Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 4. Sonntag im Lesejahr A 2005 (Matthäus)

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30. Januar 2005 - Deutschordenskirche Frankfurt

1. Verachtung

  • Die Seligpreisungen sind ein plausibler Gegenstand der Verachtung. Wenn man sie recht versteht, können sie ein Grund sein vom Glauben abzufallen. Dies nicht etwa deshalb, weil sie den Menschen überforderten. Im Gegenteil, die Seligpreisungen sind ein plausibler Gegenstand der Verachtung, mit dem Argument, dass sie den Menschen unterfordern. Nicht zufällig nährt sich seit dem 19. Jahrhundert ein Strom der Verachtung des jüdisch-christlichen Glaubens aus den Seligpreisungen.
  • Jeder von uns trägt diese Verachtung in sich. Ich kann das nicht belegen und beweisen, bin mir aber sicher. Denn jeder von uns lebt in der Kultur und Sprache unserer Zeit und trägt etwas davon in sich. Wahrscheinlich sind wir alle zu wohl erzogen, um die Verachtung raus zu lassen. Es könnte aber heilsam sein. Denn insgeheim werden wir alles in dem Maße verachten, in dem wir es nicht achten. Die Seligpreisungen aber sind zu aller erst Ausdruck von Hochachtung - Hochachtung in den Augen Jesu, der bestimmte Menschen "selig" preist. Jesus behauptet damit, dass die Hochachtung, die er ausdrückt, Gottes Maßstab wiedergibt.
  • Wen aber preist Jesus selig? Sieht man genau hin, sind es die Jammerlappen dieser Welt, die Loser, die arm sind den Vermögensverhältnissen oder der Gesinnung nach, all die, die einknicken wenn es darauf ankommt, statt ihre Kraft auszuschöpfen. Das ist kein zeitgemäßes Menschenbild. Bereits im 19. Jahrhundert waren es die Naturwissenschaften, die den Blick öffneten für das Potential, das in der menschlichen Rasse steckt. Zwar hat im 20. Jahrhundert der Nationalsozialismus das unziemlich zur Herrschaftsideologie geformt. Mit dem Untergang der NS-Ideologie ist aber nicht verschwunden, was dem innewohnte: in der Ideologie der Selbstverwirklichung taucht das selbe in individualisierter Fassung wieder auf. Zudem ist das Lob der Leistung und Stärke Grundlage unseres Wirtschaftssystems über die Zeiten hinweg. Die Seligpreisungen fallen hinter diesen Fortschritt zurück und loben den Menschen, der klein von sich denkt statt sich zu menschlicher Größe zu erheben. Dass Jesus diese Gestalten für fähig hält, Frieden zu stiften, ist Ausweis der Weltfremdheit seiner Gedanken. Deswegen würden wir, wohlerzogen die wir sind, die von Jesus selig Gepriesenen letztlich nicht so sehr verachten denn höflich bemitleiden.

2.Unvermögen

  • Die Seligpreisungen können beunruhigen. Sie sind nicht als Aufforderung formuliert, dieses oder jenes zu tun. Sie preisen ganz einfach bestimmte Menschen selig. Und manche der Beschreibungen würden wir doch ganz gerne auf uns anwenden können: Frieden stiften, Gewaltfreiheit, reines Herz. Schön wäre es wenn wir uns diese aussuchen könnten und andere als unzeitgemäß aussortieren: uns als Arme sehen und verstehen, voll Trauer sein, fern von Gerechtigkeit danach hungern und dürsten.
  • Doch die Seligpreisungen sind nicht zur Auswahl gedacht. Für Jesus hängen sie innerlich notwendig zusammen. Das eine ist die Konsequenz des anderen. Die Seligpreisungen interpretieren sich gegenseitig. Dabei steht nicht zufällig am Anfang: "Selig die arm sind vor Gott", arm der Gesinnung und dem Herzen nach. Ursprünglich mag hier - wie im Lukasevangelium - gestanden haben: Selig die arm sind, mittellos und bedürftig. Das Matthäusevangelium macht deutlich, dass dazu eine innere Haltung gehört: die innere Armut, die vor Gott und den Menschen weiß, dass aller Besitz nichts ist, dass alles Haben nicht weiter bringt. Der Reiche ist sich selbst genug. Der Arme hat niemanden als Gott.
  • Frieden stiften ist eine Frucht dieser Armut. Friedensfähigkeit geht einher mit der Trauer über den Streit und dem steten Hunger und Durst nach Gerechtigkeit, der sich mit dem Zustand der Welt nicht zufrieden geben kann. Die Botschaft des Evangeliums ist, dass wir zum Frieden nicht fähig sein werden, solange wir nicht in Armut leben, barmherzig sind. So hält mir die Bergpredigt meine Unfähigkeit zum Frieden und zum reinen Herzen vor, da ich viel zu sehr meine Hochachtung dem schenke, was reich, fröhlich und zufrieden ist.

3. Sehnsucht

  • Christen sind Menschen der Sehnsucht. Sie haben in der Botschaft Jesu und im ganz persönlichen Gebet eine Erfahrung der Größe Gottes gemacht, die sie mit Sehnsucht erfüllt und Unruhe. Keiner von uns wird von sich sagen, dass er, gerade er gemeint sein kann mit denen, die Jesus selig preist. Christen finden aber die Sehnsucht, die jeden Menschen erfüllt, formuliert in den Seligpreisungen. Christ sein bedeutet, der Sehnsucht nach der Armut, die Jesus predigt und lebt, in sich Raum zu geben.
  • Daher nimmt die letzte Seligpreisung eine Sonderstellung ein. Sie spricht nicht mehr allgemein "selig sind die...", sondern spricht die Jünger an: "Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet." Hier erst ist das spezifisch Christliche angesprochen. Ihr, die ihr mir zuhört, habt an all dem, was bislang über Seligkeit gesagt wurde, Anteil, wenn ihr euch zu Jesu Namen bekennt und die Sehnsucht in euch wachsen lasst, Jesu Weg mit zu gehen.
  • Keiner will beschimpft und verleugnet werden. Wir sollten aber um die Sehnsucht beten, dass uns Schimpf und Schande nicht dazu bringen, Jesu Botschaft zu verleugnen und das Kreuz zum Ausrutscher zu erklären. Wir Christen haben den Frieden und die Gerechtigkeit nicht gepachtet und nicht erreicht. Wir bekennen uns aber zu dem, in dem Gott selbst den Weg der Armut gegangen ist. Das mag uns zum Gegenstand der Verachtung machen. Wir halten fest an der Hoffnung, dass es der Weg zum Frieden und zur Seligkeit ist. Amen.