Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Jahresschluss (Gedenktag des Hl. Silvester)

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31. Dezember 2021 - St. Peter, Sinzig-Westum

 

1. Jahresrückblick

  • In ein paar Stunden ist das Jahr 2021 vorbei. Nicht viele werden ihm nachweinen. Es war nicht nur die Pandemie, sondern hier im Ahrtal zudem die Flut. Was sonst noch kommt in einen Jahresrückblick auf 2021?
  • Manche Kommentatoren sagen, die Kirchen hätten keine Antwort auf Pandemie und Flut gefunden. Das, denke ich, stimmt nicht. Da war viel, sehr viel von den Christen, den Gemeinden, Caritas oder Maltesern, Seelsorgerinnen und Seelsorgern. Aber natürlich, wir teilen die Erfahrung der Not und Hilflosigkeit, zumal weltweit.
  • Doch eines gab es in der Tat nicht, was früher normal gewesen wäre: Bittprozessionen oder Sühnegottesdienste wie zu Zeiten der Pest gab es nicht. Von dieser Frömmigkeit trennt uns viel. Zu viel?

2. Gotteszuständigkeit

  • Wir wissen zu viel um die Zusammenhänge, um Gott für zuständig zu halten. Zumindest können wir wissen, wie Pandemie und Globalisierung und Extremwetter mit menschengemachtem Klimawandel zusammenhängen. Wir wenden uns deswegen nicht an Gott im Himmel, sondern eher an "die da oben" in Politik und Wirtschaft. Doch eigentlich wissen, wir, dass wir irgendwie trotz bestem Willen selbst mit drinhängen.
  • Zum Glück war es die Ausnahme, dass Pastoren von der Kanzel die Katastrophen als Strafgericht Gottes über die sündige, gottferne Welt geißelten. Das gab es, aber nur in sektiererischen katholischen oder evangelikalen Randgruppen. Aber ist die Alternative wirklich nur, Gott für unzuständig zu erklären? Hängt unsere Schwierigkeit, angesichts von Pandemie, Klimawandel, Kriegsverwüstungen, ertrinkenden Flüchtenden Gott anzuklagen damit zusammen, dass auch unter uns Christen es schwerfällt, Gott anders zu sehen als ein irgendwie uns umgebendes Größeres, eine Chiffre für die (vorgebliche) Unendlichkeit des Universums?
    Mir fällt auf: Dort, wo in der Bibel Propheten davon sprechen, dass Katastrophen von Gott zur Strafe gesandt seien, sprechen diese Propheten meist nicht über andere, sondern über sich selbst. Nicht "die" sind schuld, oder "ihr" habt Gott vergessen, sondern wir, miteinander stehen vor Gott.
  • Also hat der Glaube daran, dass Gott, ein personaler, ansprechbarer Gott für die Katastrophe Verantwortung trägt immer auch einen Bezug zu mir selbst. Wenn ich angesichts der Katastrophe nicht von dem Versagen von "denen da oben", sondern von Gott im Himmel spreche, dann bin unmittelbar ich als Mensch mit im Spiel. Vor Gott kann ich es nicht auf andere abschieben – selbst wenn vom Ursachenzusammenhang her klar und unleugbar Verantwortung andere tragen sollten! Im Gebet geht es nicht um Kausalität, sondern um Existenz und Beziehung.

3. Dankbarkeit

  • "Im Anfang ist das Wort" – "Das Wort ist Gott." – "Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist." Unser Glaube ringt immer wieder darum: Ist Gott nicht nur ein Name für das irgendwie Größere? Oder ist es doch Gott, den wir ansprechen können, der da ist in und für diese Welt? Und ist alles, was es gibt, nur deswegen, weil Gott dieses Wort spricht "ohne das nicht ist, was geworden ist", eben nicht nur die Schönheit der Natur, sondern auch ihr Schrecken, nicht nur die Güte des Menschen sondern – irgendwie – auch der Abgrund, der sich in uns auftut?
  • Ich habe keine klare Deutung für das, was ich im Rückblick auf 2021 sehe oder im Vorblick auf 2022 befürchte. Ich habe nicht die Antwort, sondern teile die Ratlosigkeit vor der Frage.
  • Doch mein Versuch, auch heute Abend, ist, mich mit dieser Frage hinzustellen und hinauszurufen: Ob da nicht doch der Gott ist, der uns hört! Gott, der mit uns geht. Gott, in der Welt: "Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt." Und wenn ich rufe, dann ist neben der Klage und Frage, tatsächlich ganz viel Dankbarkeit. Denn ich finde hier, in den Gebeten, Texten und Riten, in der Gemeinschaft mit allen, die hier glauben und beten, auch die Erinnerung an die Momente, in denen ich selbst erfahren habe: Wir sind nicht allein, sondern da ist Gott mit uns, er lässt sich suchen und finden in allen Dingen. Auch in diesem Jahr. Amen.