Predigten zum 7. Sonntag der Osterzeit Lesejahr C 2010
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16. Mai 2010 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg
1. Einheit in der Liebe
- Jesus betet für seine Jünger. Im Gebet ist er ganz eins mit dem Vater. Ihn bittet er, die Jünger
"sollen vollendet sein in der Einheit". Dass dieses Evangelium just an dem Sonntag gelesen
wird, an dem der 2. Ökumenische Kirchentag mit einem Gottesdienst schließt, passt mehr als
gut. Die Frage, ob wir der Einheit entgegenstehen, die Gott auf Jesu Bitte hin uns schenken
will, muss uns als Kirche beschäftigen.
- Das Wort Einheit hat für uns einen zwiespältigen Klang. Einheit klingt nach Uniformität. Ich
kann mir aber nicht vorstellen, dass Jesus im Sinn hat, seine Jünger sollten sich zum Verwechseln ähnlich werden und im Gleichschritt marschieren. Dafür hat Gott uns zu auffällig
verschieden geschaffen.
- Die tiefere Einheit gründet in der Liebe. Je verschiedener zwei Menschen sind, desto sichtbarer
könnte durch die Liebe eine Einheit sein, die Unterschiedlichkeit nicht abschafft, sondern in
Respekt vor einander verbindet. Bei dieser Liebe ist nicht emotionale Verliebtheit gemeint,
sondern das Tiefere, das sich durch trägt durch den gelebten Alltag. Die so gewonnene Einheit
würde einen Außenstehenden staunen machen, dass zwei, die so verschieden sind, doch in dem,
was sie wollen und tun, so mit einander verbunden bleiben, dass jeder der beiden vom anderen
sagen würde: "Ohne dich bin ich nicht komplett, ohne dich fehlt dem Ganzen, das wir beide
wollen, etwas."
2. Einheit in Gott
- Die Messlatte könnte nicht höher liegen. Jesus betet: "Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir
bin, sollen auch sie in uns sein". Das Geheimnis der Dreifaltigkeit Gottes - Vater, Sohn und
Heiliger Geist, ein Gott in drei Personen - gibt uns die Richtung. Gott, der allmächtige Vater,
wäre nicht "komplett", wenn Gott nicht in Jesus Christus die Barmherzigkeit bis in's Letzte
gelebt hätte. Und zugleich wäre alles, was Jesus gelebt und gesagt hat, kein Evangelium, wenn
er darin nicht ganz mit dem Vater verbunden wäre. Es ist der eine Gott, der uns geschaffen hat
und der auf Erden gelebt hat als Mensch wie wir.
- Diese Messlatte liegt hoch. Wir würden dankend abwinken, wenn uns gesagt würde, wir, die
wir hier in diesem Gottesdienst mit einander Kirche sind, müssten das leisten. Aber Jesus
verordnet den Jüngern im Evangelium diese Einheit nicht, sondern er bittet Gott um diese
Einheit. Das Johannesevangelium lässt uns dieses Gebet belauschen, damit wir ahnen, zu
welcher Liebe uns Gott führen will und uns so empfänglich machen will für diese Liebe und
diesen Frieden, die die Welt nicht machen kann.
- Dabei ist diese so beschriebene Einheit wichtig. Denn, wie Jesus es im Gebet zum Vater sagt,
braucht es diese Einheit, "damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast". Denn Gott, der
Vater, und Jesus Christus, der menschgewordene Sohn, wären nicht "komplett" wenn ihre
Liebe an den Grenzen des kleinen Jüngerkreises halt machen würde. Der Heilige Geist, in dem
Gott unter uns und durch uns wirken will, drängt darauf, dass das Evangelium allen geoffenbart
wird durch das Zeugnis, dass die Christen durch ihr Leben geben. Wir können nie nur für uns
selber glauben, sonst glauben wir nicht an den dreifaltigen Gott.
3. Einheit der Kirche
- Die Einheit der Kirche kann mir deswegen nicht egal sein. Ökumene, dieses sichtbare Bemühen
um die Einheit der Kirchen, ist deswegen auch nicht ein Tagesordnungspunkt unter anderen,
sondern innerstes Anliegen Jesu. Der Ökumenische Kirchentag erinnert mich daran, wer die
lutherischen, reformierten, orthodoxen, methodistischen, anglikanischen, freikirchlichen usw.
Christen für mich sind oder sein könnten. Ohne sie bin ich als Katholik nicht "komplett". Wenn
ich mit ihnen nicht im Gebet, aber auch sichtbar verbunden bin, dann fehlt mir etwas am
Christsein. Niemand wird das so gut aus täglicher Erfahrung bestätigen können wie Ehepaare
und Familien, wo die Partner zu verschiedenen Konfession gehören. Für sie ist dieses
Zueinander-Gehören und Ohne-den-Anderen-nicht-komplett-sein doppelt erfahrbar: in der
Weise, wie sie Ehe und Familie leben und wie sie ihren Glauben leben.
- Es ist für mich keine Option, die Unterschiede zwischen den Kirchen zu ignorieren.
- Denn erstens ist das Verbindende in der einen Taufe und in dem gemeinsamen Glaubensbekenntnis so stark, dass die Unterschiede in der Weise wie wir beten, wie wir die Heilige
Messe oder das Abendmahl feiern und wie unser Kirchesein mit den Aposteln verbunden ist -
dass diese Unterschiede das Verbindende nicht gefährden müssen.
- Und zweitens bin ich aus Erfahrung der festen Überzeugung, dass wir Entscheidendes
verlieren, wenn wir alles aus unseren Beziehungen streichen, was uns unterscheidet. Natürlich
kann man eine Suppe so lange verdünnen, bis sich niemand mehr an einem charakteristischen
Gewürz stört. Nur hat diese Suppe dann auch keinen Geschmack mehr, und macht sie keinen
mehr satt. Gerade in der Abendmahlfrage sehe ich das an den Auswirkungen, die eine nach
meiner Meinung zu oberflächliche Einigung gehabt hat, in der lutherische und reformierte
Christen 1973 in der so genannten "Leuenberger Konkordie" die Unterschiede in der Abendmahlslehre für unerheblich erklärt haben. Dazu muss man wissen, dass lutherisches und
katholisches Abendmahlsverständnis sich weit näher sind als evangelisch-lutherisches und
evangelisch-reformiertes in der Tradition von Calvin und Zwingli. An zu vielen Stellen vom
Theologiestudium bis zur Gemeindepraxis wurde seit 1973 gemeinsam Abendmahl gefeiert
ohne sich Rechenschaft zu geben, was da gefeiert wird. Statt zwei Suppen mit charakteristischer Würze gibt es oft nur noch eine ohne Geschmack. Bis vergangenes Jahr war ich in
Frankfurt, wo Lutheraner und Reformierte in einer "unierten" Kirche zusammengeschlossen
sind; dort ist die Entwicklung am deutlichsten, dass das Abendmahl leicht zu einem beliebigen
"Feierabendmahl" verdünnt wurde. In Hamburg leben und beten lutherische und reformierte in
unterschiedlichen Kirchengemeinschaften und können einander daher auch viel mehr von dem
Reichtum ihres Betens mitteilen.
- Denn das ist genauso deutlich zu sagen: Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Ziel sein kann,
dass sich all die im Laufe der Jahrhunderte getrennten Kirchen einfachhin unter dem Dach der
heutigen römisch-katholischen Kirche vereinen. Bei aller Vielfalt, die auch die katholische
Kirche auszeichnet, kann es das aus einem Grunde nicht sein: Zu offensichtlich wirkt Gottes
Heiliger Geist auch in den anderen Kirchen. So sehr die Spaltungen auf das Versagen von uns
Menschen zurück gehen, so sehr vertraue ich darauf, dass der Heilige Geist sich dieses
Versagen zunutze macht, um sein Heil zu wirken. Weder äußerliche Uniformität kann die
Einheit sein, durch die der dreifaltige Gott in dieser Welt sichtbar wird, noch eine Verwässerung allen Glaubenszeugnisses. Viel mehr und viel Größeres könnte Gott wirken, wenn wir mit
all dem Reichtum unserer je eigenen Tradition uns durch den dreieinen Gott dahin führen
lassen, dass wir ohne den anderen nicht "komplett" sind. Gott wird mich in der katholischen
Kirche, die ich liebe und der ich treu sein will, mit allem beschenken, was ich brauche, um ihn
zu erkennen und aus ihm zu leben. Gerade das aber führt mich zur Einheit mit allen, die Gott in
der Taufe berufen und denen er seinen Geist geschenkt hat. Amen.