Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt Ostern Lesejahr B - In der Nacht 2012

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7. April 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Ein Leben zu Ende

  • Der Stein ist bei Seite gewälzt. Das Grab ist leer. Die drei Frauen hatten das nicht erwartet. Sie wollten Jesus einen letzten Dienst tun. Nach jüdischer Sitte sollte der Leichnam einbalsamiert werden; ein letztes Zeichen der Liebe am Grabmal, dem Gedenkort für den Verstorbenen.
  • Vielleicht hatten die drei noch keine Zeit darüber nachzudenken, was das alles zu bedeuten hatte und warum sie da waren. Sie taten schlicht, was man so tut, wenn schon die Herren Jünger in alle Himmelsrichtungen davon gelaufen waren. Vielleicht aber hatten sie auch schon angefangen, darüber nachzudenken. Das Leben ihres Herrn und Meisters, Jesus Christus, war tragisch geendet. Wie ein Verbrecher war er hingerichtet worden. Die Frauen könnten sich gefragt haben, ob man das nicht hätte verhindern können. Was hätte Jesus, was hätten die Jünger, was hätten sie selbst anders machen müssen, damit es nicht so weit kommt? Und irgendwann wäre die Frage gekommen, was das Leben Jesu bedeute und welchen Sinn es habe angesichts dieses Endes.
  • Das Ende, so schien es, war das Grab. Das Ende war ein schwerer Stein vor dem Grab. Das Ende war Trauer und Ratlosigkeit. Sie hätten gerne noch einmal mit Jesus gesprochen, ihn gesehen, ihn berührt und umarmt. Das, so meinten sie, wäre nun unwiderruflich vorbei. Mit der Salbung des Leichnams wollten sie die Geschichte ihres Freundes und Meisters Jesus abschließen. Einzig, wie sie den Stein vom Grab bekämen, war ihre Sorge. - Aber der Stein war schon vom Grab genommen, und das Grab war leer.

2. Die Entdeckung des Sinns

  • Von den anderen Evangelien her würden wir erwarten, dass jetzt eine Begegnung mit dem Auferstandenen folgt. Nicht so bei Markus. Er macht deutlich, dass die Begegnung mit dem Auferstandenen jetzt stattfindet, wo wir das Evangelium hören und diese Nacht feiern. Die Tatsache, dass wir feiern, ist eine Frucht der Auferstehung: Weil der Auferstandene seinen Jüngern vorausgegangen ist nach Galiläa, dem Ort, wo es angefangen hat, weil sie dort, in ihrem Alltag sozusagen, dem Auferstandenen begegnet sind, gibt es die Gemeinschaft der Kirche.
  • Die Frauen und die Jünger werden über ihre Erfahrungen gesprochen haben. Es war doch alles schon abgeschlossen, der Leichnam beerdigt und nur noch die Salbung stand aus. Jetzt aber beginnt etwas Neues, etwas, wie es scheint, absolut Neues. Ja, die Auferstehung ist ein Neubeginn. Wo Menschenmacht Gottes Sohn an's Kreuz geschlagen hatte, sollte es zu Ende sein. Aber Gottes Ohnmacht ist stärker.
  • Keiner der Jünger hatte damit gerechnet. Dennoch werden sie bald schon angefangen haben, darüber nachzudenken und darüber zu sprechen. War das, was geschehen ist, einfach nur etwas unerwartbar Neues? In den Evangelien wird auffällig oft erwähnt, dass die Jünger, als Jesus noch bei Ihnen war, etwas noch nicht verstanden hätten. Jetzt aber beginnen sie zu verstehen. Sie beginnen in den Heiligen Schriften des Volkes Israel nachzulesen, so wie wir es in dieser Nacht getan haben. Sie beginnen zu verstehen: Was hier geschehen ist, war nicht zu erwarten, aber im Rückblick fügt es sich zusammen. Das Leben und Sterben Jesu hat einen Sinn und eine Richtung. Weil Jesus so ganz sein eigenes Leben aus der Verbindung mit Gott und mit Gottes Heilsgeschichte gelebt hat, fügt sich auch die Auferstehung, so undenkbar sie war, im Rückblick ein. Auch im Tod hat Gott diese Beziehung nicht aufgegeben.

3. Gott spricht sein Wort des Lebens

  • Markus betont, dass die Frauen im Übergang von der Nacht zum Tag unterwegs waren zum Grab. Es ist der erste Tag der Woche. Mit diesem beginnt das Schöpfungslied zum Anfang der Bibel: "Gott sprach: Es werde Licht". So beginnt es. Zu Abraham spricht Gott "Ich will dir Segen schenken in Fülle", so beginnt die Geschichte des Volkes Gottes. Auch dort wo diese Geschichte am Ende schien, spricht Gott sein Wort "Ich hole euch heraus aus den Völkern, ich sammle euch aus allen Ländern und bringe euch in euer Land". Immer wieder ist es Gottes Wort, das er spricht, um Neues zu beginnen.
    Dies ist die Nacht, in der Gott spricht: "Es werde Licht". Er spricht es angesichts des Kreuzes: "Es werde Licht". Er spricht es angesichts der Dunkelheit des Todes, des Krieges, des Unrechts, der Sinnlosigkeit: "Es werde Licht". Dieses Licht ereignet sich nicht als Urknall in erdgeschichtlicher Vorzeit. Es ereignet sich auch nicht mit der Entdeckung der Elektrizität. Es ereignet sich auch nicht, weil wir Menschen endlich zur Aufklärung gekommen wären. Es ereignet sich, weil Gott dem im Tode Gefangenen und Verlorenen sagt: "Es werde Licht".
  • Ich stelle mir die Auferstehung nicht so vor, als hätte Gott in der Grabeshöhle einen übernatürlichen Lichtschalter angeknipst. Gott hat das getan, was er durch die Geschichte des Heils hindurch immer tut: Er hat Jesus beim Namen genannt: Hallo, Jesus! - oder wie immer der himmlische Vater seinen Sohn anreden mag. Das "es werde Licht" kommt von dem Auferweckten, den Gott angesprochen hat. Er leuchtet, weil Gottes Licht sein Leben ist.
  • Gott spricht den Menschen an, nennt ihn beim Namen und geht so Verbindung mit ihm ein: Hallo Abraham! Hallo Jesaja! Hallo Baruch und Ezechiel!. Die drei Frauen am Grab werden erst von einer himmlischen Engelsgestalt zu Petrus und den anderen Jüngern gesendet. Sie sollen dorthin gehen, wo ihr Zuhause ist, in Galiläa. Dort werden sie dem Auferstandenen begegnen, dort wird aus der düstren Verwirrung über das leere Grab das Licht des Glaubens: Hallo Maria!, Hallo Salome, Hallo Petrus!
    Dann werden die Jünger verstehen, dass Gott den auferweckt hat, der in seinem Leben konsequent, selbst in der finstersten Stunde im Gespräch mit Gott war. Jeden Tag, den Jesus auf Erden lebte, hat Gott ihn angesprochen. Deswegen ist Jesus nicht bei den Toten zu finden; sein himmlischer Vater "ist doch nicht ein Gott von Toten, sondern von Lebenden" (Mk 12,27). Er wird auch uns, jeden von uns, dieses Licht und dieses Leben schenken, wenn wir uns von ihm ansprechen lassen; jeden Tag auf Erden und auch einst jenseits dessen will Gott mir sagen: Hallo Mensch, ich rufe dich bei deinem Namen, denn du sollst leben! Amen.