Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zu Weihnachten am Tag 2001

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25.12.2001 - St. Lioba, Frankfurt/Main

1.

  • Einen "Freudenboten" verheißt Jesaja, "der Frieden ankündigt, der eine frohe Botschaft bringt und Rettung verheißt, der zu Zion sagt: Dein Gott ist König." Das soll es sein. Angesichts der "Trümmer Jerusalems" spricht der Prophet von dem kommenden Retter. "Der Herr tröstet sein Volk, er erlöst Jerusalem. Der Herr macht seinen heiligen Arm frei vor den Augen aller Völker. Alle Enden der Erde sehen das Heil Gottes."
    Ist es das, was in jener Nacht geschehen ist? Als ein Kind geboren wird, unter ärmlichsten Bedingungen, hat sich da die Hoffnung erfüllt?
  • Angesichts der Stadt Jerusalem, die in Trümmern liegt, hat Jesaja seine Verheißung gesprochen. Nur hier lässt sie sich begreifen. Von da her hätten wir am Ende dieses Jahres genug traurige Gelegenheit zu begreifen. Trümmer hat dieses Jahr genug gebracht. Allen voran stehen uns die Trümmer aus New York vor Augen. Erst jetzt, Monate danach, hat man das schwelende Feuer in dem Trümmerberg zum Erlöschen gebracht. Trümmer, die per Fernsehen die ganze Welt gesehen hat.
    Andere Trümmer sind uns erst später bewusst geworden. Die durch zwanzig Jahre Krieg zertrümmerte Stadt Kabul kennen wir nun, seit von dort per Satellit übertragen wird. Andere Trümmer liegen im Schatten der Weltaufmerksamkeit. In Bosnien, immer noch, in Serbien, auf dem Kosovo, in Zypern. In vielen Ländern Afrikas. Trümmer in Palästina, Trümmer in den Straßen von Buenos Aires.
  • Unter den Trümmern liegen Menschen, begraben im Schutt. Zwischen den Trümmern stehen Menschen und fragen sich, ob diese Welt für sie eine Hoffnung hat. Denn Menschen sind die Opfer der Gewalt und des Krieges, nicht Häuser und Bankentürme. Und viele der Opfer einer gewalttätigen Welt stehen ganz privat und einsam vor Trümmern ihres Lebens. Durch Arbeitslosigkeit oder Verschuldung, durch Krankheit oder Scheidung, durch Ausgrenzung und Verachtung sind Menschenleben in Trümmer gelegt.
    Geht da von der vergangenen Nacht, der Weihnacht, Hoffnung aus, dass alle Enden der Erde das Heil Gottes sehen können?

2.

  • Die Weihnachtsbotschaft wurde immer als Friedensbotschaft verstanden. Zu allen Zeiten haben Menschen begriffen, dass dieser Friede nicht häusliche Behaglichkeit meint, sondern denen verheißen ist, die den Frieden bitter vermissen. Wenn wir Weihnachten nicht gerade in solch einer Zeit feiern können, wäre die Botschaft dieses Festes schal geworden.
  • Gott selbst zeigt sich in Jesus von Nazareth. Gott spricht von sich in diesem ganzen Leben, von der Geburt im Stall von Bethlehem bis zum Kreuz von Golgatha. Heute, am Morgen nach der Nacht, lässt sich die Frage daher vielleicht besser und nüchterner stellen: Was ist diese Botschaft des Festes?
  • Dazu noch einmal der Satz des Propheten Jesaja: "Alle Enden der Erde sehen das Heil Gottes." Es gibt vielerlei Gotteserfahrung. Aber Gott selbst will sich der ganzen Welt offenbaren. Kein Winkel des Globus soll ausgespart sein. Gott will sich zeigen als König. Was immer uns angst und bang macht, was immer sich anmaßt, über Menschen zu entscheiden und zu herrschen, muss sich mit diesem König messen.

3.

  • Auf Gottes besondere Weise geht es an Weihnachten also um Globalisierung. Es geht darum, dass die Menschen in all ihrer Verschiedenheit gleich sind in ihrem Wert vor Gott. Gott will keinen von seiner Liebe ausschließen, denn er, Gott, hat alle gleichermaßen ins Leben gerufen, als er uns den Lebensatem gab.
    Die Globalisierung der Weltwirtschaft ist nahezu das Gegenteil der Globalisierung Gottes. Die Wirtschaftglobalisierung trägt die Ausgrenzung bis in den letzten Winkel der Erde. Noch viel mehr als bei uns ist in vielen anderen Ländern traurige Wirklichkeit, dass nur ein Teil der Menschen, vielleicht nur eine Minderheit Nutznießer der Vernetzung der Menschheit ist.
    Früher war es wenigstens noch so, dass die Herrscher auf den Knechtsdienst der Knechte angewiesen war. Die Globalisierung unter dem Vorzeichen des ungebremsten Kapitalverkehrs macht Menschen überflüssig. Ganze Länder werden überflüssig. Menschen werden nicht mehr gebraucht. Millionen von Arbeitslosen sind nur noch eine Last. Und wer zu alt oder zu krank ist, um mitzuhalten, wird bestenfalls noch mit durchgefüttert. Eigentlich ist er überflüssig.
  • Der neue Terrorismus ist auf brutalste Weise eine "Antwort" auf eine Globalisierung, die ganze Landstriche degradiert. Zumindest gibt er vor, eine Antwort zu sein. Wenn wir Weihnachten feiern, dann können wir dies nur tun, indem wir bekennen und mit unserem Leben bezeugen, dass allein Gott eine Antwort hat. Diese Antwort ist das Kind im Stall. Kein Wirtschaftsprogramm - das findet sich nicht in der Bibel und auch ich habe es nicht. Keine Ideologie, die vorgibt alle Fragen zu lösen - zu Unrecht berufen sich Menschen dafür auf ihre Religion.
  • Die Antwort Gottes lässt sich nur umsetzen in eine Zivilisation der Liebe, deren erster Satz heißt: Keiner ist ausgeschlossen. Auch Gott steht vor den Trümmern, die Menschen aufgehäuft haben. Aber Gott antwortet darauf nicht mit Rache und mit neuer Ausgrenzung, sondern mit der Hilflosigkeit des Kindes von Betlehem. Wenn das sogenannte Abendland sich nicht darauf besinnt, werden wir noch viele Trümmer sehen.
    Mag sein, dass es sinnvoll ist, jetzt Truppen nach Afghanistan zu schicken. Wenn wir nicht zur Besinnung kommen und an einer neuen Zivilisation bauen, werden wir dadurch nur mitbauen an der alten Welt von Gewalt und Ausgrenzung.
    Anfangen kann und wird eine neue Zivilisation nur bei uns. Wir können es nicht auf andere abschieben. Nur wenn wir heute unsere Eucharistie feiern in dankbarer Anerkennung von Gottes Botschaft, kann Neues beginnen. Nur wenn wir aufhören, Menschen in unserer Umgebung auszugrenzen und für weniger wert zu achten, gibt es die Chance, dass wir am eigenen Leib erfahren, was das bedeutet: Weihnachten. Amen.