Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zur Beerdigung Bremen 16. Dezember 2022

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16. Dezember 2022 - Bremen

1. Kind

  • Die Liebe „erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles“. Alles heißt: Immer; in allen Dingen; auch jetzt.
    Wo ich nichts sagen kann, dort kann die Liebe auch im Schweigen sein. Wo ich hilflos rede, ist darin doch die Liebe.Wo nur der Schmerz ist – auch im Schmerz ist die Liebe, denn diesen Schmerz erduldet Ihr, weil darin die große Liebe lebendig ist, die Euch mit Eurer Mutter, mit Deiner Frau, mit Ihrer aller Freundin N verbindet.
    Das ist, was Paulus Ihnen und Euch heute mitgibt in diesem Kapitel aus dem Korintherbrief, das Ihr Euch für diesen Augenblick aus der Bibel gewünscht habt: „Die Liebe hat ein weites Herz“ (V4), in allem und „immer vertraut sie, immer hofft sie, in allem duldet und trägt die Liebe“, auch heute, auch hier.

  • Als ich ein Kind war“, sagt Paulus und denkt an den Anfang des Lebens. Als er ein Kind war, hat niemand von ihm erwartet, Verantwortung zu übernehmen. Er konnte unbeschwert reden, denken, klug sein, wie Kinder eben sind.
    Er wusste aber wohl, dass es auch Generationen gibt, denen das verwehrt ist. Menschen, deren Kindheit in Krieg und Flucht so früh endet, dass sie – selbst noch Kind – Verantwortung übernehmen müssen, nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere.
    So wie es eben immer jener Liebe zu eigen ist, von der Paulus zu seinen Korinthern spricht: Als er selbst einst abgelegt hatte, was ihm als Kind noch vergönnt war, lernte er, auch für andere Verantwortung zu übernehmen. Ganz so wie es die Liebe tut, die erfüllt ist davon, für andere da zu sein. Liebe, sagt Paulus dieser Gemeinde voll begeisterter Christen in Korinth, die so mitreißend Gottesdienst feiern, ist erwachsen, sie übernimmt Verantwortung.

  • Paulus dachte zurück an seine Kindheit. Es gibt aber auch am Ende des Lebens diese Kindheits-Liebe, die Verantwortung wieder abgeben darf. ‚Abgeben dürfte‘, muss ich sagen, denn ich ahne auch selbst, wie schwer mir das einst fallen wird.
    Wessen Leben geprägt und erfüllt davon war, liebende Verantwortung für andere zu übernehmen, dem fällt das besonders schwer, zurückzufinden zu der Liebe, wie sie ein Kind schenken und empfangen darf. Doch dann werden uns, ob wir es wollen oder nicht, die Kräfte genommen. Ich kann nicht mehr tun, nicht mehr sorgen, nicht mehr machen. Was bleibt, ist – wie für ein Kind – die Liebe.

2. Schenken

  • Ich kenne C seit bald 45 Jahren und fast so lange auch W und N. Ich bilde mir ein, die längste Zeit hat C immer von den beiden in eins gesprochen: „meine Eltern“. Das war nicht nur die Perspektive der Tochter. Darin war die Erfahrung und die tiefe Wahrheit, dass es eigentlich gar nicht möglich war, von diesem oder jenem zu sprechen, was die beiden taten, ohne dass mitschwingt, was ihre Eltern so tief verbindet.

  • Wenn Paulus im Korintherbrief aufzählt, was er in den Gemeindegottesdiensten in Korinth erlebt hatte, dann schwingt auch da immer das Verbindende mit. Dennoch ist Bremen nicht Korinth. Charismatische Zungenrede mag im Hause Otterstedt – ganz hanseatisch – nicht so sehr der Stil gewesen sein. Aber mit der ganzen Habe für andere da zu sein, mit Leib und Leben, sich ein Bein auszureißen für andere (V3), das klingt schon mehr nach dem Haus der Familie.

  • Dabei wäre das alles nichts, wäre da nicht zugleich die warmherzige Liebe. Diese „Liebe hat ein weites Herz“; „langmütig und freundlich“ übersetzt Luther. Die Liebe, die durch alles hindurch scheint, die in allem trägt und nie aufgibt, wo es gilt, zu hoffen und zu vertrauen.
    Ja, sie ist die Größe, die selbst den Glauben und die Hoffnung erst als das zu erkennen gibt, was sie für uns Christen sind: Glauben und Vertrauen, dass Gott uns in allen Dingen liebt. Hoffen, dass diese Liebe durchträgt durch den Tod, zu einer Auferstehung, in der wir endgültig hineingenommen werden in das, was nur Liebe ist.
    Was Dir, lieber Wilhelm, in diesen Tagen das Herz zerreißt, ist groß und wertvoll. Es ist der Schmerz der Liebe. Lass Dich durch sie zu dem Glauben, dem Vertrauen und der Hoffnung führen, die uns als Christen geschenkt sind.

3. Empfangen

  • Ein Letztes. – „Hätte der Liebe nicht“, schreibt Paulus. Sicher hat er damit zunächst gemeint: All das, was ihr in eurem Leben leistet und tut, wäre wie leeres Blech, wenn es nicht aus Liebe und im Respekt für die anderen geschieht, wenn es nicht begleitet wäre von Wohlwollen und Rücksichtnahme. All das Großartige wäre nichts ohne Liebe. Das ist sicher, was Paulus hier meint.

  • Vielleicht aber hat er nicht ohne Grund geschrieben „hätte der Liebe nicht“, weil so auch das andere durchscheint: Nicht, das achtsam andere Lieben, sondern auch das Geliebtwerden. Am Anfang des Gottesdienstes haben die Töchter uns aus dem Leben ihrer Mutter erzählt. Die Liebe, mit der diese Mutter ihre Töchter und ihren Mann, ihre Freunde und Gäste beschenkt hat, war in jeder Zeile spürbar. Aber – sozusagen im Hintergrund – habe ich auch das andere gehört: N hat gespürt, geglaubt und gewusst, dass sie getragen ist von der großen Liebe Gottes, die uns in allem begleitet und trägt. Die Liebe, die wir nicht machen können, sondern die wir empfangen.

  • Es ist diese Liebe, die am Ende ihres Lebens stand: Die empfangene Liebe. Es ist diese Liebe, der meine Hoffnung und Zuversicht gilt: Dass Gott seinem Kind N nun ganz und gar, unverhüllt und immerdar in der Gemeinschaft mit Christus und seinen Heiligen diese Liebe schenkt. Auferweckt zum ewigen Leben.