Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 4. Sonntag im Lesejahr A 2011 (Zefanja)

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30. Januar 2011 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Tag des Zornes

  • "Dies Irae" beginnt die Sequenz, die früher in der Totenmesse gesungen wurde: Tag des Zornes. Der Ausdruck stammt aus dem Buch des Propheten Zefanja: "Vielleicht bleibt ihr geborgen am Tag des Zornes des Herrn." Seit der frühen Neuzeit wurde der Hymnus gesungen. Erst nach dem 2. Vatikanischen Konzil wurde er aus dem Requiem herausgenommen. Heute taucht er in der Liturgie nur noch im Stundengebet der Priester auf. Dieses Lied, das so düster vom Zornesgericht am Ende der Welt singt, hatte in der allgemeinen christlichen Totenliturgie zu viel Gewicht und zu wenig von der frohen Hoffnung, die der Glaube schenkt.
  • Bei Zefanja ist der "Tag des Zornes Gottes" noch nicht auf ein Weltgericht bezogen. Vielmehr deutet das Prophetenbuch damit eine historische Erfahrung. In den Jahren der Königsherrschaft war Jerusalem verkommen: Durch Korruption, Prunk und Ausbeutung war eine Oberschicht reich geworden. Das Gesetz Gottes, das die Armen schützt, wurde mit Füßen getreten. Die Verehrung des Gottes Israels war vom Kult anderer Götter, die sich besser zur Legitimation der Herrschaft der Reichen eigneten, überlagert worden. Diese Oberschicht hat dann der Zorn Gottes getroffen, als die Babylonier Jerusalem zerstörten und die Eliten in das Exil nach Babylon verschleppten.
  • Der "Tag des Zornes Gottes" ist also frohe Botschaft für die Armen im Land: Der Eroberung und Verwüstung trifft vor allem die reiche Oberschicht, die das Land ausgebeutet hatte. Das "demütige und arme Volk" kann nun aufatmen. Man kann auch übersetzen: das "gedemütigte und arme Volk"! Es lebt zwar jetzt unter der Fremdherrschaft der Babylonier, aber damit nicht mehr unter den alten Herrschern, die so taten als würden sie Gott JHWH verehren und doch sein Gebot der Gerechtigkeit mit Füßen getreten haben. Wenn wir die Sequenz "Dies Irae" von her neu lesen, klingt sie gleich weniger als Dokument eines rachsüchtigen Gottesbildes, denn als Ausdruck des Vertrauens in einen Gott, dem das Schicksal der Armen im Land nicht gleichgültig ist.

2. Ein gedemütigtes und armes Volk

  • Aus Zefanja wird heute gelesen, weil Jesus in der Bergpredigt an den Propheten anknüpft. Dass es einen "Tag des Zornes" geben wird, gehört ebenfalls zur Botschaft Jesu (vgl. Röm 2,5; Mt 11,22ff); dies ist auch ein Teil der Botschaft des Evangeliums. Aber den 'Ton' gibt Jesus in der Bergpredigt nicht mit einer Drohung vor.
  • Gleich zu Beginn der Bergpredigt greift Jesus das andere Wort auf: das "demütige und arme Volk". Die Bergpredigt beginnt - nach unserer Einheitsübersetzung - mit "Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich." Wörtlich heißt es: "Selig die Armen dem Geiste nach"; das "vor Gott" ist also schon ein Versuch zu erklären. Der Vorwurf an diese Übersetzung lautet, dass hier eine reale Situation - Armut - spiritualisiert werde. In der Tat ist es nicht eindeutig, was "arm im Geiste" meint. Sicher nicht 'geistig beschränkt'.
  • Unter den Schriften in Qumran (1) hat man einen Text gefunden, der den Ausdruck ebenfalls verwendet. Dort wird vom Zusammenhang her deutlich, dass in diesem Text Menschen gemeint sind, die "arm gemacht" werden, also fertig gemacht und klein gehalten. Nicht so sehr materielle Armut (allein) wäre also gemeint, sondern soziale Ausgrenzung. Das würde zu anderen Seligpreisungen passen, in denen Jesus diejenigen preist, die fertig gemacht werden, weil sie den Frieden und die Gerechtigkeit suchen, oder weil sie zu Jesus halten: "Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet." Diese ermutigt Jesus: Vor den Menschen mögt ihr nichts gelten; aber vor Gott sei ihr groß und zu preisen. Diejenigen, die von den Menschen gelobt werden, sind häufig die, die das Land zu Grunde richten. Unter denen, die vor den Menschen nichts gelten, sind aber diejenigen, die das eigentliche "Salz der Erde" und das "Licht der Welt" sind.

3. Selig die Armen

    • In der Situation des Propheten Zefanja waren es ganz wörtlich die Armen im Land, die unter der Ungerechtigkeit und dem Unglauben der reichen Oberschicht gelitten hatten. Deswegen gilt ihnen die Botschaft der Zuversicht, als die Elite verschleppt wird. Den Armen sagt der Prophet Gottes Wort: "Der Rest von Israel wird kein Unrecht mehr tun und wird nicht mehr lügen, in ihrem Mund findet man kein unwahres Wort mehr. Ja, sie gehen friedlich auf die Weide, und niemand schreckt sie auf, wenn sie ruhen."
    • Aber schon bei Zefanja meint "demütiges und armes Volk" neben der gesellschaftlichen Stellung der Armen auch eine geistige Haltung vor Gott. Es sind Menschen, die von anderen gedemütigt wurden; aber eben auch Menschen, die diese Demütigung zur starken Tugend der Demut vor Gott verwandelt haben; sie setzen ihr Vertrauen in Gott. Es sind Menschen, die in die Armut getrieben wurden; aber eben auch Menschen, die wissen, dass sie vor Gott nicht mit Besitz und Leistung großtun können, sondern nur mit dem Reichtum der Liebe und der Gerechtigkeit.
    • Für die meisten in unserer Gemeinde hier gilt wahrscheinlich, was Paulus auch von den Christen in Korinth gesagt hat: "nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme". Das allein ist aber auch noch keine Garantie für ein gelungenes Leben. Genauso wenig oder noch weniger sind jedoch Macht und Reichtum eine Garantie für Glück, eher im Gegenteil. Wer gewohnt ist zu herrschen und zu besitzen, wird leicht aus Gewohnheit sein Herz verschließen vor Gott und den Menschen. Nirgendwo preist Jesus die Reichen selig. Für sie ist es im Gegenteil schwerer, wenn auch nicht unmöglich, das zu erreichen, was zählt für Zeit und Ewigkeit: eine aus dem Herzen kommende und mit wachem Geist gesuchte Armut vor Gott. Nur so können wir einander als ebenbürtige und gleichwertige Schwestern und Brüder begegnen und die Freude der neuen Gemeinschaft der Glaubenden erfahren. Amen.



Anmerkung

1. Berger, Klaus: Qumran. Funde - Texte - Geschichte. Stuttgart (Philipp Reclam jun.) 1998, S. 131: Arme im Geiste: Der Ausdruck "die Armen im Geiste" nach Mt 5,3 wird aufgrund der Texte von Qumran erstmals verständlich, und zwar im Sinne von "psychisch fertig gemacht", "an den Rand gedrängt" In l QM 14,6-7 stehen parallel zu "Armen im Geist" solche, deren Herz verzagt, deren Knie wanken und die einen zerschlagenen Nacken haben.