Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Dreifaltigkeits-Sonntag im Lesejahr B 2015

Zurück zur Übersicht von: Dreifaltigkeits-Sonntag (B)

31. Mai 2015 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Evangelii Gaudium

  • Wer wissen möchte, welches Ideal Papst Franziskus bezüglich der rechten Weise Entscheidungen zu fällen hat, der sollte sich für Dreifaltigkeit interessieren. Nicht dass der Papst sich für den dreifaltigen Gott (oder eine der drei göttlichen Personen) hält. Wohl aber ist es ein Charakteristikum der Spiritualität der Jesuiten, dass Vertrautheit mit der Weise Gottes (familiaritas cum Deo) wichtig ist, um im Glauben zu wachsen. Diese Vertrautheit mit der Weise von Gottes Wesen und Handeln wächst vor allem im Lesen und Betrachten der Heiligen Schrift; doch auch die anderen Übungen der Exerzitien des Heiligen Ignatius von Loyola sollen dabei helfen, mit Gott in Beziehung zu kommen und mit Gott vertraut zu werden.
  • Bei Entscheidungen in der Kirche, zumal am Schreibtisch eines Papstes, geht es immer auch darum, in guter Weise eine Pluralität der Meinungen, Ideen und Kulturen zuzulassen und dennoch zu einem Ergebnis zu kommen. Papst Franziskus hat in seinem Apostolischen Schreiben "Evangelii Gaudium" (Nr. 111) im November 2013 selbst auf die Dreifaltigkeit verwiesen, wo er auf das Zueinander des lebendigen, von den vielen Kulturen der Menschheit geprägten Volkes Gottes der Kirche und der unter dem Papst und den anderen Bischöfen institutionell gefassten Kirche zu sprechen kommt.
  • Die Kirche ist berufen, auf den Heiligen Geist zu hören und das Evangelium in die Verschiedenheit der Kulturen und Sprachen zu tragen, weil es nur so unter den Menschen wirksam sein kann. Das Wort Gottes ist immer schon in eine konkrete Kultur hinein Mensch geworden. "Die Gnade setzt die Kultur voraus, und die Gabe Gottes nimmt Gestalt an in der Kultur dessen, der sie empfängt" (ebd. Nr. 115).

2. Exerzitienbuch

  • Wenn Ignatius von Loyola in den Exerzitien dazu anleitet die Menschwerdung zu betrachten - das Ereignis von Weihnachten also - dann malt er das Bild der Dreifaltigkeit, die vom Himmel her auf die Erde sieht. Ignatius stellt sich vor, "wie die drei göttlichen Personen die ganze Fläche oder Rundung der ganzen Welt voller Menschen schauten und wie, (...) in ihrer Ewigkeit beschlossen wird, dass die zweite Person Mensch werde, um das Menschengeschlecht zu retten" (EB Exerzitienbuch 102).
  • Wenn ich diese Szene in den Exerzitien betrachte, fällt es mir schwer, nicht an eine Skatrunde zu denken. Immerhin sind das auch drei, die sich in einem Willen zusammen tun. Aber das Bild ist dann doch zu banal. Denn dem Ignatius war bewusst, dass er mit dem Bild das innerste Wesen Gottes berührt: Ausdrücklich sagt er, dass die "die drei göttlichen Personen" den Beschluss zur Menschwerdung "in ihrer Ewigkeit" gefasst hätten. Das bedeutet also: Es ist jenseits aller irdischen Zeit ganz in der Gegenwart Gottes schon immer das Ziel der Schöpfung, dass Gott in ihr erfahrbar werde, wie er in Jesus Christus erfahrbar wird. Die geistige Evolution der Schöpfung ist ihr vom ersten Augenblick als Ziel eingezeichnet, weil Gott in sich die Mitteilung der Liebe ist - und der Mensch berufen ist, den Weg der Schöpfung zur Vollendung in Freiheit zu wählen und zu gestalten.
  • Für Ignatius ist Dreifaltigkeit daher keine Theorie, sondern Praxis des Gebetes und des gelebten Glaubens. Weil Gott dreifaltig ist, kann er aus seiner Ewigkeit heraustreten und mir entgegenkommen in den Geheimnissen der Menschwerdung. Weil Gott dreifaltig ist, kann Gott als innerste Kraft des Heiligen Geistes in der Welt gegenwärtig sein und doch der eine, ewige und unwandelbare Gott bleiben. Und nicht zuletzt: Weil Gott dreifaltig ist, kann es eine Vielfalt der Formen und Kulturen geben ("in so großer Verschiedenheit der Trachten wie der Gebärden" EB 106) und doch die Welt zur Einheit finden. Die drei göttlichen Personen, die in ihrer Verschiedenheit doch ein Wille sind, werden so zum Leitbild für die Einheit im Willen bei aller sonstiger Verschiedenheit.

3. Kirche heute

  • Am Regierungsstil von Papst Franziskus kann man dieses Leitbild ablesen. Er scheint bei den wichtigen Fragen wert zu legen auf einen langen Beratungsprozess, bei dem möglichst keine Stimme ausgeschlossen bleibt. Er hat kein Problem, dass alles zur Sprache kommt; die Vielfalt ist Voraussetzung für eine gute Entscheidung.
    In den Strukturen des Jesuitenordens ist das dadurch geregelt, dass ein vielstimmiges Gremium von Beratern gehört werden muss; die Berater haben ein Recht darauf gehört zu werden. Gleichzeitig aber soll versucht werden, die Einheit zu wahren. Deswegen ist die Entscheidung am Ende der Beratung einem und nur einem übertragen; dieser kann sich nicht hinter einer Gruppe verstecken, sondern muss zu seiner Entscheidung stehen. - Papst Franziskus scheint nicht selten dieses Modell von pluraler Beratung und personalisierter Entscheidung vor Augen zu haben.
  • Allerdings ist das die leitende Idee, nicht eine Beschreibung der Realität. In der Realität ist es - wie so oft - komplizierter. Auch die Sünde ist Realität. Wir Menschen haben nicht die Perspektive der göttlichen Personen, sondern können im Gebet nur darum bitten und darum ringen. Einerseits stehen zwischen der Vielfalt der Argumente und der Klarheit der Entscheidung Motive, die weniger mit der Sache als mit unseren Ängsten und Sehnsüchten zu tun haben; Ignatius spricht von "ungeordneten Neigungen"(z.B. EB 169, 179). Und zudem ist es ein Kennzeichen der von Gott geschaffenen Welt, nicht ihr Makel, sondern ihr Reichtum, dass sie vielfältig ist und sich nicht alles über einen Kamm scheren lässt. In "Evangelii Gaudium" spricht das Franziskus in großer Deutlichkeit aus.
  • Viele Jahrhunderte hielt sich die lateinische Kirche Europas für den alleinigen Maßstab der Einheit des Glaubens. Das ist unwiederbringlich vorbei, so sehr sich auch viele dahin zurück sehnen. Wir werden auch in der Kirche lernen müssen, mit einer Pluralität umzugehen, die uns viel abverlangt. Derzeit erleben wir das in Europa bei der Diskussion um die Rechtsstellung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Da ist eben nicht alles klar, weder in die eine noch in die andere Richtung, weder in Europa noch gar in der Vielfalt der Weltkulturen. Auch in der Kirche wird am Schluss nicht die eine Entscheidung der hierarchischen Kirche stehen, die alle Diskussion beendet (und wem das nicht gefällt, der könne ja gehen). Vielmehr wird heute mehr denn je deutlich, dass das Leitbild der Dreifaltigkeit letztlich darin besteht, dass Gott in sich Liebe ist und dies das Fundament der Einheit Gottes des Vaters und des Sohnes ist. Als unvollkommene Menschen in einer unvollkommenen Welt (und Kirche) wird das die Herausforderung sein: Immer wieder um die Einheit in der Liebe zu ringen, ohne die legitime und gnadenhafte Vielfalt zu zerstören. Amen.