Predigt zu Karfreitag 2002
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29. März 2002 - Pfarrkirche Niederwald/Oberwallis
1. Was ist Wahrheit?
- "Was ist Wahrheit?" Ist in dem Schrecken dieser
Ereignisse noch Wahrheit. Soll man das Wort "Wahrheit" überhaupt in
den Mund nehmen, oder nicht lieber verstummen?
- Pilatus erwartet keine Antwort auf seine Frage: "Was ist
Wahrheit?" Für ihn hat sich die Frage erledigt. Er will dieses für
ihn lästige Verfahren zu Ende bringen, gerade jetzt, wo er merkt, dass
es um mehr geht, als um ein Routine-Verfahren
gegen einen verrückten, religiös-fanatischen Aufständischen, derer es in
seiner Zeit so viele gab.
- Pilatus ist der Typ, der mit einer zynischen Frage alles erledigt.
Was redet ihr so groß daher?, lautetet die Pilatus-Frage. Man
braucht keine einzige Vorlesung an einer Universität
studiert zu haben, um sich in Theorie zu flüchten, wo es einem selbst zu
nahe geht.
2. Aus der Wahrheit sein
- "Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme",
ist der Satz Jesu, auf den Pilatus mit seiner Frage reagiert. Es
geht Jesus gerade nicht um abstrakte Wahrheit, um theoretische Sätze.
Die Wahrheit, von der Jesus spricht, ist die
Gegenwart Gottes in meinem Leben, die mich herausfordert, mich dem zu
stellen.
- Pilatus verweigert sich mit seiner Frage. Ich kann das Leiden der
Welt, ich kann das Leiden Jesu, ja ich kann alles, selbst
die größte Liebe, kaltblütig einfrieren, indem ich daraus eine Theorie
mache. Was ist schon...? ist als Frage genauso
tödlich, wie jede andere Generalisierung. Ich habe Menschen, die in der
Erfahrung von Leid der Zweifel an Gott
überkommt. "Wie kann Gott das Leid in der Welt zulassen?" Ich
habe darauf keine Antwort.
Manches Mal ist mir die Frage aber schon von solchen Menschen gestellt
worden, die dem Leid nicht näher gekommen
sind als von hier bis zum Fernseher. Diesen Menschen darf man antworten:
Gott hat sich dem Leid gestellt. Für Christus
am Kreuz ist die Wahrheit keine Theorie.
- Petrus ist der andere Typ. Er will sich der Situation stellen.
Aber er begreift es nicht. Er zieht das Schwert. Petrus meint,
das Leid sei dadurch schon aus der Welt geschafft, dass ich mich
einsetze. Probleme sind für ihn dazu da, gelöst zu
werden. Schmerzhaft, bitter schmerzhaft stößt Petrus an seine Grenzen,
als es ihm nicht einmal gegenüber einer Magd
gelingt, sich zu Jesus zu bekennen.
3. Unter dem Kreuz
- Etwas von Petrus, etwas von Pilatus wird jeder von uns in sich
entdecken. Die Feier des Karfreitags aber kann uns helfen,
weiter zu kommen. Nicht die Frage nach unserer eigenen Wahrheit
wegschieben mit altklugen, allzu weisen Theorien.
Nicht die Frage nach der Wahrheit unseres Lebens verdrängen durch
Aktionismus.
- Nicht Pilatus und nicht Petrus ist es, die unter dem Kreuz stehen.
Nur die drei Frauen und Johannes, der Jünger, den
Jesus liebte. Diese sind es, die vielleicht nicht so klug sind wie
Pilatus, nicht so stark wie Petrus, die aber dem Herzen
Jesu nahe sind, gerade in dieser Stunde. "Jeder, der aus der
Wahrheit ist, hört auf meine Stimme" erfüllt sich für sie, als
sie den Todesschrei Jesu hören und in diesem Schrei die Wahrheit der
Welt begreifen.
- Die Kirche steht heute unter dem Kreuz. Angesichts des Leides
sollten wir nicht weglaufen, sondern schweigend
zusammenstehen. Mit Johannes und mit Maria. Im Schweigen unter dem Kreuz
allein öffnet sich die Wahrheit. Amen.