Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zu Pfingsten 2006 (Genesis)

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4. Juni 2006 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt/Main

1. Ein Turm zu Babel

  • Das wollte sich Gott, der Herr, genauer ansehen. Mit einem Schuss Humor versieht die Bibel die alte Sage vom Turm, den die Menschen bis zum Himmel bauen wollten. Nicht als historischer Bericht steht das in der Bibel, sondern als Teil der Ur-Geschichte des Menschen, als Antwort auf die Frage, welchen Sinn und welchen Grund es hat, dass die Menschen in vielen Sprachen und Völkern leben. Wie das Lied von der Schöpfung, wie die Erzählungen von Adam und Eva, von Kain und Abel, so hat die Hl. Schrift auch diese Erzählung vom Bau der Stadt und dem Turm zu Babel in den ersten elf Kapiteln der Geschichte des Volkes Israel seit Abraham vorgeschaltet, als Urgeschichte, Deutungserzählungen über den Grund der Welt.
  • Gott selbst ist der Grund von allem. Das ist das Fundament des biblischen Glaubens. Nicht ein finsterer Demiurg, sondern Gott selbst stieg herab, um sich die Sache mit dem Turm genauer anzusehen. Gott selbst stiftet Verwirrung. Nicht zum Unheil, sondern zum Heil des Menschen dient die Vielfalt der Sprachen. Das wird an der Lokalisierung der Geschichte in Babel deutlich. Denn diese Stadt und dieses Reich hatte sich im 6. vorchristlichen Jahrhundert aufgemacht ein Weltreich zu sein, hatte Jerusalem und den Tempel dort zerstört und die Menschen verschleppt.
  • Diese Erfahrung aus dem sechsten Jahrhundert wird gedeutet. Im Buch Genesis ist dies der Hintergrund, das Bedrohliche zu sehen, das im Anspruch des Menschen liegt, ein Reich zu bauen, ein Volk zu sein unter einem König. Herrschaftsarchitektur ist der Turm damals wie heute. "Machen wir uns damit einen Namen", rufen die Bauherrn. Das ist Propaganda der Diesseitigkeit und Hybris der Macht.

2. Ein Geist zu Jerusalem

  • Die ersten Christen haben Pfingsten als Gottes Antwort auf die babylonische Verwirrung erlebt. Die Vielfalt der Sprachen bleibt. Nicht die Uniformität einer Sprache ist Gottes Antwort, sondern dass Menschen aus den vielen Sprachen erleben und verstehen, dass diese kleine Gruppe Apostel in Jerusalem "Gottes große Taten verkünden".
  • "In Jerusalem wohnten Juden, fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel." Die Apostelgeschichte macht deutlich, wie Gott sein Heil zu allen Menschen bringt. Wie Abraham, so soll auch Israel, das kleine Volk, ein Segen sein für alle Völker. Deswegen datiert Lukas das Ereignis der Geistsendung auf das jüdische Schawuot-Fest, das Wochenfest 50 Tage nach Ostern, an dem Israel sich erinnert an den Empfang der Zehn Gebote am Berg Sinai. Das Johannesevangelium datiert das Pfingstfest bereits auf das Pascha-Fest, Ostern: Der Auferstandene "hauchte die Jünger an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist!". Beide Quellen betonen also die Verbindung zum Alten Testament.
  • Gott ist treu. Gottes Handeln ist wiedererkennbar. Wie im Ersten Testament so auch im Neuen Bund führt Gottes Weg über einzelne Menschen - wie Abraham - und ein einzelnes Volk - Israel. Das Einzelne in seiner Besonderheit ist der Weg zum Heil für alle. Gott stiftet kein Imperium sondern beruft Menschen. Die konkrete Beziehung, ja die Liebe, ist Gottes Handeln eingeschrieben. So auch der Sendung des Heiligen Geistes.

3. Pfingsten der Kirche

  • Pfingsten ist der Beginn der missionarischen Kirche. Auch hierin stimmen die Apostelgeschichte und das Johannesevangelium überein: "Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch." Das gilt den Aposteln, die den Heiligen Geist empfangen haben. Das gilt allen, die das Sakrament der Firmung empfangen haben. In der Taufe sind wir hineingenommen in die Gemeinschaft von Gottes Geist. In der Firmung sind wir als Gottes Kirche gesandt.
  • Deswegen sind die Lesungen wichtig für uns als Christen. Denn der Turmbau von Babel ist keineswegs Vergangenheitsgeschichte. Es ist Urgeschichte. Es ist ein Blick in unser Herz. Die Versuchung Türme zum Himmel zu bauen, die Sehnsucht nach der Uniformität einer Sprache und einer globalen Kultur ist keineswegs Vergangenheit. Die Kirche, die den Heiligen Geist empfangen hat, sah und sieht sich dieser Versuchung ausgesetzt, sich "einen Namen machen" zu wollen, indem man nur eine Sprache spricht. Katholizität wird dabei als Uniformität missverstanden.
  • Pfingsten aber ist das Fest des Gotteslobes, das in den vielen Sprachen gefeiert und verstanden wird. Vielleicht liegt darin auch der heilsgeschichtliche Sinn in der Vielfalt der Kirchen. Vielfältig sprechen wir unsere Sprachen, vielfältig, oft fremd sind uns die Kulturen der anderen. Und doch sollen wir nicht unsere Sprache und Kultur zum Maßstab machen, sondern gilt uns die Verheißung, die an Abraham und Israel erging: Ein Segen sollt ihr sein allen Völkern. Deswegen verkündet das Große, das der Herr an euch getan hat! Amen.