Predigt zum 7. Sonntag der Osterzeit Lesejahr A 2005 (Johannes)
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8. Mai 2005 - St. Cyriakus, Habitzheim
1. Gefühlte Zeit
- Der Wetterbericht ist eine staunenswerte Sache. Zumindest jene
Vorhersagen beeindrucken mich besonders, die für den
kommenden Tag nicht nur die genau zu messenden Temperaturen
prognostizieren, sondern darüber hinaus die
"gefühlten Temperaturen". Leider weiß ich nicht, woher die Experten dies
alles wissen: ob da etwa Tiefeninterviews mit
gefühlsstarken Wetterfröschen geführt werden? Ich weiß aber aus eigener
Erfahrung, dass der Blick auf das
Thermometer in der Tat oft nicht das Gefühl bestätigt, nach dem mir heiß
ist oder ich friere. Es gibt also gefühlte Temperaturen.
Ebenso gibt es gefühlte Zeit. Im allgemeinen vergehen die Jahre mit zunehmendem Lebensalter schneller. Vor allem
aber ist Stunde nicht Stunde und ist Augenblick nicht Augenblick. Minuten können sich unerträglich dehnen, Stunden
jedoch vorüber fliegen. Zeit kann sehr subjektiv sein.
- Darüber hinaus gibt es eine weitere subjektive Dimension der Zeit. Ob die Stunde lang oder kurz empfunden wird, ist
nicht dafür entscheidend, welche Bedeutung sie hat. Schmerzhafte wie herrliche Augenblicke können zum Zentrum und
Angelpunkt, zum Fundament oder Wendepunkt meines Lebens werden. In einem Aha-Erlebnis kann sich das Chaos
meines Lebens zur Perspektive fügen, in den Tränen über die eigene Schuld kann ein völliger Neubeginn liegen, ein
Blick kann mit dem Menschen verbinden, der einen selbst ein ganzes Leben zur Seite stehen wird.
- Suchen wir nach der Dauer des ewigen Lebens, dann finden wir nichts im Blick auf Uhr und Kalender. Ewigkeit im
Sinn von unaufhörlich verlaufenden Stunden gibt es nicht. In dem Punkt ist sich die Bibel und der christliche Glaube
sogar mit vielen modernen Physikern einig. Das ewige Leben ist keineswegs nicht endende Zeit. Für die Bibel liegt
vielmehr Ewigkeit in der Bedeutung des Augenblicks, nicht in der unaufhörlichen Zeit, sondern dort, wo Zeit keine
Rolle mehr spielt. Daher können wir die Ewigkeit niemals messen. Vielleicht gibt es aber so etwas wie "gefühlte
Ewigkeit".
2. Die Stunde
- Das große Gebet Jesu zum Vater ist ein Höhepunkt des Johannesevangeliums. Der Evangelist lässt uns hier verstehen,
dass Jesu ganzes Leben und Sterben ein Gebet ist. Jesus Christus ist die Hinwendung Gottes zu uns und ist zugleich das
Gebet zu Gott, in das wir hineingenommen sind. Die Herrlichkeit Gottes ist unter uns sichtbar geworden. Die Liebe, die
Gott ist, wurde uns offenbart und lebt fort in allen, die aus der engen Beziehung zu diesem Jesus, dem Christus, leben.
Dieses Gebet im 17. Kapitel bei Johannes ist von großer Dichte und Schönheit. Es lohnt sich, es zuhause in Stille zu
meditieren.
- In diesem Gebet spricht Jesus - wieder ein Mal - von seiner "Stunde". Er benutzt also ein Wort, das eigentlich eine
Zeitangabe ist - eine fest umrissene, klar benennbare Zeit. Und dennoch ist damit nicht die Abzählung von sechzig
Minuten gemeint. Vielmehr ist "die Stunde" Jesu seine Erhöhung am Kreuz: Was wir in Karfreitag, Ostern und
Pfingsten gedehnt in der Zeit feiern, vermag das Evangelium in dem einen Augenblick zu schauen.
- An Ostern und Pfingsten entfaltet sich, was für den Glaubenden bereits am Kreuz Wirklichkeit ist. Gott lässt uns in dem,
der am Kreuz erhöht ist, schauen und erfahren, dass er die ganze Welt mit seiner Liebe umfangen will. Wo Gott in
seinem Sohn die Wirklichkeit unserer Welt bis in den Tod hinein erfährt, dort strömt das Leben der Auferstehung und
der Geist, aus dem heraus wir als Christen leben können. Der tiefste Moment, der Tod, wird für Jesus der Schlüssel für
sein ganzes Leben und seine ganze Botschaft. So kurz der Augenblick sein mag, in dieser Stunde bricht die Ewigkeit ein
in unsere Zeit.
3. Die Ewigkeit
- Nicht weniger als Ewigkeit will Gott uns schenken. Im Gebet Jesu heißt es: "Vater, du hast deinem Sohn Macht über
alle Menschen gegeben, damit er allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben schenkt. Das ist das ewige Leben: dich,
den einzigen und wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast." Keine Macht zum Beherrschen
hat der menschgewordene Gott, sondern Macht, ewiges Leben zu schenken. Und worin besteht ewiges Leben? Gott zu
erkennen.
- Wir verschieben das ewige Leben gerne auf die Zeit nach dem Tod. Für die Zeit bis dahin geben wir uns mit deutlich
weniger zufrieden: Ein paar Glücksmomente, die nötige Sicherheit, etwas Geborgenheit. Wenn es aber ewiges Leben
bedeutet, zu erkennen, dass in Jesus Christus Gott selbst in unserer Welt gegenwärtig ist, dann ist die Ewigkeit nicht erst
nach unserem Ableben, sondern schon hier.
- "Hacker-Pschorr -Himmel der Bayern", lautet der aktuelle Werbespruch der Münchner Brauerei. Wahrscheinlich ahnen
die Werbetexter gar nicht, wie nahe sie dem sind, was der Glaube verheißt. Der Himmel kann schon hier Teil unseres
Lebens sein, wenn wir uns ganz von der Wirklichkeit Gottes erfüllen lassen. Was Ewigkeit ist, lässt sich nicht messen,
sondern erfahren: in den Augenblicken, in denen wir spüren und erleben, wie nahe uns Gott ist. Amen.