Predigt zum 6. Sonntag im Lesejahr C (Lukas)
Zurück zur Übersicht von: 06. Sonntag Lesejahr C
13. Februar 2022 - St. Peter Sinzig
1. Wem gelten die Selipreisungen?
- "Selig, ihr Armen, selig, die ihr jetzt hungert, selig, die ihr jetzt weint, selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen: freut euch und jauchzt an jenem Tag." – Ich bin mir sicher, dass es noch nie eine Generation gegeben hat, die diese Worte Jesu einfach und selbstverständlich fand. Ausweislich aller Evangelien waren es bereits die ersten Jünger, die immer wieder nicht verstanden haben, was der Weg des Menschensohnes ist. Wo Jesus über die Armut, Trauer und Verfolgung sprach, in die er geführt werde, wollten die Jünger immer lieber Macht, beste Plätze, Größe, Ansehen hören. Nachzulesen jeweils in der Reaktion von Petrus, Jakobus, Johannes und den anderen auf Jesu Leidensankündigungen.
- Wer also dieses Evangelium nicht zeitgemäß findet und ändern will, sollte wie damals Petrus Jesus selbst beiseite nehmen und ihm erklären, dass er diese Ideen doch besser beiseitelegen solle (Mt 16,22, Mk 8,32). Als Petrus ihm das vorschlägt, nennt ihn Jesus "Satan", den großen Versucher und Verwirrer, und fordert Petrus dazu auf, sich hinter ihn zu stellen, statt in vom Weg Gottes abzubringen. (Mk 8,33: "Tritt hinter mich, du Satan! Denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.").
- Dieses "hinter Jesus" ist in der Tat zentral, wenn wir seine Seligpreisungen verstehen wollen. Es steht dort ganz betont, dass Jesus seine Jünger anspricht, nicht die vielen anderen Menschen, die auch da waren. Im Anschluss an die Seligpreisungen kommen viele Weisungen für alle Menschen; da spricht Jesus als der neue Mose und Erfüller des Gesetztes. Hier aber spricht Jesus ausschließlich zu seinen Jüngern. Weder das "Selig, ihr Armen", noch das "Weh euch, ihr Reichen!" ist ein allgemeines Urteil, eine ethische Forderung oder irgendetwas Universalgültiges. Es richtet sich vielmehr ausdrücklich an die Menschen, die Jesus nachfolgen wollen. Ihnen sagt Jesus, was sie zu erwarten haben. Uns Getauften sagt Jesus, wann sich die Verheißung der Taufe erfüllt und Fülle des Lebens bringt, und wann sie nur in Frust und Scheitern endet. Uns sagt Jesus, wie Vertrauen in Gott, unseren Vater, gelingt – und wie nicht.
2. Leer werden, um Gott zu empfangen
- Mir wird das an dem zweiten Gegensatzpaar besonders klar. Das erste ("arm" und "reich") ist besonders missverständlich, als wollte Jesus wirtschaftliche Ungleichheit schönreden. Aber das zweite Gegensatzpaar heißt in unserer Übersetzung: "jetzt hungern" und "jetzt satt". Das Englische benutzt für "satt" selten das eigene Wort ("sated"), sondern sagt meist einfach "voll" ("full"). Ebenso ist das mit der Sprache des neuen Testamentes, im Griechischen: "Weh euch, die ihr jetzt abgefüllt seid; denn ihr werdet hungern."
- Die Gefäße sind voll – da passt nichts mehr rein. Das Haus ist belegt, da kann niemand mehr zu Gast sein. Ihr habt alles, was wollt ihr noch? – Doch, alles wovon? Gefüllt womit? Welchen Reichtum? Welche Nahrung?
Paulus beschreibt die Menschwerdung Gottes einmal mit "leer werden" (Phil 2,7). Gott wird leer, um der Schöpfung willen, in die hinein er gegenwärtig werden will. Oder anders gesagt: Liebe ist nicht zuerst, etwas für einen anderen zu tun, sondern für die Gegenwart des anderen leer zu werden.
Das ist nicht anders, wenn wir Gott lieben wollen – mit ganzem Herzen, ganzer Seele. Es beginnt mit dem leer werden für Gottes Gegenwart. Deswegen ist auch der Beginn und die Mitte des Gebetes die Stille. Deswegen auch sind die Hände, die den Leib Christi in der Kommunion empfangen wollen, leer.
- Das Lukasevangelium hat diese Weisheit und die Radikalität Jesu bewahrt. Jesus hat nicht zufällig auf ein eigenes Haus und eigenen Besitz verzichtet – er gab damit Menschen die Chance ihn aufzunehmen. Ihm nachzufolgen, Christ zu sein, als Christ und im Heiligen Geist zu leben – all das ist die Erfahrung, die Jesus allen schenken möchte, die er zu seinen Jüngern beruft: Es gibt einen Gott, dem wir vertrauen können. Die Nachfolge wird nur dann zum Geschenk für mein Leben, wo ich mich auf diese Armut, diesen Hunger einlasse, auf die Sehnsucht nach Gott und die Erfahrung, dafür verspottet zu werden.
3. Erneuerung im Vertrauen auf Gott
- Das Evangelium betrifft immer sowohl jeden einzelnen Menschen, die oder der als Christ leben möchte, wie die Kirche. Der christliche Glaube kann für mich selbst belanglos und oberflächlich geworden sein. Dann verliert auch das, was Jesus sagt, an Kraft und Würze. Aber auch eine Gemeinschaft kann hohl werden, wenn sie ihre Mitte verloren hat. Die Kirche kann zu einer leeren, ärgerlichen Hülle ohne geistliche Kraft werden: Das gilt für eine jede Gemeinde, für Glaubenskreise oder -gemeinschaften, für die Kirche in einem Kulturkreis oder Land – auch für die äußere Kirchenstruktur bis zur Spitze. Da wird nicht die Glaubwürdigkeit des Evangeliums verteidigt, sondern Ansehen und Einfluss von Menschen. – Wie oben erwähnt, hatte Jeus selbst Petrus einen "Satan" genannt, der erst wieder lernen muss, sich hinter Jeus einzuordnen und Gottes Weg zu gehen, statt nur nach Menschenart zu denken. Das liest sich sehr aktuell. Das war und bleibt immer aktuell.
- Genauso aber, wie die Kirche auf jeder Ebene die Mitte verlieren kann, kann das Evangelium auch ganz überraschend überall an Kraft gewinnen. Der Geist, betont Jesus für alle, die sich diesem Geist öffnen, "weht wo er will" (Joh 3,8).
- Beides ist für mich wichtig und tröstlich: Dass die Jünger schon damals ihre Probleme hatten, sich wirklich auf Jesus einzulassen – aber auch, dass es damals wie heute viele Erfahrungen gibt, die das Evangelium bestätigen: Menschen, die erfahren, dass es glücklich und selig macht, sich auf die Nachfolge einzulassen. Was dann nach Menschensicht arm, traurig, hungrig und verfolgt aussieht, erweist sich als reich beschenkt, neugierig-offen, tiefere Freude und die Erfahrung, von einer Liebe umfangen und in eine Gemeinschaft eingefügt zu sein, die selbst dem Tod standhält. Amen.