Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 6. Sonntag der Osterzeit Lesejahr A 2020 (1 Petrusbrief)

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17. Mai 2020 (Corona-Zeit) - St. Martin Bonn-Muffendorf

1. Symptome und Ursachen einer Krankheit

  • Nicht zum ersten Mal in der Geschichte verändert eine Krankheit ganze Kulturen. Wir sind gewohnt, uns eine Erkrankung vor allem als etwas Individuelles vorzustellen. Ich bin krank. Ich muss gesundwerden. Das ist es natürlich auch. Aber Krankheit ist – genau gesehen immer – auch etwas, das mehr als nur einen Menschen betrifft. Im Extremfall alle.
  • Zur Krankheit gehören Ursache und Symptome. Ursache ist ein kleines, unsichtbares Ding, das wir Virus nennen. 
    Symptome sind aber nicht nur Fieber, Husten, Atemnot. Symptome sind auch alle Maßnahmen, die zum Schutz vor diesem Virus ergriffen werden. Symptom ist, dass Tagelöhnern in Indien das Einkommen weggebrochen ist und sie nicht mehr wissen, wie sie ihre Familie am nächsten Tag ernähren sollen. Symptom ist, dass Menschen zueinander auf Distanz gehen, die zuvor körperlicher Nähe gewohnt waren.
  • Wenn man sich erst einmal auf diese Perspektive einlässt, wird deutlich, dass diese Krankheit nicht nur mehr Symptome hat, als zunächst gedacht, sondern auch mehr Ursachen hat als nur dieses Virus.
    Das Virus ist Katalysator, durch den die anderen Krankheiten sichtbar werden, die schon davor da waren: Fehlender Zugang zu Hygiene, frischem Wasser, medizinischer Versorgung oder auch zu Bildung. Ursache sind prekäre Lebenssituationen, die es nicht zulassen, Reserven zu bilden, um solche Krisen durchzustehen. Auch die Familien, die jetzt in der Belastung der Quarantäne zerbrechen, waren vermutlich schon davor latent dysfunktional – Gewalt die latent bleibt, bis sie sich mit einem anderen Virus verbindet und ausbricht. All das gehört zur Krankheit dazu, deren Symptome auf dem ganzen Globus erlitten werden.

2. Hoffnung wider die Krankheit

  • Was haben wir der Krankheit entgegenzusetzen? Alle Welt hofft auf einen Impfstoff. Alle, außer den Wirrköpfen, die es leider sogar bis in die oberen Etagen der katholischen Kirche gibt.
    Das Interessante beim Thema Impfstoff aber ist, dass es Bemühungen gibt, dass dieser Impfstoff für alle Menschen da sein soll, während Andere versuchen, sich nur für die eigene Gruppe oder die eigene Nation einen Vorteil zu verschaffen. Das sind diejenigen, die auch sonst behaupten, es sei gesund und richtig, an die eigene Nation zuerst zu denken; wenn alle das täten ginge es der Welt besser. Global invisible hand – wie krank das ist!
  • Wenn der Petrusbrief, aus dem wir heute in der Lesung gehört haben, hingegen von der Hoffnung spricht, die zentrales Kennzeichen der Gläubigen sein soll, dann ist damit nicht diese individuelle Erwartung an einen individuellen Vorteil in der Zukunft gemeint. Christliche Hoffnung bedeutet nicht, dass ich irgendwie darauf vertraue, dass es mir oder meiner Sippe oder meiner Nation irgendwann einmal besser geht.
  • Es ist vielmehr entscheidendes, vielleicht auch unterscheidendes Merkmal christlicher Hoffnung, dass der Einzelne immer nur Hoffnung hat auch für den Nächsten neben ihm, die Gruppe immer nur Hoffnung hat auch über die Ränder der eigenen Gemeinschaft hinaus, dass keine Nation sich christlich nennen darf, die nicht das Wohl aller Menschen im Blick hat. 

3.  Hoffnung der Christen

  • Deswegen, weil die Hoffnung diese Struktur hat, ist christliche Hoffnung das, von dem wir reden sollen. Ich denke, dass es gerade die Größe der Hoffnung ist, warum der Petrusbrief uns ermahnt, ehrfürchtig vor dem Anderen zu sein, wenn wir nach unserer Hoffnung gefragt werden: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt; antwortet aber bescheiden und ehrfürchtig.
  • Warum könnten Menschen auf die Idee kommen, Christen nach ihrer Hoffnung zu fragen? Doch wohl deswegen, weil diese Hoffnung eine unglaubliche Souveränität und Fähigkeit zur Liebe freisetzen kann. Sie geht Hand in Hand mit dem Vertrauen, dass niemand geringerer mit uns unterwegs ist, als Gott, der Schöpfer des ganzen Universums. Wo die Symptome des Vertrauens und der Ehrfurcht an Menschen spürbar werden, löst das die Frage nach der Ursache aus.
  • Corona wird uns noch sehr lange beschäftigen. Die Ursache wird bleiben, bis wir verstehen, dass es nicht nur um einen Virus geht, sondern um eine komplexe  Ungerechtigkeit, die über die Jahrzehnte und Jahrhunderte so selbstverständlich geworden ist, dass viele sie nicht mehr sehen. 
    Gerade deswegen kann diese globale Krankheit aber auch vielleicht uns Christen an die Hoffnung erinnern, die uns geschenkt ist. Wir dürfen mit allen Menschen darauf hoffen, dass ein Impfstoff gefunden wird. Aber mehr noch dürfen wir für alle Menschen darauf hoffen, dass Gott der Größere ist, größer als menschliche Ängstlichkeit und Verzagtheit, größer als Engstirnigkeit und Egoismus. Diese Hoffnung könnte auch meine Enge überwinden.  Amen.