Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigten zum Dreifaltigkeits-Sonntag im Lesejahr C 2016 (Johannes)

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22. Mai 2016 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Schluss mit kompliziert

  • Demokratie scheint nur für Schönwetterzeiten geeignet. Im Moment scheinen weltweit die autoritären Regime im Aufwind zu sein. Wer ein hartes Durchgreifen verspricht, hat steigende Umfragewerte. Vielleicht sind dies dennoch gar nicht mehr, als noch vor ein paar Jahren. Auf jeden Fall nimmt es zu, von Präsidentschaftskandidaten in den USA, über zunehmend autoritäre Regime in vielen Ländern wie China, Russland oder jetzt auch der Türkei, bis zu der Stimmung in vielen Ländern der Europäischen Union.
    Die Reaktion auf die vielen Krisen und Kriege weltweit ist der Ruf nach Sicherheit und einem starken Regime, das das gewährleistet. Ob die Versprechen der autoritären und populistischen Bewegungen auch halten können, was sie lautstark verkünden, wollen viele nicht mehr wissen. Hauptsache klare Ansage.
  • Es könnte mehr als zufällige Zeitgleichheit sein: Der Islam, zumal in strenger Form, scheint auf einmal weltweit aber auch hierzulande an Plausibilität zu gewinnen. Ich meine damit gar nicht die Frage, ob Islam und Demokratie vereinbar sei. Da bin ich als Katholik ganz still; lange genug hat es gedauert, bis sich die Katholische Kirche von ihrer Ablehnung von Demokratie und allgemeinen Menschenrechten verabschiedet hat. Das ist ein komplexes Thema.
    Ich meine vielmehr die Attraktivität des viel klareren Gottesbildes und Schriftverständnisses, wie viele es im Islam zu finden meinen. Es scheint zwar vielleicht nur deswegen klar, weil Nachfragen und Diskussionen unüblich sind. Aber das ändert nichts daran, dass diese empfundene Klarheit attraktiv ist: Gott sei fraglos über alles erhaben und im Koran gebe es eine Schrift, die unmittelbar von Gott stamme, und wegen der man sich daher nicht mit den Fragen nach einer Entstehungsgeschichte plagen müsse. Man hört dann: die Christen glauben nur, Muslime wissen.
  • Oder, um es kurz zu sagen: Der Gottesbild des Islam erscheint viel einfacher und klarer, als der christliche Glaube an einen dreifaltigen Gott. Ganz so wie ein machtvoller Herrscher viel klarer und einfacher erscheint, als ein ausbalanciertes demokratisches System mit freier Presse und verantwortlicher Repräsentation sowie dem steten Streit um Entscheidungen, wie sie eigentlich der demokratischen Tradition zu eigen ist (wie sehr diese auch durch Erstarrung von Mechanismen und Strukturen aus ihrem Inneren gefährdet sein mag).

2. Beziehungen

  • Im Evangelium haben wir einen Abschnitt gehört, in dem Jesus zum Abschied seinen Jüngern einen "Geist der Wahrheit" verheißt. Das bedeutet: Er verheißt ihnen eine geistige Wirklichkeit und Kraft, die gelebt werden kann. Wahrheit bedeutet biblisch nicht ein intellektueller Inhalt, sondern eine wahrhaftig gelebte Beziehung. Wir könnten deswegen auch vom "Geist der Wahrhaftigheit" sprechen. Jesus spricht vom Heiligen Geist, den er uns vom himmlischen Vater her schicken wird: "Er wird mich", sagt Jesus, "verherrlichen; denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden." Die Herrlichkeit, die hier gemeint ist, ist die Herrlichkeit Gottes, die in Jesus sichtbar geworden ist. Die Kraft Heiligen Geistes ist die Gotteskraft, die uns befähigen will, die Liebe zu leben, die Jesus gelebt hat.
  • Hier ist also nicht mehr das klare "Unten" und "Oben", "Gott" und "Mensch", "unendlich erhaben und allmächtig" versus "irdisch und vergänglich". Vielmehr erscheint die ganze Herrlichkeit Gottes in der Hingabe des Menschen - in Liebe zu den Menschen und in liebenden Gehorsam gegenüber Gott, der der Vater im Himmel bleibt. Und doch ist es derselbe Gott, der uns im Heiligen Geist Anteil daran gibt, was Jesus als Mensch ist.
  • Ja, das ist verwirrend. Es ist aber vor allem herausfordernd. Die Wahrheit dieses Glaubens kann nur gelebt werden. Erst in der Erfahrung, die Menschen im Dienst der Liebe machen, erst dort, wo wir unsere Gewissheiten und Machtpositionen aufgeben, beginnt die Wahrheit des Glaubens sich zu erschließen: Dass die Herrlichkeit Gottes sich nicht über den Menschen erhebt, sondern dass sie jedem verliehen ist, der sein Leben gibt für seine Freunde - und selbst den Fremden und seine Feinde. Die Wahrheit des christlichen Glaubens ist immer nur als gelebte Beziehung möglich. Glauben bedeutet immer: dem Bund mit Gott trauen und daraus leben.

3. Klarheit

  • Aus alle dem folgt nicht irgendwie unmittelbar eine politische Weltordnung oder eine Entscheidung für diese oder jene Verfassung. Aber ich denke schon, dass die Erfahrung des dreifaltigen Gottes hilft, der totalitären Versuchung zu widerstehen. Wer sich Gott als Tyrannen oder unbeschränkten Herrscher vorstellt, wird weniger Schwierigkeiten haben, sich irdische Tyrannen oder Monarchen als Abbild des Himmlischen zu wünschen.
  • Wenn ich mich aber auf den Weg Jesu einlasse, entdecke ich eine andere Perspektive. Das Bruchstückhafte, das Suchende, das Zweifelnde ist dann nicht einfach negativ, sondern spiegelt die Ohnmacht wider, die Gott in Christus angenommen hat, um in dieser scheinbaren Schwäche die echte göttliche Stärke aufscheinen zu lassen. Ein wahrhaft christliches Menschenbild weiß um die Schwäche des Menschen und wird daher nicht so leicht versucht sein, einem Menschen alle Macht anzuvertrauen, statt Herrschaft wo es geht durch die Vielfalt der Meinungen, durch freie Öffentlichkeit und limitierende Strukturen zu begrenzen. Zugleich weiß ein wahrhaft christliches Menschenbild um die Würde eines jeden Menschenkindes, denn Gott selbst hat in Christus dieses Antlitz getragen. Der Heilige Geist ist die Liebe, die diese Pole zusammenbringt.
  • Das mag alles komplizierter klingen. Das mag alles schwer nachzuvollziehen sein. Aber nur so lange ich es nicht lebe. Wer Jesus auf dem Weg nachfolgt, wer mit ihm den Armen nahe ist und mit ihm die Liebe wagt, der wird erfahren, dass der ewige Gott, Schöpfer des Himmels und der Erde, sich ganz und gar in Jesus Christus offenbart hat. Es ist gerade die Allmacht Gottes, die sich liebend zu unserer Erde neigt. Amen.