Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zur Hochzeit - Geliebte Ehrfurcht

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9. August 2014 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Furcht oder Angst

  • "Da ergriff sie große Furcht und sie sagten zueinander: Was ist das für ein Mensch, dass ihm sogar der Wind und der See gehorchen?"
    Es ist nicht so abwegig zu fragen, ob es eine solche Furcht auch in der Ehe gibt und ob das ein gutes Zeichen oder ein Alarmzeichen wäre.
  • Die Furcht, die hier gemeint ist, unterscheidet sich von der panischen Angst, die diesen kleinen Trupp galiläischer Fischer ergriffen hatte, als sie mit ihrem kleinen Boot in die berüchtigten Fallwinde auf dem See Genezareth gekommen waren und Angst hatten unterzugehen. Dies ist die bekanntere Angst, die wir niemand wünschen.
    Es gibt sie in Stufen von kleinen Panikattacken im Alltag bis hin zur Angst, die uns die Brust zusammenschnürt, wenn uns eine schlimme Prognose vom Arzt mitgeteilt wird oder wenn wir fürchten müssen, dass die Liebe, auf die wir unser Leben bauen wollten, im Streit zerbricht. Das sind die Zeiten der Angst, in denen bei den einen Panik ausbricht, während andere von Lethargie wie gelähmt erscheinen. Solche Angst möge E und C erspart bleiben.
  • Die Furcht jedoch, mit der die Jünger Jesu gewahr werden, dass diesem Menschen sogar die Kräfte der lebensbedrohlichen Naturgewalten gehorchen, diese Furcht ist etwas völlig anderes, als die beschriebene Angst. Die gemeinte Furcht - Ehrfurcht leitet sich davon ab - ist vielleicht sogar das unverzichtbare Fundament einer gelingenden Ehe und Familie.

2. Geheimnis und Sakrament

  • Die Betreiber sozialer Netzwerke mögen das Ziel haben, dass sie - und natürlich ihre Nutzer! - möglichst viel wissen. Facebook, Xing & Co machen das so gut, dass wir dem nichts hinzufügen müssen. Vielmehr sollten wir, wenn wir hier in einer Kirche zusammen sind, etwas anderes suchen. Denn E und C feiern heute ihre Ehe als Sakrament, aufbauend auf dem Sakrament der Taufe, in dem sie Gott als seine Kinder adoptiert und in die Gemeinschaft des einen Volkes Gottes aufgenommen hat, das Sonntag für Sonntag in Kirchen zusammenkommt. 'Sakrament' kann man übersetzen als ein sichtbares, heiliges Zeichen, in dem Gott etwas wirkt, das nicht oberflächlich sichtbar und das doch wirksam ist. So ist das Wasser der Taufe ein Sakrament, so ist das Treueversprechen der Ehe ein Sakrament. Menschen handeln sichtbar im Auftrag Gottes, damit Gott wirksam werden kann.
  • Interessant aber ist, dass für das lateinische Wort 'sacramentum' im Griechischen, der Sprache der Bibel, das Wort 'mysterion' verwendet wird, ein Wort also, das gemeinhin mit 'Geheimnis' übersetzt wird. Denn in der Tat ist es uns in den Sakramenten um das Geheimnis zu tun.
    Aber es geht nicht um das Geheimnis im Sinne des englischen 'secret', sondern um das 'mystery', das Mysterium, das uns darauf verweist, dass bei allem Wissen, das wir haben, es immer noch unendlich viel mehr gibt, das wir noch nicht wissen und das wir mit unseren irdischen Augen auch nie ganz werden wissen, erfassen und ausschöpfen können.
  • Dies ist ein wesentlicher Sinn der Kirche und der Gottesdienste, die die Kirche in den vielen Formen feiert: Dieses Geheimnis zu wahren. Indem wir in heiligen Zeichen feiern, werden wir hineingeführt in das Geheimnis, in das Mysterion, in das Sakrament - und diese Einführung in der Heiligen Feier des Gottesdienstes ist eben nicht ein Bloßstellen, in dem alles enthüllt würde, sondern die tiefe Erfahrung, dass Gott und Gottes Wirken unter uns einerseits die Kraftquelle ist, aus der wir täglich schöpfen, andererseits aber immer größer ist als alles, was wir denken und begreifen. Es ist diese Kraft des Heiligen, die Menschen in große Furcht zu versetzen vermag - jene Furcht, die die Jünger im Boot ergriffen hat und die uns davor bewahrt, in der Banalität des Alltags und des Immer-schon-alles-Wissens einer wissensgeilen, vergoogelten Zeit zu versinken.

3. E und C

  • Lieber C, liebe E, ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie das, wovon ich hier rede, kennen. Ansonsten wären Sie heute nicht hier; sie hätten es bei einer verliebten Freundschaft belassen, die wieder aus einander geht, wenn 'es' nicht mehr 'klappt' - was immer dieses 'es' wäre. Aber ich denke, sie kennen diese Furcht, von der im Engelium die Rede ist, diese heilige Furcht, diese Erschütterung die uns befallen kann, wenn wir ahnen und spüren, dass wir einer größeren Wirklichkeit begegnen, als die, auf die wir gefasst waren.
    Ziemlich sicher haben oder hatten Sie für diese Erfahrung einen anderen Namen - wenn Sie denn überhaupt einen Namen dafür hatten. Vielleicht haben Sie in dieser Erfahrung mehr eine Bedrohung als eine Grundlage Ihrer Liebe gesehen. Aber es ist wirklich die Grundlage und das Fundament einer Liebe und Treue, wie Sie sie sich heute einander versprechen, dass Sie sich in der Ehrfurcht üben, die sich das Gespür für die Heiligkeit des Anderen bewahrt. Seien Sie einander Geheimnis, gerade nicht um vor dem anderen etwas zurück zu halten und zu verbergen, sondern um tiefer zu gehen als das Brackwasser der Oberfläche - bleiben Sie einander Geheimnis, in dem Sie mit jedem gemeinsamen Jahr Ihrer Ehe mehr Ehrfurcht vor der Gegenwart Gottes im anderen spüren. Und wenn Gott Ihrer Ehe Kinder schenkt, dann werden Sie Erfahren, dass diese unendlich viel mehr sind, als was wir machen oder begreifen können.
  • Das ist der Grund, warum Jesus im heftigsten Sturm so seelenruhig bleiben konnte; das ist der Grund, warum er seine Kirche - die Jünger - fragt: "Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?", denn Glauben bedeutet dieses Wissen um das Geheimnis der Gegenwart Gottes, das es uns möglich macht zu vertrauen, einander, uns selbst und der Gegenwart Gottes in uns und in den Heiligen Zeichen, die wir feiern.
  • Schreiben sie sich über Ihre Ehe den Anfangssatz der Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Kolosser: "Ihr seid von Gott geliebt, seid seine auserwählten Heiligen." Denn das ist die Grundlage. Sie, als Getaufte, sind Gottes "auserwählte Heilige"; dies nicht, weil sie fehlerfrei und perfekt wären, sondern deswegen, weil Gott mit seiner Heiligkeit in ihnen wohnt und Gott heute, in dieser Feier und durch diese Feier, im Heiligen Sakrament die Mitte Ihrer Ehe wird, damit sie sich mutig hinauswagen auf den See, die Stürme bestehen, einander beistehen und die Ehrfurcht erfahren, dass in dem Menschen, der an ihrer Seite ist, Gottes Geheimnis wohnt, denn in Gottes Sohn seid ihr Getaufte, auserwählt um das Geheimnis zu wahren. Amen.