Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt Ostern Lesejahr B - In der Nacht 1991

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31. März 1991 - Pfarrei St. Evergislus, Bonn-Bad Godesberg

1. Sehnsucht

  • Sven (Name von der Redaktion geändert!) war damals, als ich ihn kannte, 16 Jahre alt. In unserer kleinen Kapelle auf dem Schulgelände im Hamburg haben wir um 7.00 Uhr früh die Heilige Messe gefeiert. Sven war regelmäßig dabei. Er hat sie voll Andacht mit gefeiert, auch wenn er nie zur Heiligen Kommunion gegangen ist. Er war nicht getauft.
    Als ich ihn eines Tages gefragt habe, warum er sich nicht taufen lassen will, hat er mir geantwortet: "Wie gern wäre ich als Kind getauft worden; heute fällt es mir so schwer, weil ich weiß, auf was alles ich mich einlasse."
    Beides ist beeindruckend: Ein 16-jähriger der von einer tiefen Sehnsucht erfüllt ist, getauft zu sein - und den Schritt zu tun nicht vermag. "Weil ich weiß, auf was alles ich mich einlasse."
  • Es gibt Menschen, denen ist eine tiefe Sehnsucht ins Herz gelegt nach dem Heil, dem Heilen, was nicht wieder zerredet wird, das nicht wieder von Kleinkariertheit verzerrt wird, von dem was menschlich, allzu menschlich ist. Sven hat in der nüchternen Frühmesse im Kreis von vielleicht acht oder zwölf Leuten etwas Heiles gefunden. Aber wenn die anderen ihre Hand öffneten, um den Heiland im Brot zu empfangen, stand er abseits. Den letzten Schritt konnte er nicht gehen.
  • Jesus muss etwas von dieser Sehnsucht vermittelt haben. Die Jünger, die mit ihm ziehen, waren fasziniert und ließen alles zurück, folgten ihm und versuchten ihr Leben radikal neu anzufangen. Vielleicht ist diese Sehnsucht nach Heil in unserer Kirche heute noch gegenwärtig. Aber wie schwer fällt es, den letzten Schritt zu tun.

2. Kreuz

  • Denn oft genug gehen gute Ansätze wieder zugrunde. Manchmal stehen wir uns selbst im Weg. Manchmal stehen uns andere im Weg. Ja, die Kirche selbst, die konkrete Gemeinde vor Ort oder die Strukturen der guten Mutter Kirche, stehen uns manchmal im Weg; stehen uns im Weg wie der Stein, der das Grab Jesu geschlossen hält, nachdem er an den Menschen gescheitert war.
  • So ein Stein ist für viele Grund genug, auseinander zugehen. Grund genug, das Experiment als gescheitert anzusehen. Grund genug, voll Resignation den Rückzug ins Private anzutreten.
    Die Hoffnung - enttäuscht.
    Die Sehnsucht - erstickt in der Alltäglichkeit.
  • Nach menschlichem Ermessen ist alles zu Ende.
    Die Jünger fliehen und die Frauen erweisen Jesus noch den letzten Dienst: Sie kommen, seinen Leichnam zu salben.

3. Der Stein ist weg gewälzt

  • Doch diese Frauen, die resignierend zum Grab gehen, sehen etwas, was alles verändert. Was sie nicht erwartet haben. Was nicht zu erwarten war: Der Stein ist weg gewälzt.
    Das, was wir hier im Glauben bekennen, ist etwas so Einmaliges, Umwälzendes, Steine-Weg-Wälzendes, dass es nicht zu erwarten ist. Dass der Tod nicht das letzte Wort haben könnte, widerspricht völlig unserer durchschnittlichen Erwartungshaltung. Dass wir, mit unserer Durchschnittlichkeit und Mittelmäßigkeit, unseren wohlerprobten Eifersüchteleien und Rechthabereien, nicht das Letzte und Entscheidende sind - wer könnte das erdenken?
    Der Stein ist weg gewälzt. Gott will und Gott wird das letzte Wort behalten.
  • Der Engel sagt ausdrücklich: "Fürchtet Euch nicht!" Gott will uns mit dem weg gewälzten Stein nicht erschlagen. Er will uns einen Weg öffnen, dass wir ihn gehen; auf eigenen Füßen und mit tastendem Schritt, aber immer im Blick auf das geöffnete Tor.
    Wir werden noch manchen Stein auf unserem Weg finden. Vielleicht sogar stolpern. Und für manchen ist es das schlimmste in der Kirche im Altarraum zu stolpern und auf die Nase zu fallen. Das ist der Albtraum der Messdiener! Aber wenn wir stolpern, selbst wenn wir in der Kirche ins Strudeln kommen, dann ist der Zeitpunkt gekommen, uns an Ostern zu erinnern. Dass der Stein, der uns vom Leben trennt, weggenommen ist. Dass wir daher auch die vielen kleinen Steine schaffen werden, auch wenn es manchmal, vielleicht für lange so scheint, als müßte die Resignation das letzte Wort behalten.
  • Ich weiß nicht, was aus Sven geworden ist. Vielleicht hat er das entdecken dürfen, was ich Ihnen in dieser Nacht sagen will: Das Heile und Heilige wird nicht von uns gemacht und auch nicht von uns aufgehalten. Solange wir in der Kirche, in der Gemeinschaft der Glaubenden miteinander Ostern feiern, haben wir den Blick frei auf dieses Unversehrte und Heile und können uns auf unser Leben gemeinsam einlassen. Schritt für Schritt. Amen.