Predigt 4. Adventssonntag Lesejahr B 2011 (Lukas)
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18. Dezember 2011 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg
1. Einfache Wege
- Lügen oder die Wahrheit sagen? Eigentlich sollte klar sein, welche Alternative zu wählen ist.
Dennoch drängelt sich die Frage in's Bewusstsein. Was die Lüge verlockend machen kann ist,
dass sie einflüstert, sie sei die einfachere Lösung. Dagegen löst die Absicht die Wahrheit zu
sagen eine Flut von Gedanken aus, wie kompliziert dann alles würde. Nicht selten entscheiden
sich Menschen in so einer Situation daher für die einfacher erscheinende Lösung, die Lüge.
- Ignatius von Loyola beschreibt diesen Mechanismus in seinen Regeln zur Unterscheidung der
Geister. Dabei hat er sicher viel komplexere Entscheidungssituationen im Blick, als nur die
Frage 'lügen oder die Wahrheit sagen'. Dennoch ist der Mechanismus der selbe: Wo die
Bereitschaft zum Verrat an den eigenen Idealen - hier zur Lüge - ist, dort flüstert mir der
Widergeist ein: Warum nicht? Es ist doch so leicht. Wahrhaftigkeit scheint es bei Menschen
nur kompliziert zu machen, bei denen die Bereitschaft zur Lüge sich schon eingenistet hat.
- Daher sollte das erste Kriterium nicht sein, ob es der leichtere oder bequemere Weg ist, sondern
ob es der richtige Weg ist. Diese Frage zu stellen, komme ich nicht umhin. Es braucht so etwas
wie eine Grundentscheidung, das Gute zu wollen. Eine andere Sache aber ist es, was mich dann
hindert, das Richtige auch zu tun. Und da ist der unterscheidende Blick darauf, was sich als
kompliziert gebärdet und was sich als einfach und klar darstellt, durchaus hilfreich.
2. Maria, Tochter Israels
- Wenn die Kirche von Maria als 'Tochter Israels' spricht, dann meint das keinen Zufall, dass sie
eben durch Abstammung zu diesem Volk gehört. Die Kirche drückt damit vielmehr etwas für
uns Christen Wesentliches aus: Gott selbst hat sich durch die Wirren der Geschichte ein Volk
erwählt, das durch Höhen und Tiefen gegangen ist. Die Bibel erinnert daran: sowohl im Lob
der Heiligen Israels, wie in der scharfen Kritik der Propheten an Ungerechtigkeit und Gottesvergessenheit.
- Israel ist das Volk, das Gottes Wort empfangen hat und diesen Gott verehrt. Wenn Maria
'Tochter Israels' genannt wird, dann ist diese Vertrautheit mit Gott (Ignatius spricht von
"familiaritas cum Deo") gemeint. Den Menschen dafür ein Ort zu sein, hat Gott das Volk Israel
berufen. In der Szene der Begegnung Marias mit Gabriel, dem Himmelsboten, drückt Lukas
den Zusammenhang des Verhaltens Marias mit dem Glauben des Volkes Israel dadurch aus,
dass fast jede Formulierung und auch die Struktur der Szene auf das Alte Testament verweisen.
- Lukas schildert die Entscheidungssituation des Mädchens aus
Israel, das ganz auf sich gestellt
von Gott angesprochen wird. Sie wird gefragt, Gott so sehr zu vertrauen,
dass sie das verheißene Kind annimmt, obwohl doch vieles dagegen
spräche. "Mir geschehe, wie du es gesagt hast",
antwortet Maria im Evangelium. Und sie macht zugleich mit ihrer Zustimmung zur Botschaft
des Engels klar: Sie ist keinem Menschen untertan, sondern allein Gottes gutem Willen: "Siehe,
ich bin die Magd des HERRN". Damit sagt Lukas: Sie hat die Grundentscheidung angenommen, das Gute zu wollen.
3. Warum nicht?!
Die Szene, die das Evangelium schildert, ist auf einem Bild über dem Altar dargestellt, der dem
Hl. Ignatius seit seiner Kindheit vertraut gewesen sein dürfte. Er steht in der Kapelle des
Schlosses, in dem Ignatius aufgewachsen ist. Das Bild zeigt den Engel und Maria. Darunter
steht geschrieben: "por quoy non" - "warum nicht?". Wir wissen nicht, wie der Künstler auf die
Idee zu diesem knappen Text kommt. Wir finden den Gedanken aber in den Exerzitien des
Hl. Ignatius wieder.
- Maria, die sich ganz Gottes gutem Willen geöffnet hat (im Altar-Bild durch weiße Lilien
angedeutet), lässt sich nicht verwirren. Sie hat nachgefragt, nachgedacht und die Situation
verstanden. Dann aber ist sie ganz einfach und klar. "Warum nicht?".
Sie ist damit das Gegenteil etwa zu Brutus, dem Caesarenmörder, der im Umfeld von Gewalt,
Verrat und Macht groß geworden ist. Von ihm kann man sich vorstellen, dass er sich "Warum
nicht?" gedacht hat, als er seinen Vater erdolcht hat. [Großartig interpretiert das Georges
Clooney in seinem neuen Film "The Ides of March – Tage des Verrats".] Maria hingegen ist als wahre Tochter
Israels groß geworden, vertraut mit Gottes Wort und dem Gebet. Sie antwortet mit einfacher
Klarheit, wo sie gefragt ist, Gott in dieser Welt - und in ihrem Leib - Raum zu geben.
- Das "Warum nicht?" wird unabsehbare Folgen haben. Bei Brutus führt es in die endgültige
Tyrannei der römischen Caesaren. Bei Maria führt es zu Gottes Menschwerdung im Leben
dieser Frau und der ganzen Menschheit.
Heute, am letzten Sonntag im Advent, lädt uns das Evangelium ein, uns die Frage zu stellen,
was uns hindert, uns Gott zu öffnen. "Pour quoy non?", diese Grundhaltung der Offenheit
gegenüber Gottes Auftrag erledigt nicht alles weitere Suchen nach dem richtigen Weg. Als
Grundhaltung aber markiert sie die Bereitschaft, es mit Gott zu versuchen und sich nicht
verwirren zu lassen. Die Grundhaltung nennt man im Christlichen "glauben" und meint damit,
dass ich mich entscheide, Gott zu vertrauen, der mich durch seinen Heiligen Geist führen will
und führen wird - warum sollte er nicht?! Amen.
Anmerkungen
Die Anregung zu dieser Predigt verdanke ich dem Beitrag von Dominik Terstriep SJ "Indifferenz -
Warum nicht?!" in: Lambert, Willi: Von Ignatius inspiriert. Erfahrungen und Zeugnisse. Ignatianische
Impulse, Herausgegeben von Stefan Kiechle SJ und Willi Lambert SJ, Band 50. Würzburg (Echter)
2011, Seite 53-54.
Exerzitienbuch des Hl. Ignatius von Loyola Nummer 333 (in der Übersetzung von Peter Knauer)
REGELN ZUM GLEICHEN ZWECK MIT GRÖßERER UNTERSCHEIDUNG DER GEISTER;
UND SIE SIND ZWECKMÄßIGER FÜR DIE ZWEITE WOCHE (für Menschen, die sich entschieden
haben Gott, unserm Herrn zu dienen)
DIE FÜNFTE: Wir müssen sehr die Folge der Gedanken beachten. Und wenn der Anfang, die Mitte
und das Ende alles gut ist, zu allem Guten hingeneigt, dann ist dies ein Kennzeichen des guten Engels.
Doch wenn es bei der Folge der Gedanken, die er bringt, bei irgend etwas Bösem endet oder das
ablenkt oder weniger gut ist, als was die Seele sich vorher zu tun vorgenommen hatte, oder die Seele
schwächt oder beunruhigt oder verwirrt, indem es ihr ihren Frieden, ihre Stille und Ruhe, die sie vorher
hatte, wegnimmt, so ist es ein deutliches Kennzeichen, dass es vom bösen Geist herkommt, dem Feind
unseres Nutzens und ewigen Heils.