Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zur Hochzeit 1. Mai 2010 - Die Liebe einander schuldig

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1. Mai 2010 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Die Liebe

  • Ich stelle mir den Einbrecher vor, wie er vor dem Richter Jönsson steht und sich verteidigt: "Herr Richter, ich habe die Juwelen ja nur geklaut, weil ich meine Frau so sehr liebe. Und Sie selbst haben sich doch für Ihre Hochzeit die Lesung ausgesucht, nach der die Liebe die Erfüllung aller Gebote ist." Es wäre interessant zu wissen, ob der Bräutigam das Argument im Urteil gelten ließe. Ich vermute, eher nicht. Wir wolle dem Juwelendieb glauben, dass er über beide Ohren in seine Frau verliebt ist. Aber das Gebot "Du sollst nicht stehlen" lässt sich dagegen nicht verrechnen.
  • Dabei wäre der Juwelendieb mit seiner Meinung gar nicht so allein. Wenn es nicht gerade vor Gericht ist, muss die Liebe oft als Argument herhalten. Gegen Gefühle, so heißt es, könne man nun mal nichts machen. Das Resultat aber ist dann schnell eine Diktatur dieser Gefühle - und Diktaturen sind wankelmütiger und unberechenbarer, als manche denken. Deswegen lohnt es sich, da genauer hinzuschauen. Denn so wenig unser Bräutigam in seinem Beruf als Strafrichter einem Juwelendieb das Argument durchgehen lässt, so wenig will er mit dem, was er heute seiner Melanie verspricht, dieses Versprechen von momentanen Gefühlen abhängig machen.
  • Auch wenn die Braut nicht an das reife Alter des Bräutigams heranreicht, so haben beide nicht nur genug Lebenserfahrung, sondern auch genug Erfahrung miteinander, um zu wissen, was sie heute tun. Das schüchtern gehauchte Bekenntnis der Verliebtheit ist das eine. Der Entschluss, einen Lebensbund mit einander einzugehen, wesentlich mehr und anderes.

2. Der Bund

  • Paulus gebraucht in seinem Brief an die Christen in Rom die Liebe nicht als Allerweltsargument. Vielmehr schreibt er an diese Gemeinde in Rom darüber, was ihre Beziehung zueinander prägt. Er sieht die Gemeinde der Christen - die Kirche - als einen "Leib in Christus" (Röm 13,5). Dieses Bild drückt für ihn aus, dass einerseits alle auf einander angewiesen sind, und zwar gerade in ihrer Verschiedenheit. Andererseits bilden sie eine Einheit, nicht aus eigenem Wollen und eigener Kraft, sondern weil ihnen gemeinsam ist, dass sie von Christus in diese Kirche berufen sind. Gott hat sie - auf verschlungenen Wegen vielleicht - die einen jünger, die anderen etwas älter, zusammen geführt. Von Außen mag das wie zufällig aussehen. Im Glauben erkennen wir die Berufung Gottes, wo Menschen zu einander geführt werden.
  • Diesen Christen schreibt Paulus: "Bleibt niemand etwas schuldig; nur die Liebe schuldet ihr einander immer." Nur: Björn "schuldet" Melanie nicht seine Liebe zu ihr und umgekehrt sie ihm auch nicht. Die Liebe im Herzen ist ungeschuldetes Geschenk füreinander; diese Liebe empfangen beide als Geschenk. Beide haben aber beschlossen, da sie einander in dieser Weise im Herzen lieben, sich nun einander auch den Schuldschein der anderen Liebe auszustellen: der Liebe, die Treue verspricht. Diese dann geschuldete treue Liebe ist die Basis des Bundes, den sie mit einander eingehen; diese treue Liebe wollen beide auch in Zeiten schulden, wo das Gefühl der Liebe des Herzens vielleicht nicht mehr so präsent ist und erst neu wachsen muss.
  • Die Christen in Rom, denen Paulus schreibt, haben Anteil an dem Bund, den Gott mit Menschen eingeht. Gott hat sie in sein Volk berufen. Melanie und Björn werden heute eben diesen Bund, an dem sie durch ihre Taufe Anteil haben, erneuern und eine konkrete Gestalt geben. Im Segen, den ich nachher sprechen nach, wenn die beiden sich das Eheversprechen gegeben haben, wird es heißen: "Die Gemeinschaft von Mann und Frau hast du zu einer neuen Würde erhoben und die Ehe als Bund der Liebe und als Quelle des Lebens vollendet. Wo Mann und Frau in Liebe zueinander stehen und füreinander sorgen, einander ertragen und verzeihen, wird deine Treue zu uns sichtbar." Daher ist diese Ehe, die ihr beide heute miteinander eingeht, getragen von Gottes Segen, der für uns alle sichtbar wird, wo Ihr einander das Geschenk macht, Euch die Treue zu versprechen. Ihr stellt einander den Schuldschein der Liebe aus, der Gültigkeit hat, weil der Bund, den ihr mit einander schließt, getragen wird von dem Bund, den Gott in Eurer Taufe mit Euch geschlossen habt. Ihr schließt Euren Ehebund in der Gemeinschaft der Kirche Gottes und werdet damit mit Eurer Ehe und Familie auch selbst im Kleinen Kirche Gottes. All die Gebote, "Du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen" erfüllen sich in diesem Bund, denn "die Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes".

3. Kinder

  • So weit die hohe Theorie. Melanie und Björn sind aber auch praktische Menschen. Deswegen gehört zu ihrem Eheplan auch, dass sie auf 'Anschauungsmaterial' hoffen, an dem sie tagtäglich sehen können, wie die hohe Theorie in Praxis umgesetzt werden kann. Bei aller Freude über die vielen Kinder, die heute mit uns diese Hochzeit feiern, käme es den beiden - so habe ich das verstanden - durchaus gelegen, ihren Zweierbund durch eigene Kinder zu erweitern. Und an diesen Kindern können sie dann Tag für Tag genau lernen, wie das geht, treu zu sein. Deswegen haben wir neben der Lesung aus dem Römerbrief das Evangelium nach Matthäus gelesen: "Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen."
  • Das Himmelreich, von dem hier die Rede ist, meint nichts rein Jenseitiges. Es soll und kann für Euch hier bereits erfahrbar werden, als Vorgeschmack auf die Vollendung dieses Reiches. So bruchstückhaft das Himmelreich Eurer Ehe auch manchmal sein mag, so könnt ihr doch immer wieder an dem anknüpfen, was dieses Wort aus dem Evangelium meint. Ihr könnt Tag für Tag erleben, wie sehr Kinder auf Eure Sorge und Eure Treue angewiesen sind; ihr könnt Tag für Tag erleben, wie sehr Eure Kinder Euch brauchen. "Werden wie die Kinder" bedeutet genau dies, dass Ihr Euch von einander abhängig macht. Das Himmelreich kann dort nicht werden, wo jeder versucht, seinen eigenen Bereich zu sichern und möglichst autark zu sein, sondern nur dort, wo jeder jeden Tag "umkehrt und wie die Kinder" wird. Umkehren von dem Reflex, autark zu sein, hin zu der Liebe, die sich an den Anderen bindet und deren Freude es ist, ohne den Anderen nicht leben zu können.
  • So ist es eine gute Konstellation, dass in Eurer Ehe zum strengen Richter auch die Expertin in Sachen Reisen ihre professionelle Erfahrung einbringen kann: Denn was ihr heute beginnt, ist eine Reise. Das Überraschende wird sein, dass die Aufforderung, Tag für Tag "umzukehren und wie die Kinder zu werden" keinen ständigen Kurswechsel ergibt, sondern dass im Gegenteil dadurch Gottes Versprechen sich erfüllt, dass Euer Leben Kurs hält auf das Himmelreich - ein Himmel, der ihr heute schon für einander sein dürft. Amen.