Predigt zum 5. Sonntag der Osterzeit Lesejahr C 2001 (Offenbarung)
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13. Mai 2001 - St. Michael Göttingen
1. Davor und dahinter
- Das Buch der Offenbarung des Johannes wurde über die Jahrhunderte
und vor allem seit dem Mittelalter immer wieder
missverstanden als ein Drehbuch, nach dem die Geschichte abläuft. Das
Buch ist aber zunächst eine Offenbarung für die
Gemeinden in Kleinasien am Ende des ersten Jahrhunderts. Es spricht
nicht über Geschichtsabläufe und Zukunft, sondern
darüber, dass die Gegenwart anders aussieht, je nachdem, ob man den
Blick für Gottes Wirklichkeit hat, oder nur die
Oberfläche sieht. Der Himmel, das meint in der Apokalypse nicht
das "Danach" der Erde, sondern ihre Tiefendimension.
- Trotzdem gibt es im Buch der Offenbarung auch eine Vision der
Zukunft. Dazu gehört der Abschnitt, den wir heute
gehört haben. Das Neue Jerusalem ist diese Vision. Statt dem alten
Himmel und der alten Erde, sieht Johannes das Ziel
der Geschichte in diesem unvergleichlich schönen Bild der Stadt, in der
die Menschen zusammenleben. Das Meer, in den
Bildern der Apokalypse Ursprung der Unterdrückung des Menschen durch den
Menschen, ist nicht mehr. Gold blendet
und verführt die Menschen nicht mehr, es wird zum Straßenbelag. Gott
selbst nimmt Wohnung unter den Menschen. Eine
Vision der Zukunft.
- Gemessen daran nehmen sich unsere Zukunftsvisionen bescheiden aus.
Und realistischer.
Die Ausbildung erfolgreich abschließen. Nicht arbeitslos werden oder
bleiben. Eine Familie gründen. Kinder haben. Spaß haben und Etwas
erleben. Freunde finden. Gesundheit. - Wir haben unsere
Firmlinge in
St. Michael gefragt, wie für sie eine glückliche Zukunft aussehen
würde. Dies
in etwa waren die Antworten. Nicht, dass wir jetzt
unglücklich
wären. Wenn in Zukunft nichts groß schief geht, wäre das ganz
gut.
Es gab eine Zeit, in der sich "die Jugend" zugute hielt, Visionen der
Zukunft zu haben. Dass dies eine bessere Zeit war,
wage ich zu bezweifeln. Zumindest ist auch nur die Gegenwart dabei
herausgekommen.
2. Vom Himmel zur Erde
- Ich denke, dass Menschen auf der ganzen Erde ihre Vorstellung vom
stillen Glück haben. Für manche wird dies schon die
Vision sein, nicht jeden Tag auf der Suche nach Nahrung sein zu müssen
oder sich darauf verlassen zu können, dass der
Staat seine Bürger beschützt und nicht ausbeutet und verfolgt. Für
andere wird Glück eine Arbeitsstelle sein, eine
gelungene Partnerschaft oder Kinder. Für wieder andere ist ein tolles
Auto oder Motorrad fester Bestandteil des Glücks.
Bei all dem wird aber bei den meisten Menschen mitschwingen, dass man
Glück letztlich nie an diesem oder jenem
festmachen kann. Glück ist immer mehr und anderes als das, was man sich
konkret wünschen und was man planen kann.
Es schwingt eine Sehnsucht und eine Unruhe mit - hoffentlich. Selbst die
größten Postzugräuber werden mit ihrem Geld
nicht glücklich. Dass es die erfolgreichsten Stars nicht werden, ist zu
offensichtlich.
- Dann gibt es da noch die Menschen, die auf ein Jenseits hoffen.
Vor allem, wen im Diesseits Ungerechtigkeit und Elend
getroffen hat, wird Ausschau halten nach der Gerechtigkeit Gottes. Der
Blick geht dann von der Erde zum Himmel, zum
Himmel nach dieser Zeit, zur Vollendung nach dem Tode. Wie Jesus auferstanden
ist, wie Jesus zum Himmel aufgefahren
ist, so hoffen Menschen auf Auferstehung.
- Die Apokalypse betont das interessanter Weise nicht. Im Gegenteil.
Nicht der Mensch steigt zum Himmel auf, sondern
Gott steigt zur Erde herunter. Der Seher Johannes schreibt: "Ich sah
die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her
aus dem Himmel herabkommen". Ja, während es früher Tempel brauchte,
damit die Gebete von dort zu Gott aufsteigen
können, heißt es vom Neuen Jerusalem "Seht, die Wohnung Gottes unter
den Menschen!"
3. Eine Sprache für Visionen
- Gegen die konkreten, bescheidenen Visionen vom Glück ist nichts
einzuwenden, solange dabei nicht vergessen wird, dass
unserem Glück viel Unglück und Elend anderer Menschen auf dem Globus
korrespondiert. Gegen die konkreten,
bescheidenen Visionen vom Glück ist nichts einzuwenden, solange sich
darin nicht alles erschöpft. Denn mit all dem ist
der Kern des Menschen nicht getroffen - die Tiefendimension!
Oberflächliches Glück zeigt sich dann, wenn alles
zusammenbricht, sobald etwas zerbricht. Eine Bekannte aus
Ostdeutschland, die im Betrieb für das Personal zuständig ist, hat mir
erzählt, sie erlebe darin einen großen Unterschied
zum Westen: Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen könnten mit
Schicksalsschlägen, insbesondere Krankheit, viel weniger
umgehen. Eine Krankheit werfe viel schneller aus der Bahn, als sie das
aus Süddeutschland kenne.
- Kann ich besser als andere sagen, was meine Vision vom Glück ist?
Für mich, für alle Menschen? Die Glücksverheißer
sind mir suspekt. Zu oft haben sie Terror gebracht, nicht erst seit der
Französischen und der Oktober-Revolution. Die
Vision des Johannes ist dem gegenüber klar. Das Neue Jerusalem wird
nicht von Menschen ertüftelt, sondern kommt von
Gott her.
- Das Neue Jerusalem ist nicht mehr beschränkt auf die Zwölf
Stämme Israels, auch wenn es auf ihnen aufruht.
- Das Neue Jerusalem ist nicht mehr beschränkt auf die Kirche der
Apostel, auch wenn die Kirche es verkündet.
- Aus aller Hoffnung und allem Guten, vor allem aber aus allen
Tränen der Welt baut Gott dies Neue Jerusalem. Die
ganze Erde wird neu.
- Ist das Vertröstung auf das Jenseits? Ich denke nicht. Die
Bewegung von Gott her zum Menschen hat bereits
stattgefunden. Gott ist Mensch geworden. Damit hat die Vollendung durch
Gott etwas Reales und Drängendes, das
nichts mehr mit Vertröstung zu tun hat. Die Bibel bietet uns eine
Sprache an, damit sich in unseren konkreten,
bescheidenen Visionen nicht bereits die Vorstellungskraft erschöpft. Es
bliebe uns nicht mehr als ein Vorgartenparadies.
Die Apokalypse spricht über die Zukunft Gottes als Stadt, in der
Menschen zusammen leben. Nicht nur der Himmel wird
neu, nein auch die Erde. Nicht nur die Seele wird neu, nein, der ganze
Mensch.
Mit der Liebe, die in Jesus offenbar geworden ist, hat diese neue
Gemeinschaft begonnen. Wo es uns als Kirche gelingt,
diese Liebe zu leben, verkünden wir ihn.