Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 7. Sonntag der Osterzeit Lesejahr B 2012 (Apostelgeschichte)

Zurück zur Übersicht von: 7. Sonntag der Osterzeit B

22. April 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Zu Aposteln berufen

  • Jesus betet im Abendmahlsaal zu seinem Vater im Himmel: "Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt." Ausdrücklich betet Jesus im Kreis der Zwölf Apostel, jedoch nicht nur für "diese hier", damals, am letzten Abend. Wir, die wir die Hl. Eucharistie feiern, sind in dieses Gebet mit einbegriffen. Deswegen auch sprechen wir alle Gebete in dieser Versammlung zum Vater "durch Christus, unsern Herrn".
  • Auch das "In-die-Welt-gesandt" beschränkt sich nicht auf die Zwölf damals. Das griechische Wort, das im Evangelium für "gesandt - senden" verwendet wird, heißt "apostéll". Wir feiern die Eucharistie - wie es nachher im Glaubensbekenntnis heißen wird - als "apostolische Kirche", also eine wesenhaft gesendete Kirche. Apostel sind nicht nur die Zwölf, damals. Apostolisch sind wir alle.
  • Diese Messe ist, wie es manchmal im Leben so geht: Man wollte eigentlich nur einen geistlichen Impuls, etwas die Seele baumeln lassen am Sonntag Mittag, oder man ist eher zufällig hereingeschneit: Und schon wird man in "Dienst" genommen und hat "Anteil am gleichen Dienst" der Apostel, wird gesendet und hat einen Auftrag an der Backe.
    Den Zwölf ist es wahrscheinlich auch nicht viel anders ergangen: Sie waren eher zufällig am Ort ihrer ersten Berufung, Jesus hatte ihnen gesagt: "Kommt" - und schon waren sie in den Dienst genommen, Apostel zu sein, Gesandte dessen, der seinerseits von Gott in die Welt gesandt war. Er war einige Zeit mit den Jüngern unterwegs, bis er verhaftet und hingerichtet wurde. Erst noch, vierzig Tage lang, hatten die Jünger Erfahrungen, dass er ihnen erscheint, lebendig, auferstanden. Aber dann - an Himmelfahrt feiern wir das - ist diese direkte Erfahrung zu Ende und jetzt sitzen sie da als Gesandte - gesendet "in die Welt".

2. Dienst des Amtes

  • Sie sollen Zeugen sein, und wissen noch nicht so recht wie. Das aber wissen sie: Jesus hatte sie als die Zwölf berufen, weil Israel zwölf Stämme hat. Jesus ist nicht allein der"Retter Israels" oder der Heiland der Menschen. Er beruft die Zwölf, ihm gegenüber. Es müssen zwölf sein, weil das Teil der Botschaft Jesu ist: Das ganze Volk soll erneuert werden. Deswegen ist Petrus und den anderen klar: Nachdem Judas durch Verrat und Tod ausgeschieden ist, müssen sie mit der Hilfe des Heiligen Geistes einen nachwählen, denn nur als Zwölf können sie die Botschaft darstellen, von der sie reden. Daher soll Matthias "zusammen mit ihnen Zeuge seiner Auferstehung sein".
  • Das alles ist unserem Denken heute reichlich fremd. Für unser Gefühl steht jeder Mensch für sich, letztlich nur für sich. Ich selbst entscheide mich, wozu ich gehöre. Ich kann keinen anderen vertreten oder für ihn sprechen. Wenn wir jemanden für eine Aufgabe wählen, dann nur für diese Aufgabe und Funktion, nicht dass er etwas anderes ist, sondern etwas bestimmtes macht.
    Völlig anders Jesus in seiner Zeit: Er selbst versteht sich als Gesandter (also auch Apostel: "Wie du mich in die Welt gesandt hast..."). Für Gottes Heiligkeit und Treue legt er Zeugnis ab; er steht gehorsam im Dienst seines himmlischen Vaters. Damit diese Sendung das ganze Volk Israel und alle Menschen erreicht, beruft Jesus die Zwölf, verbindet sie in seiner Hingabe beim Abendmahl und sendet sie, treue Zeugen zu sein, gehorsam in diesem Auftrag zu dienen.
    Dies ist die innere Grundstruktur der Kirche: Das Miteinander von Einzelnem und Gruppe, wobei die Gruppe teilhat an dem Dienst und der Sendung, die den Einzelnen aufgetragen wurde und die in ihm sichtbar werden. In der Apostelgeschichte wird deswegen extra betont, dass um die Zwölf "hundertzwanzig zusammengekommen waren", also zehn mal zwölf. Das Geschehen vom Abendmahlsaal strahlt aus, wo der Apostel die Gemeinde zur Eucharistie versammelt, ihr in seinem Amt dient und sie sendet, wie er gesandt ist.
  • Wie dies heute verwirklicht werden kann, ist ein immer neues Ringen. Die Denkstruktur des Neuen Testamentes ist nicht unsere. Und doch ist das die Denkwelt, in die hinein Gott Mensch geworden ist und aus der heraus er seine Kirche begründet und gesandt hat. Die Spannung zwischen diesem Ursprung uns der Gegenwart gilt es auszuhalten und fruchtbar zu machen.

3. Vorbereitet auf Pfingsten

    • Die Tragik der Traditionalisten besteht darin, dass sie das nicht verstehen. Sie werfen der Gegenwart vor, dem letzten Schrei zu huldigen, und huldigen selbst nur einfach dem vorletzten Schrei, statt dem Ursprung zu dienen. Traditionalisten verwechseln lebendige Tradition mit zwanghaft restaurierten Formen, die selbst geworden sind und nicht nur dem Ursprung, sondern auch der Gegenwart fern sind.
    • Dabei gehört die Bedeutung der Form sehr wohl zum Kernbestand der Tradition. Es kommt eben nicht alles auf Funktionalität und Leistung an, auch nicht auf 'moralische Leistung'. Auch mit charismatischem Lobpreis ist es nicht getan, der all diese Fragen einfach ignoriert.
      Die katholische und apostolische Kirche stellt sich immer durch ihre Struktur und Form in Spannung zum Denken und zu den Herrschaftssystemen der Gegenwart - jeder Gegenwart. Gerade darin dient sie der Verkündigung.
    • Um es an einem Beispiel deutlich zu machen: Der Friede, der uns als Gemeinde aus vielen Völkern und Sprachen zusammenführt, geht allein von Christus aus. In seinem Dienst spreche ich vom Altar aus den Friedensgruß. Ich gebe ihn zeichenhaft an die Kinder und Ministranten im Altarraum, und diese tragen es zu allen in dieser Kirche. Das alles hat einen tiefen Sinn. Es darf aber nicht bei der Symbolik stehen bleiben. Mit dem Symbol ist die Sendung für jeden hier verbunden, diesen Frieden weiter zu tragen: als Diener, Dienerinnen und Gesandte Christi, die den Auftrag haben, Zeugen seiner Auferstehung zu sein.
    • Mit der Nachberufung war auch für die Elf ihre Aufgabe noch nicht erledigt. Die Form war wieder hergestellt. Um aber wirklich gemeinsam und jeder einzeln sich in diesem Dienst zu bewähren, müssen sie von Gott erst mit Heiligem Geist ausgerüstet werden; Pfingsten folgt noch. Nicht nur, dass die Formen, in denen wir Kirche sind, nicht von uns gemacht werden können; auch die Kraft, den Glauben zu bekennen, müssen wir nicht aus uns selbst haben. Gott selbst ist die Kraft in uns: Heiliger Geist. Amen.

Eine Nachbemerkung: In der Lesung aus der Apostelgeschichte wird ungewöhnlich ausführlich auf das Schicksal des Judas eingegangen. Offensichtlich gab es verschiedene Traditionen, was aus ihm geworden ist, ob Selbstmord oder ein Unfalltod wenig später, das ist nach der Quellenlage nicht zu entscheiden. Sicher war der Verrat des Judas mit dem Geschehen im Abendmahlsaal verbunden. Er hat sich - den Verrat bereits im Herzen - von Jesus hinein nehmen lassen in das Innerste des Menschensohnes, seinen Leib und das Blut des Bundes. Judas hatte damit "Anteil am gleichen Dienst". Das meint keinen äußere Funktion, sondern eine Sendung, die aus dem Inneren Jesu kommt und den ganzen Menschen verwandelt. Weil Judas diesen Dienst verraten und auch der vergebenden Barmherzigkeit keinen Raum mehr gegeben hat, ist das im Verständnis der Bibel tödlich, es reißt ihm buchstäblich das Innerste aus dem Leib.