Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 4. Sonntag im Lesejahr C 2010 (1. Korintherbrief)

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31.01.2010 - St. Cyriakus Habitzheim

Die Geschichte von Nelson Mandela und der Rugby-Weltmeisterschaft in Südafrika wird souverän von Altmeister Clint Eastwood in seinem Film "Invictus – Unbezwungen" (2009) erzählt. Zugegeben, der Stoff ist pathetisch. Aber Eastwood gelingt es durch kluge Regie daraus ein politisch-moralisches Stück zu machen, das überzeugt.

1. Liebe, und tue was du willst

  • "Liebe, und tue was du willst" Dieses Zitat hat die Autorität des Heiligen Augustinus hinter sich. Es atmet Großzügigkeit, die dem christlichen Glauben gut ansteht. Und es ist auch denen eingängig, die mit dem Kern des christlichen Glaubens, Erlösung durch Christi Tod und Auferstehung im Volk Gottes der Kirche, wenig anfangen können. Zugleich scheint das Zitat eine angemessene Zusammenfassung der Lesung aus dem 1.Korintherbrief zu sein, die in dem Satz gipfelt, am größten sei die Liebe.
  • Und doch gibt es auch den Terror der Liebe. Der Verweis auf die Liebe hält her für jede Form von Untreue und Verletzung. 'Ich liebe eine andere' ist ein Argument, das unbarmherzig keine Diskussion zulässt. Gefühle werden da als unhinterfragbar und absolut verbindlich gesetzt. Dabei könnten und müssten meine Gefühle sehr wohl hinterfragbar sein und sind sie nicht absolut, sondern stehen noch mal in relativierender Beziehung zu meinem gesamten Leben.
  • Schließlich stimmt auch das Augustinus-Zitat nicht wirklich. Denn das Wort, das hier mit 'lieben' übersetzt ist, heißt nicht "amare", was die gefühlsbetonte Liebe meint, sondern "diligere", was auch mit "hochachten" und "respektieren" übersetzt werden kann: "Habe Hochachtung vor deinen Mitmenschen und tue was du willst" (1) klingt nicht nur schon anderes, sondern ist auch viel näher an dem, warum es Paulus in seinem "Hohenlied der Liebe" im 1. Korintherbrief geht.

2. Das Hohe Lied der Liebe

  • Hören wir jetzt noch mal Paulus. Nicht von 'amor' handelt er, sondern von 'caritas'; mit 'Respekt' und 'Hochachtung' klingt der Text schon anders: "Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete," hätte aber keine Hochachtung vor denen, zu denen ich spreche, "wenn ich prophetisch reden könnte", würde damit aber andere nur heruntermachen ohne Respekt, "wenn ich alle Glaubenskraft besäße und Berge damit versetzen könnte", aber mein Glaube an Gott im Himmel ginge einher mit Verachtung der Menschen, die er geschaffen hat, dann wäre das alles nichts wert. Wenn ich aber in meinem Reden und Glauben und Tun immer liebevollen Respekt vor anderen wahre, dann ist das die größte Sache der Welt.
  • Der Respekt vor den anderen gibt allem, was ich tue, seine Würde. Das bleibt auch dann, wenn ich nicht mehr in der Lage wäre, etwas zu tun. Denn was ich tue oder kann, die Geschenke der Gnade Gottes, die er mir als einzelnem in der Gemeinde gibt, sind immer nur ein Teil: "Denn Stückwerk ist unser Erkennen, Stückwerk unser prophetisches Reden". Erst in der Einheit unserer Gemeinde, wo jeder dem anderen mit Respekt begegnet und dadurch etwas Gemeinsames aus dem Glauben wächst, wird das Stückwerk zu einem Ganzen.
  • "Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte wie ein Kind und urteilte wie ein Kind." Ich meinte nach Kinderart, meine jetzige Eingebung und meine spontane Laune seien Maßstab aller Dinge und ich müsste wie ein unmündiges Kind überall hineinplappern. Dann schreibt Paulus: "Als ich ein Mann wurde, legte ich ab, was Kind an mir war." Ich konnte anfangen, Zusammenhänge zu sehen und Rücksicht zu nehmen. Nicht ich selbst stand mehr im Mittelpunkt, sondern die Gemeinschaft der Gemeinde der Christen, denen ich mit Respekt begegne. Solang wir nur uns selbst und unseren Teil sehen, "schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse", wenn uns Gott aber die Liebe schenkt, in der wir einander mit Respekt begegnen, "schauen wir von Angesicht zu Angesicht."

3. Respekt

  • Was das bedeuten kann, hat Nelson Mandela gezeigt. Viele Jahre während der Apartheit in Südafrika hat die Mehrheit der Weißen die Schwarzen verachtet, ausgegrenzt und ausgebeutet oder sie wurden, wie Mandela, inhaftiert. Die Schwarzen haben die Weißen dafür gehasst. Anfang der 90er Jahre wurde auf internationalen Druck die Apartheit aufgehoben. Mandela wurde 1994 der erste schwarze Präsident. Aber der Hass der einen und die Verachtung der anderen ist geblieben. Eine heillose Situation.
  • Mandela ist es zu verdanken, dass es nicht zur Explosion kam. Er hat seinen schwarzen Mitbürgern gezeigt, was ihre Aufgabe als Mehrheit ist. Die schwarze Mehrheit hatte jetzt die Regierung übernommen. Jetzt galt es, den Teufelskreis von Hass und Verachtung zu durchbrechen. Sie sollten jetzt nicht umgekehrt die Weißen verachten und damit eine neue Apartheit zu instalieren.
    Dazu braucht es Respekt. Mandela hat als wichtiges Symbol dafür - ausgerechnet - Rugby entdeckt. Die Spieler der Nationalmannschaft 'Springboks' waren für viele Weiße die Helden, so etwa wie die Nationalmannschaft für Fußball hier für viele Deutsche.
  • Die Schwarzen haben Rugby und die Springboks verachtet. Mandela hat seine ganze Autorität dafür eingesetzt, das zu ändern. Wenn du andere respektieren willst, musst du das respektieren, was ihnen wichtig ist - und sei es Rugby. Durch sein persönliches Engagement hat er es geschafft: Die Nation stand 1995 hinter den Springboks. Das hat sicher dazu beigetragen, dass sie Weltmeister wurden. Es war aber vor allem ein Weg, Respekt zu lernen und auszudrücken. Auch Südafrika hatte und hat viele Probleme. Aber alle Erfolge, alle Leistungen, alles wäre nichts wert, wenn der Respekt fehlt - oder sagen wir es jetzt ruhig: die Liebe. Amen.

Anmerkung:
1. "dilige et quod vis fac."; fälschlich oft: "ama et fac quod vis.", In epistulam Ioannis ad Parthos, tractatus VII, 8