Predigt zu Karfreitag 2005
Zurück zur Übersicht von: Karfreitag
1. Zu viele Antworten
- Ist hier Gott noch gegenwärtig? Unsere Welt krankt nicht an zu
wenig
Antworten. Antworten haben wir viele, allzu viele. Auch der Kirche
ermangelt
es nicht an Antworten. Sie füllen ganze Katechismen, Bibliotheken
und
nicht wenige Köpfe. An Antworten mangelt es nicht, sondern an
Fragen.
- Jesus fragt die Soldaten "Wen sucht ihr?". "Mit
Fackeln, Laternen und Waffen waren sie ausgerückt", Licht in
die Affäre zu bringen und Jesus zu verhaften. Auf die Frage Jesu "Wen
sucht ihr?" meinen sie eine Antwort zu haben - allzu viele
Antworten!
Als Jesus sie aber ganz einfach mit seiner Gegenwart konfrontiert -
mit einem
einfachen "Ich bin es!" - haut es sie um. "Als
er zu ihnen sagte: Ich bin es!, wichen sie zurück und stürzten zu
Boden." Die schnelle Eingreiftruppe im Garten Getsemani hat
nicht
damit gerechnet, dass einer zu dem steht, wer er ist.
- Eine Klarstellung daher noch: "Wenn ihr mich sucht, dann lasst
diese gehen!" Wir sind gerne mit Scheinfragen nach den
Aposteln,
den Jüngern, der Kirche, dem Papst, dem Pfarrer und sonst etwas
beschäftigt,
bevor wir die eigentliche Frage gefunden haben. Am Karfreitag wird
Jesus ganz
allein da stehen, der Mensch.
2. Kein Mut zu Frage
- Pilatus stellt die eine, die berühmte Frage: "Was ist
Wahrheit?".
Wir wissen nicht, in welchem Tonfall er sie gestellt hat -
skeptisch, triumphierend,
nachdenklich. Darüber lässt sich trefflich spekulieren. Doch wozu?
- Jesus steht vor Pilatus. Er, nicht eine Hypothese oder Theorie,
ist die
Wahrheit. "Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen,
dass
ich für die Wahrheit Zeugnis ablege."
- Pilatus stellt seine Frage und geht weg. Das Evangelium lässt nur
raten,
in welchem Tonfall er seine Frage stellt. Aber es zeigt
überdeutlich,
dass Pilatus an keiner Antwort interessiert ist, weil er nicht fähig
oder bereit ist, die wirkliche Frage zu stellen. Deswegen heißt es
im
Evangelium: "Pilatus sagte zu ihm: Was ist Wahrheit?" Und
"Nachdem er das gesagt hatte, ging er wieder hinaus".
Draußen
sucht er sich durch Taktiererei aus der Affäre zu winden. Jesus wird
ihm keine Antwort mehr geben.
3. Wer fragt da eigentlich wen?
- Zu allen Zeiten standen Menschen ratlos vor dem Kreuz Jesu. Warum
dieses
Leid? Warum diese Ohnmacht? Warum dieser Tod? Zu allen Zeiten hat
dieses Kreuz
die Menschen fragen lassen nach Gott und seiner Gerechtigkeit, wenn
Gott solches
Leid zulässt. Das Kreuz ist keine Antwort. Es ist ein großes
Fragezeichen.
- Wer fragt da eigentlich wen? "O du mein Volk, was tat ich dir?
/ Betrübt ich dich? Antworte mir!" Dies ist der Text der so
genannten Improprien. Dies alte Lied der Frage Gottes an sein Volk,
an die
Juden, die stellvertretend für die Menschheit stehen, werden wir
auch
heute hören. Das Kreuz ist die Frage Gottes an die Menschen. Das
Kreuz
ist nicht die Antwort. Das Kreuz ist die Frage. Vom Kreuz herab
fragt Gott
uns Menschen.
- Heute ist Gott gegenwärtig in der Frage, nicht in der Antwort. Wir
haben zu viele Antworten und mauern die Menschen damit ein und
versuchen Gott
damit festzunageln. Die Würde des Menschen ist uns verloren
gegangen,
wo der Mensch uns nicht mehr Frage ist. Die Heiligkeit Gottes ist
uns entschwunden,
wo Gott uns nicht mehr Frage ist. Auch heute, am Karfreitag, ist
Gott gegenwärtig.
Aber in der Frage, nicht in der Antwort. Amen.