Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigten zum 7. Sonntag der Osterzeit Lesejahr C 2004

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23. Mai 2004 - Universitätsgottesdienst St. Ignatius, Frankfurt/Main

1. Kirche der Zeugen

  • Wie Jesus geht es seiner Kirche, im Guten und im Schlechten. An diesem letzten Sonntag vor Pfingsten und drei Tage nach dem Fest Christi Himmelfahrt betonen das die Lesungen in der Messe. In diesen Tagen erinnert sich die Kirche ihres Aufbruchs. Damit werden wir an das erinnert, was zu uns als Kirche gehört. Deswegen das große Gebet Jesu im Evangelium, dass Gott uns die Herrlichkeit gebe, die er Jesus gegeben hat. Deswegen auch Stephanus, jener frühe Christ aus dem Kreis der Juden, die aus der griechischen Inselwelt nach Jerusalem gekommen waren, und dem dortigen Tempelkult kritisch gegenüber stand. Für diese frühen Christen war klar, dass der Opfertod Jesu die Opfer im Tempel abgelöst haben. Jetzt gilt es, mit dem eigenen Leben einzustehen.
  • Stephanus steht ein für seinen Christus. Auf die Anschuldigungen gegen Jesus und seine Anhänger antwortet Stephanus mit einer Rede, die Auslöser für die in der heutigen Lesung geschilderte Steinigung ist. Angefangen hatte es mit erbitterten Vorwürfen gegen die Christen. Lukas schildert dies in der Apostelgeschichte so, dass die Vorwürfe aus dem Kreis der Frommen zu einem förmlichen Verhör vor dem Hohen Rat führen. Die Szene erinnert nicht zufällig an das Verhör Jesu. Wie Jesus werden auch Christen auf dem Forum der Öffentlichkeit angeklagt und müssen Rechenschaft geben. Ein harmlos-privates Christsein ist in dieser Situation nicht vergönnt.
  • Nicht jeder ist zum Märtyrer berufen. Aber das Zeugnis-Geben gehört zum Glauben an Christus, der eben nicht nur für mich, in meiner Beschaulichkeit, und zur Stillung meiner spirituellen Bedürfnisse Mensch geworden ist. Gott hat sich vielmehr ein Volk berufen, weil wir Menschen in vielfältigen Bezügen leben. Wo wir leben und handeln, ist bestimmt von den verschiedensten Mächten und Gewalten. Viele von diesen, denen wir Tag für Tag ausgesetzt sind, führen uns weg von dem Gott, der uns erschaffen hat. Deswegen sind wir im Gebet um Gottes Geist versammelt, um uns von ihm prägen zu lassen. Deswegen auch kann, vielleicht muss es zum Konflikt kommen, wo dieser Gott verleugnet wird.

2. Mechanismen der Gewalt

  • Es begann mit einem Verhör. Aber was Stephanus mit aller Klarheit zu sagen hat, führt zur Empörung. Die Leute halten sich die Ohren zu. Sie erheben großes Geschrei. Sie knirschen mit den Zähnen. Die Obrigkeit muss kein Urteil mehr fällen. Das Verhör hat gereicht, dem Bürgersinn, um dem Aufstand den Deckmantel der Legitimität zu geben. Der Staat raunt über die Gefahrensituation. Der Bürger schreitet zur Tat.
  • Die Steigung des Stephanus war Lynchjustiz. Die Apostelgeschichte nennt es schlichtweg Mord. Ohne auf ein Urteil abzuwarten, haben die aufgebotenen Zeugen der Anklage die Initiative übernommen. Sie treiben Stephanus zur Stadt hinaus, isolieren ihn, brandmarken ihn als Außenseiter und steinigen ihn. Viele Steine braucht es nicht, um einen Menschen umzubringen. Ein Brandsatz reicht, das Haus in Flammen zu setzen. Die anderen können zufrieden mitlaufen, denn nun vollstrecken die einen, was die anderen sich nur im Herzen wünschen.
  • Die Apostelgeschichte beschreibt den Vorgang präzis. Die Wechselwirkung aus Aggression, halbstaatlicher Legitimation, Mord durch die Übereifrigen und Beifall der Umstehenden ist auch aus aktueller Erfahrung leicht nachzuvollziehen. Dann legen sie ihre Kleider - wohl um leichter steinigen zu können - "zu Füßen eines jungen Mannes nieder, der Saulus hieß. So steinigten sie Stephanus".

3. Nachfolge im Geist Jesu

  • Als Christen betrachten wir Stephanus gerne als einen von uns. Ganz sicher ist die Apostelgeschichte auch verfasst, um der jungen verfolgten Kirche Mut zu machen, denn in all der Verfolgung ist doch die Handschrift Gottes eingeschrieben. Wir heutigen sollten aber vorsichtig sein, Stephanus zu schnell auf unsere Seite zu ziehen. Zu viel am Verhalten der Verfolger finden wir in unserer eigenen Geschichte und Gegenwart.
  • Die Täter sind ehrlos, nicht der Ermordete. Sie mögen ihn zur Stadt hinaustreiben. Diejenigen, die nackt dastehen sind die Täter. Denn in einem "ordentlichen" Verfahren hätte man dem Verurteilten vor der Steinigung die Kleider abgenommen(1). Hier aber sind es die Mörder, die sich in ihrem Rasen ihrer Kleider entledigen und damit augenfällig machen, dass der, der Gewalt anwendet, sich entehrt. Die spätere Tradition hat das in dem anstößigen Satz gekleidet, dass es schlimmer ist Gewalt zu üben als Gewalt zu erleiden. Denn der Täter, der sich im Recht glaubt und in der Wahl der Mittel nicht zimperlich ist, zerstört dadurch seine eigene Seele. Viel gefährlicher ist es daher, sich im Recht zu glauben und zur Tat zu schreiten.
  • Stephanus dagegen hält sich an Jesus. Noch im Erleiden des schlimmsten Unrechts verurteilt er nicht. Zwei Gebete lässt die Apostelgeschichte ihn sprechen. Das Gebet des Vertrauens: "Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!" Steh Du bereit, mich vor dem himmlischen Gericht zu verteidigen! Dort, wo es darauf ankommt, sei du mein Fürsprecher, der vor dem Thron Gottes für mich einsteht. Das zweite Gebet aber erst legitimiert diese Inanspruchnahme Jesu. Sterbend ruft Stephanus: "Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!". So kann nur einer beten, der erfüllt ist vom Heiligen Geist. Amen.

 


 

Anmerkung:

1. Vgl. Pesch, Rudolf: Die Apostelgeschichte. 1. Teilband. Apg 1-12. Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament (EKK) V/1. Einsiedeln/Neukirchen-Vluyn (Benziger/Neukirchener) 1986, zur Stelle S. 264.