Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Fest des Hl. Ignatius von Loyola 2004

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16. Mai 2004 - KHG Dortmund, Ignatiusgottesdienst

1. Das Lamm Gottes unter den Menschen

  • Der Täufer Johannes überfällt seine Jünger mit dem Ruf: "Seht das Lamm Gottes". Statt einer erläuternden Bemerkung steht hier die absolute Jenseitigkeit, das Lamm in der Mitte von Gottes Thron. Der Einstieg ist theologisch steil. Gottes Hingabe an den Menschen ist symbolisiert in dem Lamm. Man wundert sich nur, dass der Täufer auf einen vorübergehenden Menschen zeigt und nicht geradewegs zum Himmel. So ist das Evangelium auch zu lesen: als theologische Verkündigung, als Text, den es erst einmal zu verstehen gilt, als Glaubensverkündigung und Glaubenswahrheit. Es ist das Evangelium, die Frohbotschaft der Kirche, die sich hier ausdrückt in dem Verweis auf Jesus als unvergleichliche Gegenwart Gottes.
  • Simon Petrus und der andere Jünger lösen sich vom Täufer Johannes. Zu ihm waren sie gekommen, um ihr Leben neu in den Griff zu bekommen und neu auszurichten. Aber der Täufer hatte unmissverständlich gesagt: "Ich bin nicht der Messias" (Joh 1,20). Auf diese Weise hat er seinen Anhängern den größten Dienst erwiesen. Er hat sie in Bewegung gehalten hin auf die größere Wirklichkeit Gottes. Die Taufe zur Umkehr war ein richtiger Schritt. Aber weh dem, der es dabei belässt. Er sieht nicht, dass Gott Größeres für ihn bereit hält.
  • Daher folgen die beiden Jünger dem, der an ihnen vorübergegangen war. Sie hatten gehört, was der Täufer sagte, und folgen Jesus. Und dieser nimmt ihre Bewegung wahr. Er wendet sich ihnen zu. Er sieht sie an und fragt. Dies ist offenbar ein Kernstück der geistlichen Erfahrung. Nach dem ersten Zugehen auf Gott unsererseits stellt Gott uns die Frage: "Was wollt ihr?" Was willst du?
  • Die Antwort der Jünger ist gut. Denn sie geben keine langen Erklärungen, sondern bringen auf den Punkt, dass sie lernen und sehen und erfahren wollen. Sie haben die Lektion des Täufers gelernt und sind auf der Suche: "Meister -, wo wohnst du?". Wo ist der Ort an dem du wohnst? Wie sieht es aus, dort wo du zu Hause bist? Die Jünger geben Ausdruck der Situation eines jeden Christen, der fragt, wo Gott anzutreffen ist. Wo ist dieses "Lamm Gottes", wo ist dieser Meister und Herr, wo ist dieser Gott, der uns verkündet wird? Wo ist er zu Hause und wie kann ich sehen, ob er etwas für mich zu bedeuten hat?
  • Jesus lädt ein, selbst zu sehen. Er bietet einen Weg an, selbst die Erfahrung zu machen. Er geht, und die Jünger gehen mit und sehen, wo er wohnt. Gerne würden auch wir diesen Ort sehen, das Haus, die Tür, den Eingang, die Räume, die Möblierung und das Bücheregal, ob es aufgeräumt ist oder gemütlich und ein wenig durcheinander. Nichts von alldem verrät uns das Evangelium. Es verrät uns nur, dass es ein Ort ist, wo man ein wenig bleiben kann: Von der 10. Stunde bis zum Abend, drei oder vier Stunden vielleicht.

2. Ganz auf Gott vertrauen

  • Ignatius war immer ein Mensch mit großen Zielen. Aber es hat eine Kanonenkugel gebraucht, bis er sah, dass er seine Ziele zu eng gesteckt hatte. Bis dahin ließ sich alles innerhalb seiner kleinen Welt formulieren. Die Familie und Herkunft hatte ihm die Straße vorgegeben, auf der sich seine Lebenskarriere entwickeln könnte und er ist diese Straße kraftvoll und durchaus eigenwillig gegangen. Ignatius hatte Erfolg. Er hatte eine Ausbildung. Er hatte einen Beruf. Er hatte Karrierechancen. Er hatte sein große Liebe (und hinreichend Liebschaften derweil). Es hätte aus ihm ein erfolgreicher Staatsmann oder Militär werden können. Es wäre ein rundum erfolgreiches Leben gewesen - aber alles in den Grenzen seiner Zeit und seiner Welt.
  • Eine Kanonenkugel hat diesen glatten Erfolgsweg zertrümmert. Die lange Zeit im Krankenbett hat ihm Gelegenheit gegeben, andere, größere Ziele für sein Leben zu entdecken. Er hatte entdeckt, dass Gott, den er als übliches Gepäckstück in seinem bisherigen Leben mit sich rumgeschleppt hat, für ihn selbst wichtig sein kann. Das war die erste Bekehrung. Von nun an will Ignatius sich ganz Gott anvertrauen. Er will nur noch aus Gott und für Gott leben. Er war ein Mensch, der radikale Entschlüsse fassen konnte und den Willen und die Kraft hatte, diese auch umzusetzen. Nur, ob Gott das will, hatte er zu fragen vergessen.
  • Es ist tröstlich zu sehen, dass auch Heilige den Weg des Glaubens erst lernen müssen. Sie werden nicht als Heilige geboren. Auch wenn sie auf einmal fromm werden, ist das noch nicht vorbildlich. Ignatius auf jeden Fall hat es nach seiner Kanonenkugel erst nach der Methode des alten Ignatius versucht - und ist grandios gescheitert. Denn er hatte sich gedacht, dass er nun sein Leben ganz auf Gott bauen müsse und allein auf Gott sein Vertrauen setzen dürfe.
    • Er hat gefastet bis zum Rande des Selbstmordes.
    • Er hat nichts mehr selbst machen wollen, sondern wollte in allem Gott machen lassen.
    • Er hatte in der Bibel den Bericht von den zwei Jüngern gelesen, die sehen wollten, wo Jesus wohnt, und meinte er müsse deswegen auch nach Jerusalem, um das zu sehen.
    • Er hat sich geweigert, sich ein Schiffsticket kaufen zu lassen, und wollte statt dessen abwarten, ob Gott ihn ein Schiff schickt, das ihn mitnimmt.
    • Er hat sich nicht mehr um seinen Lebensunterhalt gekümmert, sondern sich sein Essen zusammengebettelt.
  • Gott sei Dank ist Ignatius gescheitert. Seine Idee, er müsse alles Gott überlassen, fand Gott nicht so gut. Aus Jerusalem wurde er ausgewiesen. Von der Inquisition als übermütig und irrational verfolgt. Da erst, langsam erst, hat Ignatius gemerkt, dass er erst einmal seine eigenen Kräfte und Fähigkeiten einsetzen muss. Er hat langsam verstanden, dass Gott nicht im Himmel zu finden ist, sondern auf der Erde, dort, wo er mitten unter uns wohnt.
  • Ignatius ist zeit seines Lebens ein Mystiker geblieben. Aber jetzt hat er sich erst einmal auf die Schulbank gesetzt und studiert. Ignatius wurde Student und hat nicht ohne Mühen von der Pieke an neu gelernt: mit eigenen Kräften.

3. Dialektik des Glaubens

  • Zu Beginn des 18. Jahrhunderts erschien ein Büchlein, das typische Ignatiussprüche sammelte oder versuchte, in knappen Formeln auszudrücken, worum es bei Ignatius geht. In der zweiten Auflage findet sich der Satz: "Vertraue so auf Gott, als ob der Erfolg deiner Arbeit einzig von Gott abhinge und nicht von dir. Wende aber allen Fleiß so an, als ob von Gott nichts und von dir alles abhinge."(1) Die Formel klingt gut und ist vielfach zitiert. Sie passt auf den ersten Blick auch gut zu Ignatius, denn sie stellt den eigenen Fleiß neben die Vorsehung Gottes; nicht von Gott allein hängt es ab, sondern auch davon, was ich mit den Kräften anstelle, die Gott mir gegeben hat.
  • In der ersten Auflage des Buches hatte die Sentenz noch anders gelautet. Nicht: Auf Gott vertrauen als ob alles von Gott und auf die eigenen Kräfte vertrauen, als ob alles von Dir abhängt. So gut und richtig dieser Satz klingt, er stellt doch letztlich Gott und Mensch unverbunden nebeneinander. Hier Gott, da Mensch, hier Gnade, da Natur. Pater Hevenesi aber hatte in der ersten Auflage seiner Scintillae Ignatianae von 1705 einen anderen Satz stehen. Diese erste Formulierung war nicht so glatt, nicht so eingängig. Sie lautete: "Vertraue so auf Gott, als ob der Erfolg deiner Arbeit ganz von dir und nicht von Gott abhinge: wende aber darauf allen [deinen] Fleiß an, als ob du nichts und Gott allein alles vollenden werde."
  • Ich kann verstehen, warum der Satz als sehr verwirrend empfunden wurde. Es ist nachvollziehbar, warum der Autor überredet wurde, ihn für die zweite Auflage zu korrigieren. Denn was soll das bedeuten, dass wir so auf Gott vertrauen sollen, als ob doch gar nichts von Gott abhinge. Das klingt doch widersinnig, man solle seine Kräfte so einsetzen, als ob es eh nicht von mir und statt dessen alles von Gott abhinge. Beim wiederholten Lesen des Satzes kann man fast das Gefühl von Bandsalat im Kopf bekommen: "Vertraue so auf Gott, als ob der Erfolg deiner Arbeit ganz von dir und nicht von Gott abhinge: wende aber darauf allen [deinen] Fleiß an, als ob du nichts und Gott allein alles vollenden werde."
  • Und doch ist es so allein ein Satz, der ganz zu Ignatius passt. Denn das ist das Zentrum der Erfahrung des Ignatius auf seinem Pilgerweg geworden: Das alles Entscheidende ist die Freiheit, und zwar zu aller erst die Freiheit, nicht ein Leben lang nur stur an den einmal sinnvoll gedachten Plänen festzuhalten. Ignatius sucht die Freiheit, auch dann noch ganz zu mir selbst stehen zu können, wenn mir meine Pläne von anderen zerschlagen wurden; die Freiheit, zu sehen, wenn die Dinge sich anders entwickeln und neue Entscheidungen anstehen.
  • Deswegen steht sein Vertrauen auf Gott seinen eigen Anstrengungen nicht im Wege. Wende allen deinen Fleiß an. Vertraue deinen Fähigkeiten. Setze deine Kräfte ein. Studiere, was du kannst entdecke, was in dir steckt! Gerade dann ist es möglich, in allem auf Gott zu vertrauen, dass du innerlich frei bleibst und nicht mit 25 schon festgelegt haben musst, wo du mit 65 sein wirst.
  • Dann steht deine Kraft und dein Engagement auch Gottes Willen nicht im Wege. Denn aus der Nähe zu Gott kannst du die Aufmerksamkeit gewinnen, die es dir möglich macht, an jedem Punkt deines Lebens dich ganz weit aufzurichten und Ausschau zu halten, zu welchem größeren Ziel Gott dich noch führen will. Ignatius kann mit seiner eigenen Lebenserfahrung dafür bürgen: Die wenigsten ahnen, wie viel Großes Gott für uns bereit hält, wenn wir uns ihm ganz anvertrauen - mit all dem was wir sind und können.

Anmerkungen

1. G. Hevenesi, Scintillae Ignatianae, Wien 1705f. Dies und das Folgende zitiert nach: Rahner Hugo (1964) Ignatius von Loyola als Mensch und Theologe. Herder Freiburg 1964, 150f.

Das Zitat in der Fassung der 1. Auflage von 1705: "Sic Deo fide, quasi rerum successus omnis a te, nihil a Deo penderet. Ita tamen iis operam omnem admove, quasi tu nihil, Deus omnia solus sit [231] facturus."; die korrigierte Fassung aus der 2. Auflage von 1714: "Sic Deo fide, quasi rerum successus omnis a Deo, nihil a te penderet. Ita tamen iis operam omnem admove, quasi Deus nihil, tu omnia sis facturus." (zit. nach a.a.O. S. 230f.)