Predigt zu Weihnachten am Tag 2013
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25.12.2013 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg
1. Im Anfang
- "Im Anfang", so beginnt das Johannesevangelium. Damit erzählt es nicht nur, was chronologisch am Anfang war. Wie der Beginn der Bibel, so beginnt auch das Johannesevangelium mit dem, was im Anfang an Bedeutung für die Gegenwart und Zukunft liegt. Entsprechend ist auch unser Weihnachtsfest nicht eine Geschichte, die nette Erinnerungen vom Beginn erzählen will. Das Weihnachten, das wir kennen, ist nicht am Anfang, sondern im Anfang.
- [Vielleicht ist deswegen Familienweihnachten manchmal anstrengend. Denn wer Weihnachten mit der Familie feiert, berührt immer die eigenen Wurzeln und Ursprünge. Was früher, am Anfang war ist dabei ausdrücklich oder unausdrücklich präsent, weil der eigene Anfang in der Familie (oder ohne eine) mich als Menschen nie los lässt, sondern immer mit läuft. Und zumeist kann die Gegenwart der Familien dem nicht standhalten, was die als ruhmreiche, friedliche oder sonst wie erinnerte Vergangenheit angeblich gewesen sei.]
Wer seine Quellen nur in der eigenen Vergangenheit hat, wird entweder immer hinter ihr zurück bleiben oder er steht unter dem Druck des beständigen Fortschrittes. Beides ist nicht heilsam. Im ersten Fall kommt es fast automatisch dazu, dass jemand beschuldigt wird, daran schuld zu sein, dass es nicht mehr so ist wie früher. Im anderen Fall kann die Gegenwart nie gut genug sein, weil es doch immer weiter gehen muss. "Im Anfang" ist in diesem Fall nichts außer mir selbst, oder meiner Familie, meiner Gruppe oder meiner Nation.
- Wir Menschen sind Kultwesen. Unsere Zukunft ist nicht festgelegt, sondern entscheidet sich immer noch mal am Verhältnis zur Herkunft. Jedes echt religiöse Grundgefühl des Menschen weiß: Ich verdanke mich nicht mir selbst und auch nur bedingt meiner Eltern. Wem diese Grundeinsicht abhanden gekommen sind, wird letztlich immer wieder versuchen, sich auf seine Familie, Sippe, Gruppe, Nation oder - einsamer noch - auf sich selbst zurückziehen, als bestimme das allein seine Zukunft. Wehe dem, dessen Vergangenheit dann groß und bedeutend war: Seine Zukunft steht dann immer in der Versuchung, einen wehmütigen Blick zurück zu tun, der die Gegenwart als Scheitern erkennen lässt.
2. Europas Quellen
- Für Christen sollte es anders sein. Der Johannesprolog deutet an, dass diejenigen, die "das Wort" des Anfangs annehmen, eigentlich nicht die ersten Adressaten waren. Ja, sie haben "Macht, Kinder Gottes zu werden". Aber die Christen konnten immer wissen, dass sie diesen Glauben nicht sich selbst verdanken, sondern von Israel geerbt haben. Die Kirche hat sich deswegen in langen Auseinandersetzungen dagegen gewehrt, das Alte Testament und damit die Tradition Israels aus der eigenen Geschichte zu eleminieren. Die Versuchung dazu war da, weil es doch so viel verlockender scheint, exklusiv sein eigener Ursprung zu sein. Zum Glück hat die römische Kirche vor dieser Versuchung nicht kapituliert.
- Das Christentum ist nicht in Europa entstanden. Aber es hat in der Verbindung mit der römischen Kultur seine entscheidende Form gefunden. Denn zum Selbstbewusstsein schon des Römischen Reiches gehörte immer das Wissen darum, seine Kultur einer anderen zu verdanken - der Kultur der griechischen Antike.
Vielleicht entscheidet sich daher an diesem Punkt die Zukunft Europas. Dieser Kontinent, wie immer man seine Grenzen bestimmt, ist geworden aus der Erfahrung, dass es Anderes, Größeres gibt, dem wir uns verdanken. Im Anfang sind nicht wir selbst, sondern ist Gottes Wort, durch das alles geworden ist"; und ebenso sind auf der Ebene der Religion und Kultur Israel und Griechenland, bevor so etwas wie Europa werden konnte.
- Europa hat seine kulturelle Dynamik letztlich immer daraus bezogen, dass es wusste, dass es seine wertvollsten Schätze anderen verdankte. Deswegen ist Europa geprägt durch die immer wiederkehrende Renaissance: Der Erneuerung im Geist der Bibel und der Erneuerung im Geist der griechischen Antike. Wo Europa das vergessen hat - im Nationalismus und den neuzeitlichen Ideologien vor allem - dort wird Europa grausamer als jede andere Kultur. Wo Europa im Bewusstsein lebt, sich anderen zu verdanken, dort ist es in der Lage sich selbst zu erneuern und die Kulturen der Welt zu befruchten. Wo ein Projekt einer europäischen Union nur aus wirtschaftlichen Vorteilen denkt und dies vergessen hat, da trüge es den Keim der Zersetzung schon in sich.
3. Das Heil kommt vom Rand
- Der Stall von Betlehem ist am Rand. Betlehem selbst ist am Rand, wie Israel am Rand ist. Aber von den Rändern her kommt das Heil, das Gott wirkt. Das Christentum beginnt in Jerusalem, Antiochien, in Kleinasien und kommt von dort erst nach in Rom. Es beginnt von den Rändern her und hat seine Quellen außerhalb seiner selbst. Von diesem Ursprung her sollte uns als Christen die Neugierde bleiben, die uns an die Grenzen gehen lässt, die uns Grenzen überschreiten lässt und die diejenigen willkommen heißt, die von jenseits der Grenzen kommen.
- Allen, die meinen, wir müssten uns abschotten, sind dabei die eigenen Vergangenheit rosarot zu malen und sich und ihre Tradition auf einen Sockel zu heben, auf dem sie leicht erstarren und von dem sie nicht mehr herunter kommen, ohne sich und andere zu verletzen.
- Gott hält für uns viele Vorbilder bereit, an denen wir uns orientieren können. Sie sind aber nicht bereits einfach die eigene Vergangenheit.
Im Anfang unseres Glaubens steht das Fremde, in dem uns Gott begegnet. Die Magier, die aus dem fernen Osten kommen, bringen auch uns das Fremde, das unser eigenes werden kann. Das Kind, das im Stall geboren wurde, gehört uns nicht, "Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet" ist nicht die Welt sondern "kam in die Welt". Wir können ihm begegnen, wenn wir uns selbst auf den Weg machen und entdecken, dass im Anfang mehr bereit liegt, als wir ahnen. Amen.
Anregungen zu dieser Predigt verdanke ich insbesondere dem VII Kapitel in:
Brague, Rémi: Europa - seine Kultur, seine Barbarei. Exzentrische Identität und römische Sekundarität (Das Bild vom Menschen und die Ordnung der Gesellschaft) . 2., überarbeitete und erweiterte Auflage herausgegeben von Christoph Böhr. Aus dem Französischen von Gennaro Ghirardelli. Wiesbaden (Springer VS Verlag für Sozialwissenschaften) 2012.