Predigt zu Karfreitag 2001
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13. April 2001 - khg Göttingen, Universitätskirche St. Nikolai
1. Warum?
- Warum so ein qualvolles Ende? Warum so ein elender Tod?
- Hätte er nicht sterben können wie Sokrates, der am Ende seines
Lebens im Gefängnis seine Jünger um sich versammelte
und den Schierlingsbecher nahm und am Gift starb? All das Grauen, das
die letzten Stunden Jesu überfällt, von der
Einsamkeit im Garten bis zum Ende am Kreuz, all das wäre doch
entbehrlich gewesen.
- Auch ohne das hätten wir die Bergpredigt und all die wunderbaren
Gleichnisse der Liebe Gottes. Brauchten wir das
Kreuz, um das Gleichnis vom verlorenen Sohn und vom barmherzigen Vater
zu verstehen? Warum der Karfreitag?
2. Hier ist Gott
- Erklären können wir all dies nicht. Ja, wir dürfen es gar nicht
einmal unternehmen, das, was Gott in Christus am eigenen
Leib erlitten hat, in das dürre Gerüst einer Theorie zu packen, meinend
dann verstanden zu haben. Den Karfreitag kann
man im Letzten nur verstehen, wenn man fassungslos vor dem Kreuz kniet
und betet.
- Erklären kann ich es nicht, aber ein wenig zu verstehen suchen, in
aller Ehrfurcht vor dem Geschehen. Denn gerade der
Unterschied zum Tod eines Sokrates macht deutlich, was das Grund-Andere
ist, das hier wirkt. Sokrates hat Schüler
hinterlassen, darunter den großen Platon. Seine Ideen wurden bestimmend
für die Philosophie des Abendlandes und
werden bis heute in gelehrten Kreisen diskutiert und von vielen Menschen
gelesen. Sicher hat seine Weisheit auch
manchen Menschen weiser gemacht und damit die Welt etwas besser. So
hätte auch Christus ein Weisheitslehrer sein
können. Er war aber ein Anderer. Er war der, der gesagt hat: "Ich
und der Vater sind eins!" Daher spricht aus ihm nicht
nur die Weisheit Gottes, in ihm handelt Gott selbst, zeigt sich Gott
selbst, wie er ist - in ihm leidet Gott an und in dieser
Welt, bis hin zum Kreuz.
- Keine Weisheit also, sondern Geschehen. Auch keine Tat, sondern
Erleiden. Aber dieses Erleiden ist Liebe. Denn hier
leidet einer, dem die Ursache des Leidens, die Schuld des Menschen so
fremd wie nur möglich ist.
Denn Schuld ist doch nur ein anderer Name für das Herausfallen aus der
Ursache allen Lebens und allen Seins, aus Gott.
Der Mensch beginnt schuldig zu werden, wenn er meint, die Dinge würden
aus Menschenkraft geschaffen und erhalten
und könnten daher auch Menschenwillkür unterworfen werden. Der Mensch
wird schuldigt, wo er sich unberufen als
Richter über den Menschen setzt - und damit an die Stelle Gottes. Denn
Gott allein ist es, aus dem die Welt wird und ist.
Seine Schöpfung, sein Liebeswirken ist der Grund dafür, dass nicht alles
in das leere Nichts zurückfällt, sondern ist. So ist
Gott die Liebe, die Leben schafft und ist die Sünde die Abkehr von
diesem Urgrund der Welt, die Leben vernichtet. Bis
zum Kreuz.
3. Das Kreuz
- Nach menschlichem Ermessen wäre Gottes Zorn die einzig denkbare
Antwort auf das aberwitzige Treiben der Menschen.
Gott sieht den Menschen, der doch ganz aus Gott geschaffen ist und sich
dennoch wegbeugt, herausflieht,
dagegenstemmt. Gottes Zorn wäre das Naheliegende; Gott würde dem
Menschen seinen blinden Willen lassen und ins
Nichts stürzen lassen, aus dem der Mensch geschaffen ist. Aber Gott ist
anders. Seine Liebe geht weiter und tiefer, als wir
es ermessen.
- Ich will es mit einem - schwachen - Vergleich versuchen(1):
Wir stehen vielleicht vor einem alten und debilen Menschen
oder vor einem in Geistesverwirrung gefangenen Menschen, können kein
Wort an ihn richten und würden ihn doch so
gern erreichen und ein gutes Wort sagen. Auf unser Sagen kommt aber
keine Antwort und es bleibt der stumme Blick. -
So steht Gott vor dieser Welt und vor uns Menschen. Er würde uns so
gerne sagen und tut es unendlich oft, die Welt
aber wendet sich ab, leeren Blickes und geht weiter ihrem Todesgeschäft
nach, macht sich selbst zum Gott und Richter
und vernichtet, was Gott geschaffen hat. So steht Gott vor der Welt, die
sich abwendet. Wo wir aber bei dem
Geistesverwirrten nicht weiterkommen, dort steigt Gott selbst
in die Welt der Geistesverwirrung, umgreift sie von ganz
nahe, um sie restlos für sich zu öffnen.
- Das ist das Kreuz. Kein Wort mehr, keine Weisheitslehre, sondern
Nähe dort, wo wir uns nur grausend abwenden, was
aber doch Teil unserer Welt ist. Gott wendet sich nicht ab, sondern
steigt in diese Einsamkeit hinab, damit nichts
Geschaffenes bleibt, das nicht von dieser Liebe erreicht wird. Deswegen
beugen wir vor dem Kreuz das Knie. Und beten.
Amen.
1. Guardini, Romano: Der Herr. Betrachtungen über die Person und das Leben Jesu Christi. Leipzig (St. Benno) 1964