dass wir Gott unsere Leere hinhalten, nicht schon die Antwort wissen und alles haben. Die Worte des Gebetes sind zu aller erst leere Worte, die sich erst füllen müssen. Und das ist oft ein lebenslanger Prozess.
3. Erfülltes Wort
- Die eigentliche Botschaft von Weihnachten jedoch lautet: "Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt." Es bleibt nicht beim Wort. Vielmehr wählt Gott die eine Form, in der das Wort gefüllt werden kann, ohne seine Offenheit zu verlieren: Das Wort wird Fleisch in einem neu geborenen Menschen. Das Wort hat von nun an eine Geschichte und bindet sich an einen Menschen, ohne dadurch festgelegt zu sein. Wir unsererseits können unsere eigene Lebensgeschichte aus der Begegnung mit diesem im Stall von Betlehem Mensch gewordenen ewigen Wort entwerfen und gestalten: In der Begegnung mit Gott, der uns Raum gibt, das Wort mit unserem eigenen Lieben und Tun zu füllen.
- Mir scheint dies so wichtig. So viele Wörter werden vermüllt und missbraucht, gerade auch im Umkreis des Glaubens. Da sprechen Menschen vom Christlichen Abendland und meinen doch nur ihre eigenen Ängste. Da sprechen Menschen von Friedensordnung und meinen doch nur den Versuch, die Not der Menschen dieser Welt aus ihrer Welt auszusperren. Da sprechen Menschen von Gott, und meinen nur ein Alibi für eigene Allmachtsphantasien.
Und umgekehrt braucht es so dringend wieder Erfahrungen neuer Generationen, um die wirklich großen Worte unserer Kultur und Tradition wieder lebendig werden zu lassen: Freiheit, Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaat und Gewaltenteilung, Achtung für das Leben - und was immer noch in diese Liste gehört. Das sind wichtige Worte, die leer würden, wenn sie nur noch zynisch gebraucht und nicht mehr von unten, von uns, mit ganz konkretem Tun gefüllt werden.
- Das Ur-Wort, das darauf wartet, neu gelebt und neu gefüllt zu werden, ist das Wort vom Anfang. Es ist das Wort, das uns so nahe ist, weil es "unter uns gewohnt." hat. Machen wir uns auf zur Krippe, entdecken wir neu diese Nähe Gottes und lassen wir uns von ihm anstecken: Dass in uns das Wort Fleisch wird, lebendig gelebt. Amen.