Predigt zum 32. Sonntag im Lesejahr B 2015 (1 Könige)
Zurück zur Übersicht von: 32. Sonntag Lesejahr B
8. November 2015 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg
1. Witwe
- Witwe ist Nichts mit lustig. In der Bibel ist meist von drei Situationen zusammen die Rede: Witwen, Waisen und Fremden. Das sind diejenigen, die in der damaligen Gesellschaft zu kurz kamen, trotz der beständigen Ermahnung der Bibel: Diese drei stünden unter dem besonderen Schutz Gottes, und es sei daher der besondere Auftrag, den Witwen, den Waisen und den Fremden unter uns Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. So auch Jesu Drohung an diejenigen, die "die Witwen um ihre Häuser" bringen.
- Das griechische Wort für Witwe - in der Sprache des Neuen Testamentes - bedeutet wörtlich: Die "Beraubte". Gemeint ist: Die ihres Mannes, des Ernährers der Familie Beraubte. Wenn Jesus eine Witwe, die mit "zwei kleinen Münzen" "ihren ganzen Lebensunterhalt" gibt, heraushebt, dann können wir unter "Witwe" alle Menschen sehen, die ihrer Zukunft beraubt sind, die in dieser Gesellschaft mit ihren Regeln keine Perspektiven haben, die gerade so über den Tag kommen und nicht wissen, wie es morgen weiter gehen soll. Witwe, Beraubte in diesem Sinn sind nicht wenige Menschen auf dieser Welt und auch bei uns.
- Zu diesem Evangelium wurde eine Lesung aus dem Alten Testament ausgesucht, die auf den ersten Blick nur locker damit verbunden ist, weil auch dort eine Witwe eine wichtige Rolle spielt. Es ist zudem eine - aus der Perspektive Israels - Ausländerin, die in der heidnischen Stadt Sarepta lebt, eine phönizische Küstenstadt, das heutige Sarafand im heutigen Libanon. Dort trifft der Prophet Elija - selbst auf der Flucht im Ausland - am Stadttor auf eine Witwe. Und diese Frau wird zum exemplarischen Menschen, der uns zeigt, was es bedeutet zu glauben.
2. Vertrauen
- Das alttestamentliche Erste Buch der Könige berichtet vom Propheten Elija, der einerseits religiös-politisch verfolgt ist, andererseits wegen einer Dürre auf der Flucht ist und nach Sarepta kommt. Dass die Bibel dies so schildert ist wegen des Folgenden wichtig: Eigentlich wäre von den Phöniziern nichts Gutes zu erwarten. Immerhin: Dass ein Wanderer um etwas Wasser bittet und ihm dies gegeben wird, ist im Orient zu allen Zeiten normal.
- Dann aber stellt Elias an die Witwe eine Forderung, die über das Normale hinaus geht: "Bring mir auch einen Bissen Brot!" Diese Bitte zwingt die Witwe dazu, ihre Not zu offenbaren: Gerade noch ein letztes wenig Mehl und Öl hat sie, gerade genug für ein letztes Mahl mit ihrem Kind, aber nicht genug um weiter zu leben. "Das wollen wir noch essen und dann sterben." Die ganze Perspektivlosigkeit kommt in diesem Satz zum Ausdruck.
- Aber in dem selben Satz steckt auch ein Bekenntnis, denn sie, die Heidin, beginnt den Satz mit der bekräftigenden Formel: "So wahr der HERR, dein Gott, lebt". Und so antwortet Elias auch mit einer Formel, mit der in der Bibel Gottesreden beginnen: "Fürchte dich nicht!"
Er fordert sie auf, dieses Letzte, das sie hat, zu verschenken. Mit dieser Aufforderung ist eine Verheißung verbunden: "Denn so spricht der Herr, der Gott Israels: Der Mehltopf wird nicht leer werden und der Ölkrug nicht versiegen bis zu dem Tag, an dem der Herr wieder Regen auf den Erdboden sendet." - Im Kern geht es also genau um dies: Ob wir der Zusage Gottes unser Vertrauen schenken können.
3. Hingabe
- Die Bibel mag viele wundersame Geschichten berichten. Sie mag in vielem ermutigend sein. Wir kommen nicht umhin, mit dem, was uns an Verstand gegeben ist, darüber nachzudenken, und zu diskutieren, was vernünftig und was unvernünftig ist. Aber nach und trotz all dem steht dann da die entscheidende Frage, ob ich Vertrauen wage. Dabei geht es nicht um Theorie, sondern um Praxis. Reden kann ich lange. Letztlich muss ich mich entscheiden, was ich tue - oder dass ich nichts mache.
- Über all dem steht das "Fürchte dich nicht!". Ebenso, wie uns Menschen Furcht befällt, wenn wir erfahren, wie unendlich groß und letztlich auch fremd Gott ist; ebenso, wie uns Menschen Furcht befällt, wenn uns aufblitzt, wie wenig wir unser Leben und unsere Zukunft letztlich im Griff haben; ebenso, wie uns Menschen Furcht befällt, wenn wir für einen Moment den Gedanken zulassen, dass nichts von dem, was wir haben, uns gehört - ebenso gilt es eine tief sitzende Furcht zu überwinden, wenn wir das, was wir haben und was wir sind, loslassen sollen, um einem Anderen zu vertrauen. "Fürchte dich nicht ", eine Grundhaltung im Leben zu versuchen, die auf vertrauendem Glauben aufruht und die Hingabe nicht fürchtet.
- Letzte Hingabe ist nur als Haltung gegenüber Gott möglich. Sie ist kommt aus der Haltung des Glaubens. Sie wird konkret auf der Erde, in der Liebe, die ich anderen schenke, ohne darin auf das Eigene zu berechnen. Die Hingabe lässt sich auf Beziehungen und Gemeinschaft ein, wie die Taufe ein Sich-Einlassen auf die Gemeinschaft der Kirche im Vertrauen auf Gott ist. Die Hingabe weiß, dass in den Dimensionen dieser Welt sich das nicht rechnet. Sie geht das Risiko ein, zu den Beraubten zu gehören, den Witwen, Waisen und in der Welt Fremden. Doch sie lebt aus der Erfahrung einer ganz anderen Fülle: "Der Mehltopf wird nicht leer werden und der Ölkrug nicht versiegen". Amen.