Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 4. Sonntag im Lesejahr B 2000 (Markus)

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30. Januar 2000 -

1. Welten

  • Das Alltagsbewusstsein hält sich an die eine, sinnlich erfahrbare Welt. Darin sind wir zuhause. Alles andere erscheint uns als Spinnerei oder zumindest greift es nicht in unseren Alltag ein. Unter dieser Bedingung, und nur unter dieser, sind dann wieder viele Menschen bereit, die abstrusesten spirituellen Welten anzunehmen: Unter der Bedingung, dass all dies von der sinnlich konkreten Welt säuberlich getrennt ist.
  • Tatsächlich greifen in unserem Leben aber ganz verschiedene Welten ineinander, die ganz und gar nicht gleichermaßen greifbar und fassbar sind. Virtuelle Welten sind solche Welten, in denen nicht Dinge oder Gegenstände bestimmend sind, sondern Informationen, die digital gespeichert, weltweit übermittelt und verarbeitet werden. Virtuelle Welten kann man nur am Bildschirm des PC sichtbar machen und doch bestimmen sie mehr und mehr das Leben in der sinnlich-konkreten Welt.
  • Wie sehr selbst sonst ganz kluge Menschen es nicht schaffen, die virtuelle Welt als Realität zu begreifen, ist mir an einem Beispiel klargeworden. Kein Mensch - außer Pubertierende oder Spätpubertierende im Gruppenzwang - käme auf die Idee, anderen lebhaft davon zu erzählen, was er zuletzt im Kaufhaus geklaut hat. Ladendiebstahl ist ein Verbrechen und wer es tut, schweigt darüber. Dagegen kann man Professoren - sogar der Juristerei und Theologie - ganz zwanglos im Gespräch darüber finden, welche Computer-Software sie neu bekommen haben und - natürlich als Raubkopie - benutzen. Raubkopien von Computerprogrammen sind genauso illegal und verwerflich wie Ladendiebstahl. Aber nur im einen Falle hat man die Erfahrung, etwas physisch wegzunehmen. Bei der Raubkopie bewegt man sich hingegen nur in einer virtuellen Welt und obwohl man durch sein Handeln anderen Menschen genauso schadet wie in der physischen Welt, fehlt doch in der Regel der Sinn dafür.

2. Unreine Geister

  • Es sieht erst einmal weit hergeholt aus. Aber vielleicht hilft dieser Vergleich, einen Zugang zum Evangelium zu gewinnen. Dort ist die Rede von einem Menschen, der von einem unreinen Geist besessen ist. Vielleicht kann man heute medizinisch viel besser erklären als damals, woran dieser Mensch krank ist, vielleicht auch nicht. Kein Arzt würde heute auf Besessenheit diagnostizieren. Darüber haben wir aber vergessen, was in der Vergangenheit ganz selbstverständlich war, nämlich dass Menschen, die in ihrem Geist gespalten sind, die von einem anderen als ihrem gesunden, reinen Geist besessen sind, dass diese Menschen bei allem Leid häufig auch ein Gespür haben für die Dimensionen, in die wir Gesunde im praktischen Alltag nicht vorstoßen. Vielleicht hat sogar mancher Computerfreak mehr mit einem solchen Besessenen gemeinsam, als man höflicherweise zugeben sollte. Auf jeden Fall hat er mehr Sinn für die Realität der Virtuellen Welten als mein gesundes Alltagsgefühl.
  • Für das Evangelium sind die Dämonen bedeutsam, weil sie Jesus erkennen und Jesus mit ihnen in Konflikt gerät. Damals wurde der Verdacht gestreut, Jesus sei selbst ein Besessener. Daran ist etwas Wahres, es trifft aber den Kern nicht. Jesus hat mit den Besessenen gemeinsam, dass sein Geist nicht beschränkt ist auf die physische Welt, sondern offen ist für die geistige Welt. Mehr noch, die geistige Welt, die Welt Gottes, seines Vaters, ist das Zuhause, aus dem heraus Jesus kommt und denkt und spricht. Deswegen erkennt er sie und deswegen erkennen sie ihn als Menschen, der mehr ist als irgendein anderer. Sie nennen ihn den "Heiligen Gottes".
  • Die unreinen Geister, die Dämonen die den Besessenen plagen, aber unterscheiden sich fundamental von Jesus. Es sind unreine Geister, die den Menschen spalten in seiner Identität, die Zerstörung und Unheil bewirken, die die Freiheit des Menschen zerstören. Dagegen ist die ganze Souveränität, in der Jesus spricht und handelt, Ausdruck dafür, dass er in keiner Weise in sich zerrissen und gespalten ist, sondern die Nähe zu Gott sein konkretes-sinnliches Menschsein mit umfasst. Er ist wahrer Mensch und wahrer Gott. Von daher kann er auch anderen das Göttliche mitteilen, das den Menschen zu sich führt und das dem Menschen offenbart: die physikalische Welt ist nicht alles!

3. Vollmacht

  • Der Bericht von der Heilung des Mannes in der Synagoge wird eingerahmt von der Predigt Jesu und der Reaktion der Menschen auf das, was sie da hören. Beides mal ist von Vollmacht die Rede. In der Rede Jesu spüren die Menschen mehr und anderes als gescheite Analysen, studierte Weisheit, spitzfindige Argumente und dergleichen.
  • Vollmacht kommt von Gott und nur Rede, die das Wort Gottes weiterspricht, hat diese spürbare Vollmacht. Alles andere mag gescheit, vielleicht auch fromm sein. Wenn ich aber nur das spreche, was ich denke und mich betrifft, dann bleibt von der Vollmacht wenig zu spüren. Dann bleibt die Rede beschränkt auf die Welt, aus der sie kommt und in der sie gesprochen wird. Jesus aber hat für jedermann erfahrbar mit Vollmacht gesprochen. Aus der anderen, umfassenden Welt heraus hat er gesprochen. Mehr noch: Von Gott her hat er gesprochen. Dieses Wort von Gott her hat er jedoch nicht irgendwo über den Wolken in einer fernen Welt verklingen lassen, sondern hier, mitten in der sinnlich, erfahrbaren, in unserer Welt gesprochen.
  • Deswegen bleibt es auch nicht beim Wort. Das Wort der Predigt Jesu geht über in die heilende Handlung. Nur von Gott her kann die Integration unserer Welten gelingen, weil jede Welt, die physische Welt, jede virtuelle Welt, die Welt der Menschen und die Welt der Geister und Dämonen, weil alles Geschaffene Gott gegenüber steht. Wo der Glaube aus diesem Gegenüber der Welt spricht und sich sein Wort von Gott geben lässt, wird spürbar: Hier ist Gottes Vollmacht. Amen.