Predigt zum Fest des Hl. Ignatius von Loyola 2004
Zurück zur Übersicht von: 31. Juli Ignatius v. Loyola
16. Mai 2004 - KHG Dortmund, Ignatiusgottesdienst
1. Das Lamm Gottes unter den Menschen
- Der Täufer Johannes überfällt seine Jünger mit dem Ruf:
"Seht das Lamm Gottes". Statt einer erläuternden Bemerkung
steht
hier die absolute Jenseitigkeit, das Lamm in der Mitte von Gottes
Thron. Der
Einstieg ist theologisch steil. Gottes Hingabe an den Menschen ist
symbolisiert
in dem Lamm. Man wundert sich nur, dass der Täufer auf einen
vorübergehenden
Menschen zeigt und nicht geradewegs zum Himmel. So ist das
Evangelium auch
zu lesen: als theologische Verkündigung, als Text, den es erst
einmal
zu verstehen gilt, als Glaubensverkündigung und Glaubenswahrheit. Es
ist das Evangelium, die Frohbotschaft der Kirche, die sich hier
ausdrückt
in dem Verweis auf Jesus als unvergleichliche Gegenwart Gottes.
- Simon Petrus und der andere Jünger lösen sich vom Täufer
Johannes. Zu ihm waren sie gekommen, um ihr Leben neu in den Griff
zu bekommen
und neu auszurichten. Aber der Täufer hatte unmissverständlich
gesagt:
"Ich bin nicht der Messias" (Joh 1,20). Auf diese Weise hat
er seinen Anhängern den größten Dienst erwiesen. Er hat sie
in Bewegung gehalten hin auf die größere Wirklichkeit Gottes. Die
Taufe zur Umkehr war ein richtiger Schritt. Aber weh dem, der es
dabei belässt.
Er sieht nicht, dass Gott Größeres für ihn bereit hält.
- Daher folgen die beiden Jünger dem, der an ihnen vorübergegangen
war. Sie hatten gehört, was der Täufer sagte, und folgen Jesus.
Und dieser nimmt ihre Bewegung wahr. Er wendet sich ihnen zu. Er
sieht sie
an und fragt. Dies ist offenbar ein Kernstück der geistlichen
Erfahrung.
Nach dem ersten Zugehen auf Gott unsererseits stellt Gott uns die
Frage: "Was
wollt ihr?" Was willst du?
- Die Antwort der Jünger ist gut. Denn sie geben keine langen
Erklärungen,
sondern bringen auf den Punkt, dass sie lernen und sehen und
erfahren wollen.
Sie haben die Lektion des Täufers gelernt und sind auf der Suche: "Meister
-, wo wohnst du?". Wo ist der Ort an dem du wohnst? Wie
sieht es
aus, dort wo du zu Hause bist? Die Jünger geben Ausdruck der
Situation
eines jeden Christen, der fragt, wo Gott anzutreffen ist. Wo ist
dieses
"Lamm Gottes", wo ist dieser Meister und Herr, wo ist dieser Gott,
der uns
verkündet wird? Wo ist er zu Hause und wie kann ich sehen, ob er
etwas
für mich zu bedeuten hat?
- Jesus lädt ein, selbst zu sehen. Er bietet einen Weg an, selbst
die
Erfahrung zu machen. Er geht, und die Jünger gehen mit und sehen, wo
er wohnt. Gerne würden auch wir diesen Ort sehen, das Haus, die Tür,
den Eingang, die Räume, die Möblierung und das Bücheregal,
ob es aufgeräumt ist oder gemütlich und ein wenig durcheinander.
Nichts von alldem verrät uns das Evangelium. Es verrät uns nur,
dass es ein Ort ist, wo man ein wenig bleiben kann: Von der 10.
Stunde bis
zum Abend, drei oder vier Stunden vielleicht.
2. Ganz auf Gott vertrauen
- Ignatius war immer ein Mensch mit großen Zielen. Aber es hat eine
Kanonenkugel gebraucht, bis er sah, dass er seine Ziele zu eng
gesteckt hatte.
Bis dahin ließ sich alles innerhalb seiner kleinen Welt formulieren.
Die Familie und Herkunft hatte ihm die Straße vorgegeben, auf der
sich
seine Lebenskarriere entwickeln könnte und er ist diese Straße
kraftvoll und durchaus eigenwillig gegangen. Ignatius hatte Erfolg.
Er hatte
eine Ausbildung. Er hatte einen Beruf. Er hatte Karrierechancen. Er
hatte
sein große Liebe (und hinreichend Liebschaften derweil). Es hätte
aus ihm ein erfolgreicher Staatsmann oder Militär werden können.
Es wäre ein rundum erfolgreiches Leben gewesen - aber alles in den
Grenzen
seiner Zeit und seiner Welt.
- Eine Kanonenkugel hat diesen glatten Erfolgsweg zertrümmert. Die
lange
Zeit im Krankenbett hat ihm Gelegenheit gegeben, andere, größere
Ziele für sein Leben zu entdecken. Er hatte entdeckt, dass Gott, den
er als übliches Gepäckstück in seinem bisherigen Leben mit
sich rumgeschleppt hat, für ihn selbst wichtig sein kann. Das war
die
erste Bekehrung. Von nun an will Ignatius sich ganz Gott
anvertrauen. Er will
nur noch aus Gott und für Gott leben. Er war ein Mensch, der
radikale
Entschlüsse fassen konnte und den Willen und die Kraft hatte, diese
auch
umzusetzen. Nur, ob Gott das will, hatte er zu fragen vergessen.
- Es ist tröstlich zu sehen, dass auch Heilige den Weg des Glaubens
erst
lernen müssen. Sie werden nicht als Heilige geboren. Auch wenn sie
auf
einmal fromm werden, ist das noch nicht vorbildlich. Ignatius auf
jeden Fall
hat es nach seiner Kanonenkugel erst nach der Methode des alten
Ignatius versucht
- und ist grandios gescheitert. Denn er hatte sich gedacht, dass er
nun sein
Leben ganz auf Gott bauen müsse und allein auf Gott sein Vertrauen
setzen
dürfe.
- Er hat gefastet bis zum Rande des Selbstmordes.
- Er hat nichts mehr selbst machen wollen, sondern wollte in allem
Gott
machen lassen.
- Er hatte in der Bibel den Bericht von den zwei Jüngern gelesen,
die
sehen wollten, wo Jesus wohnt, und meinte er müsse deswegen auch
nach
Jerusalem, um das zu sehen.
- Er hat sich geweigert, sich ein Schiffsticket kaufen zu lassen,
und wollte
statt dessen abwarten, ob Gott ihn ein Schiff schickt, das ihn
mitnimmt.
- Er hat sich nicht mehr um seinen Lebensunterhalt gekümmert,
sondern
sich sein Essen zusammengebettelt.
- Gott sei Dank ist Ignatius gescheitert. Seine Idee, er müsse alles
Gott überlassen, fand Gott nicht so gut. Aus Jerusalem wurde er
ausgewiesen.
Von der Inquisition als übermütig und irrational verfolgt. Da erst,
langsam erst, hat Ignatius gemerkt, dass er erst einmal seine
eigenen Kräfte
und Fähigkeiten einsetzen muss. Er hat langsam verstanden, dass Gott
nicht im Himmel zu finden ist, sondern auf der Erde, dort, wo er
mitten unter
uns wohnt.
- Ignatius ist zeit seines Lebens ein Mystiker geblieben. Aber jetzt
hat er
sich erst einmal auf die Schulbank gesetzt und studiert. Ignatius
wurde Student
und hat nicht ohne Mühen von der Pieke an neu gelernt: mit eigenen
Kräften.
3. Dialektik des Glaubens
- Zu Beginn des 18. Jahrhunderts erschien ein Büchlein, das typische
Ignatiussprüche sammelte oder versuchte, in knappen Formeln
auszudrücken,
worum es bei Ignatius geht. In der zweiten Auflage findet sich der
Satz: "Vertraue
so auf Gott, als ob der Erfolg deiner Arbeit einzig von Gott abhinge
und nicht
von dir. Wende aber allen Fleiß so an, als ob von Gott nichts und
von
dir alles abhinge."(1)
Die Formel klingt
gut und ist vielfach zitiert. Sie passt auf den ersten Blick auch
gut zu Ignatius,
denn sie stellt den eigenen Fleiß neben die Vorsehung Gottes; nicht
von Gott allein hängt es ab, sondern auch davon, was ich mit den
Kräften
anstelle, die Gott mir gegeben hat.
- In der ersten Auflage des Buches hatte die Sentenz noch anders
gelautet.
Nicht: Auf Gott vertrauen als ob alles von Gott und auf die
eigenen Kräfte
vertrauen, als ob alles von Dir abhängt. So gut und richtig
dieser
Satz klingt, er stellt doch letztlich Gott und Mensch unverbunden
nebeneinander.
Hier Gott, da Mensch, hier Gnade, da Natur. Pater Hevenesi aber
hatte in der
ersten Auflage seiner Scintillae Ignatianae von 1705 einen anderen
Satz stehen.
Diese erste Formulierung war nicht so glatt, nicht so eingängig. Sie
lautete: "Vertraue so auf Gott, als ob der Erfolg
deiner Arbeit
ganz von dir und nicht von Gott abhinge: wende
aber darauf
allen [deinen] Fleiß an, als ob du nichts und Gott
allein
alles vollenden werde."
- Ich kann verstehen, warum der Satz als sehr verwirrend empfunden
wurde.
Es ist nachvollziehbar, warum der Autor überredet wurde, ihn für
die zweite Auflage zu korrigieren. Denn was soll das bedeuten, dass
wir so
auf Gott vertrauen sollen, als ob doch gar nichts von Gott abhinge.
Das klingt
doch widersinnig, man solle seine Kräfte so einsetzen, als ob es eh
nicht
von mir und statt dessen alles von Gott abhinge. Beim wiederholten
Lesen des
Satzes kann man fast das Gefühl von Bandsalat im Kopf bekommen: "Vertraue
so auf Gott, als ob der Erfolg deiner Arbeit ganz von dir
und nicht von Gott abhinge: wende aber darauf allen [deinen]
Fleiß an, als ob du nichts und Gott allein alles
vollenden werde."
- Und doch ist es so allein ein Satz, der ganz zu Ignatius passt.
Denn das
ist das Zentrum der Erfahrung des Ignatius auf seinem Pilgerweg
geworden:
Das alles Entscheidende ist die Freiheit, und zwar zu aller erst die
Freiheit,
nicht ein Leben lang nur stur an den einmal sinnvoll gedachten
Plänen
festzuhalten. Ignatius sucht die Freiheit, auch dann noch ganz zu
mir selbst
stehen zu können, wenn mir meine Pläne von anderen zerschlagen
wurden;
die Freiheit, zu sehen, wenn die Dinge sich anders entwickeln und
neue Entscheidungen
anstehen.
- Deswegen steht sein Vertrauen auf Gott seinen eigen Anstrengungen
nicht
im Wege. Wende allen deinen Fleiß an. Vertraue deinen
Fähigkeiten.
Setze deine Kräfte ein. Studiere, was du kannst entdecke, was in dir
steckt! Gerade dann ist es möglich, in allem auf Gott zu
vertrauen,
dass du innerlich frei bleibst und nicht mit 25 schon festgelegt
haben musst,
wo du mit 65 sein wirst.
- Dann steht deine Kraft und dein Engagement auch Gottes Willen
nicht im Wege.
Denn aus der Nähe zu Gott kannst du die Aufmerksamkeit gewinnen, die
es dir möglich macht, an jedem Punkt deines Lebens dich ganz weit
aufzurichten
und Ausschau zu halten, zu welchem größeren Ziel Gott dich noch
führen will. Ignatius kann mit seiner eigenen Lebenserfahrung dafür
bürgen: Die wenigsten ahnen, wie viel Großes Gott für uns
bereit hält, wenn wir uns ihm ganz anvertrauen - mit all dem was wir
sind und können.
Anmerkungen
1. G.
Hevenesi, Scintillae
Ignatianae, Wien 1705f. Dies und das Folgende zitiert nach: Rahner
Hugo (1964)
Ignatius von Loyola als Mensch und Theologe. Herder Freiburg 1964,
150f.
Das Zitat in der Fassung der 1. Auflage von 1705:
"Sic Deo
fide, quasi rerum successus omnis a te, nihil a Deo penderet. Ita
tamen iis
operam omnem admove, quasi tu nihil, Deus omnia solus sit [231]
facturus.";
die korrigierte Fassung aus der 2. Auflage von 1714: "Sic Deo fide,
quasi rerum
successus omnis a Deo, nihil a te penderet. Ita tamen iis operam omnem
admove,
quasi Deus nihil, tu omnia sis facturus." (zit. nach a.a.O. S. 230f.)